Quitt. Theodor Fontane

Quitt - Theodor  Fontane


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ja keiner; bei Nacht sind alle Katzen grau, und es darf bloß nich rauskommen. Und wenn es nicht rauskommt, dann ist alles gleich. So denkst du bei dir, und denkst auch wohl: ach, der liebe Gott, der is nicht so, der ist gut und freut sich, wenn man einem Förster oder Grenzaufseher ein Schnippchen schlägt.«

      »Ach, Lehnert, rede doch nicht so! Du weißt ja doch …«

      »Und wenn es dann schiefgeht, ja, dann ist es wieder anders. Dann geht es in die Predigt, und Siebenhaar … na, du weißt schon, ich hab es dir heute schon mal gesagt …, der muß dann wieder einen Heiligen aus mir machen. Aber nicht zu lang; Gott bewahre, denn ein Heiliger paßt auch nicht, und wenn uns dann die Not wieder an der Kehle sitzt, und braucht auch noch gar nicht mal eine rechte Not zu sein, dann ist es mit Siebenhaar auch wieder vorbei, und dann heißt es wieder: ›Es wird es ja wohl keiner sehen‹. oder: ›Man muß es nur klug anfangen, und die Menschen müssen es einem bloß nicht auf den Kopf zusagen können.‹ Ach, Mutter, du meinst es mit keinem bös, und mit mir erst recht nicht, aber du hast das Ehrlichsein nicht gelernt, und davon ist alles gekommen … Und nun will auch Siebenhaar noch mit ihm sprechen, mit Opitz, als ob das was helfen könnte, will mich mit ihm versöhnen, und ich hab‘s auch versprechen müssen. Aber ich mag nicht. Ich hasse ihn, und Haß ist überhaupt das Beste, was man hat.«

      »Überlege dir‘s, Lehnert. Er ist ein gräflicher Förster und is nun doch mal der Herr.«

      »Ach was, der Herr! Ein Diener is er. Ich bin ein Herr, wenigstens eher als er, und kann machen, was ich will.«

      »Er hat das Ansehen vor den Leuten, und ich weiß es von Christinen, er ist nicht so schlimm, wie du glaubst und ihn immer machen willst. Er kann auch durch die Finger sehen. Aber er verlangt, daß man ihm gute Worte gibt und ihn für was Besonderes ansieht. Und das tust du nicht. Er kann bloß deinen Trotz nicht leiden. Und darum hab ich Siebenhaar gebeten.«

      »Aha«, lachte Lehnert. »Also du. Nun meinetwegen.«

      »Und darum«, so wiederholte die Alte, »hab ich Siebenhaar gebeten, als ich nun doch mal mit ihm sprach, daß er ihn gut für uns stimme. Soviel weiß ich, er gibt was auf Siebenhaar, und wenn der ihn rumkriegt und Opitz dir dann die Hand gibt, dann nimm sie, dann stoße sie nicht weg und vergiß all das Alte. Sieh, Lehnert, es hat ja doch alles seine zwei Seiten, und vielleicht hat er nicht so ganz unrecht gehabt, und du hast aus der Sache mit dem Kreuz mehr gemacht, als du hättest machen sollen. Gib nach, Lehnert! Trotz macht Feind. Und wir brauchen Freunde, weil wir arm sind und das Geschäft schlecht geht, und gerade jetzt im Sommer. Und unser Nachbar ist er auch. Es ist doch sonst mit den Försters gut gegangen. Gib nach und versöhne dich mit ihm! Dann haben wir gute Zeit, und wenn dann mal was vorkommt, na, du weist schon, was ich meine, so verpufft und verknallt es. Kennst ja doch unser altes Sprichwort: Der Wald ist groß, und der Himmel ist weit.«

      Lehnert, die Hände auf dem Rücken, ging auf und ab. Er hatte das alles schon oft gehört, nur eines nicht: daß er das mit dem Kreuz doch vielleicht schlimmer genommen als nötig. Und so hochmütig er war, so bescheiden war er auch.

      »Wenn es so wäre? Wenn ich mehr daraus gemacht hätte als nötig?« so gingen seine Gedanken.

      Und er nahm der Mutter Hand und sagte: »Gut, Alte. Ich will es mir überlegen.«

      Sechstes Kapitel

      Was hüben die Mutter ihrem Sohn und drüben die Frau ihrem Mann gesagt hatte, blieb doch nicht ganz ohne Einfluß, weil beide Parteien klug genug waren, das Wahre darin herauszufühlen; Opitz war strenger als nötig, Lehnert war aufsässiger als nötig, und der schlichte Ton, worin das einem jeden gesagt wurde, tat seine Wirkung. So machte sich‘s, daß beide stillschweigend übereinkamen, sich wenigstens nicht mehr zum Tort leben zu wollen, und weil sie dabei fühlen mochten, daß das bei steten persönlichen Begegnungen sehr schwer sein würde, so faßten sie den Entschluß, sich nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen. In der Tat, man vermied es, sich zu sehen, und gab es unter anderm auf, zu gleicher Zeit, wie sonst wohl, im Vorgarten zu sitzen und sich über die Straße hin mit den Augen zu messen. Ja, Lehnert seinerseits ging noch weiter und machte, wenn er ins Dorf mußte, nur um die Försterei zu vermeiden, lieber den Umweg am Waldsaume hin. Auch die Hühner, die durch ihre Besuche drüben im Garten der Försterei beständig Anlaß zu Klagen und bitteren Worten gegeben hatten, hielt er besser in Ordnung, und das Steinsprengen, das mit seinem Knall und seiner aufsteigenden Rauchwolke seinen reizbaren Nachbar durch Jahr und Tag hin mehr als alles andere verdrossen hatte, gab er ganz auf. An einen völligen Ausgleich der alten Gegensätze war freilich nicht zu denken, dazu war zuviel vorgefallen, aber wenn Friede nicht sein konnte, so doch wenigstens Waffenstillstand. Und unter solchem Waffenstillstande verging eine Woche.

      Nun war wieder Sonntag, und die Glocken der Arnsdorfer Kirche klangen wie gewöhnlich vom Tal zu den Bergen herauf. Aber diesem Rufe folgten heute nur wenig, weil oben in Kirche Wang ein Brückenberger Paar getraut werden sollte. Das veranlagte denn alle die, die sich mehr von der Trauung einer jungen hübschen Braut als von der Predigt des alten Siebenhaar versprachen, lieber bergauf nach Wang zu steigen, und das um so mehr, als über das wundervolle Brautkleid, das aus Hirschberg und nach andern sogar aus Breslau stammen sollte, schon die ganze Woche lang gesprochen worden war. In der Tat, Schaulust und Neugier gaben heute den Ausschlag. Aber einige stiegen doch nicht bloß als Neugierige, sondern als recht eigentliche Trauzeugen und Hochzeitsgäste hinauf, unter ihnen auch Opitz in Gala, dem sich, gleich nach Passierung des am Ausgange von Krummhübel gelegenen Rummlerschen Gasthauses, auch noch Grenzaufseher Kraatz und der alte Laborant Zölfel angeschlossen hatten.

      Zu diesen zur Hochzeit Geladenen hatte, wegen alter guter Beziehungen zum Bräutigam, anfangs auch Lehnert gehört; als er aber durch Christine von Opitz‘ wahrscheinlicher Anwesenheit erfuhr, war er sofort zum Fernbleiben entschlossen gewesen. Wußt er doch, daß mit Opitz, wenn dieser ein Glas über den Durst getrunken hatte, doppelt schwer zu verkehren war, und auf diese Gefahr hin wollt er eine Begegnung mit ihm nicht wagen. So zog er es denn vor, zu Hause zu bleiben und in einem von Amerika handelnden Buche zu lesen, das ihm ein alter Kriegskamerad neuerdings geliehen und das durchzusehen er sich schon ein paar Tage lang gefreut hatte. Daneben war es ihm durchaus recht, daß seine Mutter, ohne gerade zu den Geladenen zu zählen, an dem Kirchgange, nach Wang hinauf, teilnehmen und sich hinterher in dem ihr aus beßren Tagen wohlbekannten Hochzeitshause nach Möglichkeit nützlich machen wollte.

      So war der Plan. Und gemäß dem Plan verlief auch der Tag, der freilich unserem Lehnert, ganz gegen Erwarten, lang und schwer genug wurde. Denn bald nach Opitz waren auch Frau Bärbel und Christine nach Wang hinaufgestiegen, und so kam es, daß der auf seinem Inselchen Zurückgebliebene zwölf Stunden lang nichts als das Vorüberschießen der Lomnitz hörte, wenn nicht gerade drüben der Opitzsche Hofhund anschlug. Bis gegen Abend saß er so draußen im Freien und las von Urwald und Prärie, von großen Seen und Einsamkeit. Er schwelgte darin und vergaß die Zeit, aber mit einem Mal ergriff ihn doch ein Grauen. »Einsamkeit! Nein, nein, nicht Einsamkeit. Nicht einsam leben, nicht einsam sterben.« Und er wiederholte das Wort, und in seiner überreizten Einbildungskraft sah er sich auf einem Bergkegel, ein Tal zu seinen Füßen und den Sternenhimmel über sich. Ein Frösteln überkam ihn zuletzt, und so ging er denn wieder hinein und warf Kienäpfel in die Glut und starrte darauf hin. Aber das Hineinstarren in die Flamme war ihm bald nicht weniger unheimlich als das Bild, das eben draußen vor seiner Seele gestanden hatte. Dabei war es ihm beständig, als ob er Stimmen höre, Stimmen von weit, weit her. Und er sprang auf und trällerte vor sich hin, um sich alles, was ihn ängstigte, fortzusingen. Aber es wollte nicht recht glücken, und er war froh, als er, um die zehnte Stunde, seine Mutter schon von fernher des Weges kommen und gleich danach, an der Försterei vorüber, auf den Brückensteg zuschreiten sah.

      »Singst ja so, Lehnert. Was is es denn? Christine war wohl da … Ja, sie ging schon, als der Tanz eben anfing.«

      »Ach, laß doch die Christine!«

      »Du nimmst sie doch noch.« Und während die Alte das sagte, stellte sie ein Bündel, das sie bis dahin vorsichtig in Händen gehalten, auf den Tisch und löste den Knoten eines buntgeblümten Taschentuchs, in das alles eingeschlagen, was sie vom Hochzeitshause her mitgebracht hatte: große Stücke Streuselkuchen, eine halbe Wurst, ein Schinkenknochen und ein Napfkuchen.

      »Wollen


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