Münchhausen. Karl Immermann
von heute abend mir zur Ausbeute gewänne, als den selbstsüchtigen Wunsch, mir den grünen Esel in das Knopfloch zu sehnen? Denkst du, daß dein alter Vater nicht auch noch gern in seinen letzten Tagen einen Orden trüge, ohne irgendeins der sechs Verdienste um Dünkelblasenheim? Aber ich bin nicht so enggesinnt; mir liegt meine Ausbildung am Herzen, und noch heute abend frage ich Münchhausen über seine zweifarbigen Augen und sein Ergrünen aus, denn wir stecken einmal mitten in den sonderbaren und außerordentlichen Dingen, zudem stört uns auch der Schulmeister nicht mit seiner einfältigen höhnischen Miene.«
Zehntes Kapitel
Die letzteren Reden zu verstehen, muß gesagt werden, bevor Münchhausen wieder das Zimmer betritt, daß unter den vielen wunderwürdigen Dingen, die den Schloßbewohnern an dem Gaste auffielen, zwei im vorzüglichsten Grade ihr Erstaunen erregten. Er hatte nämlich ein blaues und ein braunes Auge, welcher Umstand seinem Antlitze einen ungemein charakteristischen Ausdruck gab, um so charakteristischer, als, wenn seine Seele voll gemischter Empfindungen war, die verschiedenen Elemente solcher Stimmungen gesondert in den beiden Augen hervortraten. Fühlte er z. B. eine freudige Wehmut, so leuchtete die Freude aus dem braunen Auge, die Wehmut dahingegen zitterte im blauen. Denn diesem blieben die zarten, dem braunen die starken Gefühle zugewiesen.
Sein Gesicht war, wie ich es schon beschrieben habe, nämlich bleich, mit einem gelblichen Anfluge, etwa von der Farbe des pentelischen Marmors, oder eines in Wachs gesottnen Meerschaumpfeifenkopfes, der seinen Raucher noch nicht gefunden hat. Stiegen in ihm Affekte auf, welche bei uns andern ein Erröten hervorzubringen pflegen, so lief über seine Gesichtsfläche ein grüner Farbenton. Daher hatte der alte Baron auch sehr richtig den Ausdruck: Ergrünen, gebraucht, und wir werden uns desselben ebenfalls bedienen müssen, wenn Münchhausen im Verlaufe dieser Geschichten in Affekt geraten und die Farben wechseln sollte.
Anfangs hatten die Schloßbewohner diese Phänomene mit einem geheimen Schrecken betrachtet. Bald indessen tilgten die großen Eigenschaften des Mannes und seine hinreißenden Darstellungen den Schrecken, und es blieb nur eine starke Neugier nach, was es mit jenem Farbenspiele für eine Bewandtnis haben möge? Diese Neugier war begreiflicherweise in dem alten Baron am stärksten.
Aber sie sollte auch an diesem Abende noch nicht gestillt werden. Denn nachdem er mit seiner Tochter eine geraume Zeit auf die Rückkunft Münchhausens gewartet hatte, trat statt seiner der Bediente Karl Buttervogel in das Zimmer und sagte: »Mein Herr läßt sich entschuldigen; er kann das Buch nicht finden. Auch muß er« — setzte der Mensch geheimnisvoll und halbleise hinzu — »seine chemischen Mittel brauchen.«
»Mittel? Chemische Mittel?« fragte der alte Baron besorgt. »Ist sein Herr krank geworden?«
»Das nicht«, versetzte Karl Buttervogel, »aber der Lebenspurzeß kam in Abnahme und die Gassen müssen angewendet werden.«
»Er will wohl sagen: Lebensprozeß, und: Gase?« sprach der alte Baron nach einigem Besinnen. »Aber was soll denn das bedeuten?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte der Bediente mit einer wichtigen Miene. »Es ist noch nicht aller Tage Abend und mit meinem Herrn steht es so so. Ein gescheiter Herr, ein gelahrter Herr, aber, aber, ich lobe mir Vater und Mutter!«
Der Schloßherr drang vergebens in den Menschen, sich näher zu erklären. Das neue Geheimnis hatte indessen nicht Zeit, in den Seelen der Schloßbewohner Wurzeln zu schlagen, denn Münchhausens Reden waren gerade in den Tagen, welche diesem Abende folgten, besonders gehaltreich, so daß der alte Baron selbst die Frage nach den Ursachen des Farbenspiels im Antlitze seines Gastes eine Zeitlang vergaß.
Wir werden im folgenden einige dieser Reden und Erzählungen zur Kunde der Lesewelt bringen.
Hier schließen sich die Kapitel eilf bis fünfzehn an, welche der wohlwollende Buchbinder der Spannung halber vorgeheftet hat. Ich habe über die Ratschläge nachgedacht, welche mir von diesem Manne heimlicherweise erteilt worden sind, werde sie befolgen, und kann dem günstigen Leser in den folgenden Büchern die allerherrlichsten und kostbarsten Dinge versprechen. Der »Münchhausen« wird ein Buch, bei dem man nicht begreift, wie Gott der Herr, ohne es gelesen zu haben, mit der Schöpfung fertig geworden ist.
Die deutsche Literatur hebt erst von meinem »Münchhausen« an. Der günstige Leser glaube diesen Verheißungen! Ich hätte mir zu denselben wohl eigentlich einen von den jungen Leuten in Hamburg, Berlin oder Leipzig mieten müssen, aber ich dachte zuletzt, eigne oder fremde Fabrik gelte gegenwärtig in diesem Artikel gleich viel, und darum ersparte ich mir den Heuerlohn und die Komplimente.
Sechszehntes Kapitel
Nach so manchen interessanten Abenden fiel dem alten Baron wieder seine Frage ein, welche er vorlängst hatte tun wollen. Es war eine schöne Stunde des Vertrauens; Münchhausen hatte seit mehreren Tagen nur Dinge vorgetragen, die den Schloßherrn und seine Tochter auf das Angenehmste berühren mußten; selbst der Schulmeister schien von seiner Verstimmung wieder etwas zurückgekommen zu sein.
Der Wirt rückte daher dem Gaste, nachdem das spärliche Abendessen, bestehend aus Salat und Eiern, verzehrt worden war, freundlich näher, und sagte: »Ihr wärt recht gefällig, lieber Münchhausen, wenn Ihr uns heute eine stichhaltende Hypothese über Eure zweifarbigen Augen und Euer Ergrünen zum besten gäbet. Unmöglich können Euch diese Naturwunder entgangen sein; nun seid Ihr aber ein Mann, der über alles nachdenkt, also habt Ihr gewiß auch darüber eine Hypothese fertig.«
»Keine Hypothese habe ich darüber fertig, sondern ich weiß, wie es damit sicherlich zusammenhängt«, versetzte Münchhausen und zog die Augenbraunen in die Höhe, daß das blaue und das braune Auge noch gewaltiger hervortrat, als gewöhnlich. — »Was die Zwiefarbigkeit meiner Sehorgane betrifft, so leiten sich diese aus Geheimnissen meiner Erzeugung ab — werden Sie nicht rot, meine Gnädige, ich berühre diesen Punkt nicht weiter — die leider über ganze Regionen meines Daseins einen schwarzen Schatten werfen. Wie oft habe ich den Tagelöhner beneidet, der im sauren Schweiße seines Antlitzes, bei dem harten Stücke Schwarzbrot, welches seine Kinnladen zermalmen, doch den süßen Trost nimmer entbehrt: Du bist, wie jeder andre Mensch entstanden, und fährest dahin, wo deine Väter ruhn. Aber ich... oh! — — Doch den Schleier über diese Abgründe! Sie sind tief und schrecklich, armer Münchhausen!
Meine Freunde, ich kann Ihnen über mein blaues und braunes Auge nur folgendes sagen: Die Säfte, oder Substanzen, oder Materien, oder Spezies — — Himmel, wie soll ich es anfangen, Ihnen die Sache deutlich zu machen, ohne meinen sogenannten Vater bloßzustellen? — —
Oder die Ingredienzien, oder die Simpla — —
Meine Teuren, kennen Sie Mischungen?«
»Lieber Meister, mühen Sie sich nicht ferner ab«, sagte das Fräulein weich und herzlich; »ich verstehe Sie ganz.«
»O Gott, welches Glück, einander immer ohne Wort zu verstehen!« rief Münchhausen und küßte dem Fräulein, wie gewöhnlich, die Hand. »Ich brauche also von diesem Gegenstande nicht weiter zu reden, und wende mich gleich zu der Erklärung des Grünwerdens, um —«
»Ja, dabei verlieren wir aber!« riefen der alte Baron und der Schulmeister wie aus einem Munde; »denn wir haben Sie durchaus nicht verstanden.«
Münchhausen räusperte sich, antwortete und sprach:
»Römische I. 0,208 Glyzerin + 0,558 Wasser + 1,010 Kohlensäure bei 110° getrocknet = Blau.
Römische II. 0,035 kohlensaures Natron + 0,312 Chlorwasserstoffsäure + 0,695 Glyzerin bei 108° getrocknet = Blau, zum Nachdunkeln geneigt.
Verstanden?«
»Ja, das läßt sich eher hören!« riefen der Baron und der Schulmeister. »Dabei kann man doch etwas denken.«
»Nun also genug von dem blauen