Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen

Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas - Balduin  Mollhausen


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die Reise in der uns bestimmten Zeit zurücklegen zu können.

      Hatte sich mir von den Höhen des Ufers aus eine herrliche Aussicht gegen Süden geboten, so stand das Bild, das sich, als wir auf den Sandbänken hielten, in nördlicher Richtung vor uns ausdehnte, demselben in keiner Weise nach.

      Werke von Menschenhänden, welche die getreueste Nachahmung einer bildenden Natur sind, werden als Meisterwerke bewundert; wo die schaffende Natur in ihren Formen gleichsam an den Kunstsinn ihrer edelsten Geschöpfe erinnert, da steigert sich oftmals das Erstaunen teilnahmsvoller Beschauer. Dieser Art nun war das Panorama, in das uns hineinzudrängen wir eben im Begriffe standen. Weithin dehnte sich der glanzreiche Spiegel des Stroms mit all seinen schäumenden Wirbeln und schwarzen Baumstämmen vor uns aus. Ähnlich kunstreich und sinnig geordneten Kulissen, schoben sich wilde Felsmassen, jedesmal Vorsprünge bildend, weit in die Fluten hinein und spiegelten in denselben ihre hoch aufstrebenden Wände und Türme in der ganzen Pracht einer schönen Beleuchtung. Ein schmaler Waldstreifen trennte die Felsen von den trügerischen Bildern im Wasser und umsäumte gleichsam die ausgedehnte, glatte Fläche, die durch den Widerschein des wolkenlosen Himmels im reinsten Lichtblau prangte. Durch die vergrößerte Entfernung veränderte sich stufenweise die Farbe des Gesteins der sichtbaren Punkte und ging von schönem Rot in ein unbestimmtes Violett und ein duftiges Blau über. In weiter, nebeliger Ferne tauchten neue Gebirgszüge vor uns auf, wie um uns vorzubereiten auf die beständige Abwechslung in der uns umgebenden Szenerie.

      Nachdem wir die Sandbänke überwunden hatten, erfreuten wir uns auf längere Zeit guten Fahrwassers und einer Umgebung, die unausgesetzt unsere Aufmerksamkeit fesselte. Erst in den Nachmittagsstunden traten die Felsen weiter zurück, und den Raum zwischen diesen und dem Fluß füllten zu beiden Seiten wieder die hohen Kiesebenen aus. Wo das Wasser der Gebirge in wildem Sturz die Wüste aufgerissen und nahe dem Strom kleine, unfruchtbare Täler gebildet hatte, erblickte man vielfach turmähnliche Überreste der Ebene, die mit ihren horizontalen Lagen von Sand, Kies und Lehm aus der Ferne kaum von künstlichem Mauerwerk zu unterscheiden waren. Nur gegen acht Meilen legten wir an diesem Tag zurück und bezogen unser Lager auf dem rechten Ufer, am Fuß der Hochebene, wo auf einem schmalen Streifen angeschwemmter Erde junge Schößlinge dicht gedrängt unter hohen, schwarzgebrannten Weiden wucherten.

      Den alten Brand bemerkte ich übrigens zu beiden Seiten des Colorado mit wenig Unterbrechung auf der ganzen Länge des Stroms; mir schien er absichtlich von den Eingeborenen angelegt gewesen zu sein. Ich hegte anfangs die Vermutung, daß dies geschehen sei, um die Ufer des Flusses für die indianischen Reisenden, die dort nur auf ihre eigenen Füße angewiesen sind, wegsamer zu machen; doch überzeugten mich die Pfade, die in gewisser Höhe an den Abhängen der Hügel und über diese sowie über die Gebirge hinwegführten, vom Gegenteil. Ich schließe daher, daß, wenn der Brand sein Entstehen nicht dem Zufall verdankte, die Anlegung desselben durch die Jagd veranlaßt worden ist. Zur heißen Sommerzeit bieten nämlich die Ufer des Colorado zahlreichen Hirschen einen schattigen Aufenthalt, und das Feuer kann möglicherweise als Mittel angewendet worden sein, das auf weite Strecken zerstreute Wild an gewissen Punkten zusammenzutreiben. Vor Eintritt der Dunkelheit stieg ich nach der etwa sechzig Fuß hohen Ebene hinauf; ein kurzer Marsch auf dieser entfernte den Fluß und seine Bäume aus meinem Gesichtskreis, und ich war überrascht durch die furchtbare Öde und Einsamkeit, welche dort oben um mich herrschte. Kein Strauch, kein Pflänzchen war weit und breit zu erblicken, nur eine gleichmäßige, sanfte Erhebung des Bodens gegen Westen bemerkbar, der sich als eine ununterbrochene Ebene nach allen Richtungen hin ausdehnte. Am merkwürdigsten erschien mir indessen die Oberfläche des Bodens, die sich in ihrem Äußeren kaum von einem Konglomerat unterschied. Kiesel von der Größe einer Walnuß bis zum Umfang einer Faust lagen dicht verstreut nebeneinander, und zwar nicht, als ob sie ihre Lage dem Zufall verdankten, sondern als wenn sie mit Fleiß mosaikartig aneinandergefügt und danach mittels einer schweren Walze in den Boden gepreßt wären, über den sie in gleicher Höhe emporragten. Erdreich war in den Fugen nicht sichtbar, und nur wenn man einzelne Kiesel entfernte, was in den meisten Fällen nicht ohne Mühe gelang, erblickte man feinen Sand, in dem die Form des aufgehobenen Steins genau ausgeprägt war. Die Steine selbst bestanden aus Bruchstücken von Porphyr, Basalt, Grünstein, Quarz, Achat, Jaspis, Karneol und Obsidian in den schönsten Farben, und durch den Einfluß des treibenden Sands und des waschenden Regens war das Äußere derselben so schön abgerundet und hatte eine so glänzende Politur angenommen, daß die untergehende Sonne sich in ihnen wie auf einer Wasserfläche spiegelte und die dadurch hervorgerufenen Blitze das Auge blendeten.

      Als ich ins Lager zurückkehrte, traf ich Kapitän Robinson damit beschäftigt, am sandigen Ufer nahe einer runden Höhle eine Biberfalle aufzustellen. Der Colorado ist nämlich reich an Bibern, doch leben sie dort nicht gesellig in DörfernBeschreibung eines Biberdorfes siehe »Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee«, S. 368. wie an kleineren Strömen, sondern graben sich Höhlen in den Ufern, von denen einzelne Röhren oberhalb und andere unterhalb des Wasserspiegels ausmünden. Auf langen Strecken bemerkte ich vielfach an den steilen Lehmwänden solche einfache Biberbaue, auch zahlreiche Pfade sowie Spuren an abgenagten Bäumen und Zweigen, welche mich die Anwesenheit einer sehr großen Zahl dieser Tiere in dieser Gegend erraten ließen.

      Der Abend war mild und angenehm, und bis tief in die Nacht hinein saßen wir beisammen und übten uns leichte Musikstücke auf unseren Instrumenten ein. Es lag für uns ein eigentümlicher Reiz in dieser Beschäftigung, der wir mit soviel Eifer oblagen. Wir waren ja die ersten, welche geregelte Musik in diese Wildnis brachten und zum erstenmal die stumme Wüste und den verschwiegenen Fluß zu Zeugen der Ergüsse einer frohsinnigen Laune wählten. Heimatliche Klänge in der Heimat sind schön, doch im fernen, fremden Land dringen sie zum Herzen, und jeder Akkord berührt eine lang nachhallende Saite der Erinnerung. Selbst unsere rohen Soldaten schienen nicht ganz unempfindlich gegen die Musik in einer solchen Umgebung zu bleiben, denn wenn die Flammen unseres Feuers hoch aufschlugen, dann beleuchteten sie mehr als eine wilde, bärtige Gestalt, die sich lauschend hinter uns auf dem dürren Rasen ausgestreckt hatte.

      Der Morgen des 15. Januar war schneidend kalt, weshalb wir uns auch nicht eher zwischen unseren warmen Decken rührten, als bis Wigham, unser gelbhaariger irischer Aufwärter, den Kopf in unser Zelt steckte und mit voller Kraft seiner Stimme ausrief: »Das Frühstück steht auf dem Tisch!« Schnell rollten wir aus unseren Feldbetten ins Freie und eilten in das Ruderboot, um dort den Hauptteil der Morgentoilette zu beendigen. Kapitän Robinson sah indessen nach seiner Biberfalle und fand, daß er nicht nur einen Biber gefangen hatte, sondern daß es den Anstrengungen des gefangenen Tieres auch gelungen war, die Kette vom Pflock zu lösen und mit der Falle, die sich an dem einen Fuß desselben festgeklemmt hatte, zu entkommen. Dieser Verlust wurde um so fühlbarer, als die Stelleisen und Fallen, die ich zu meinem Gebrauch von San Franzisko aus in dem Schoner um Kap Lukas herumgeschickt hatte, an der Mündung des Flusses zurückgeblieben waren.

      Der Zwischenfall hatte indessen keinen Einfluß auf unseren Appetit, wir waren fröhlich und guter Dinge, und eine Stunde, nachdem wir unser Zelt verlassen hatten, bebte die »Explorer« schon wieder unter den heftigen Erschütterungen der arbeitenden Maschinen. Die Felsenketten, die sich zu beiden Seiten vom Fluß entfernten, näherten sich scheinbar in weitem Bogen wieder nördlich von uns und schlossen ein wüstes Tal ein, durch das der Strom sich uns entgegenwand. Absichtlich gebrauche ich das Wort »scheinbar«, denn die Gebirgszüge waren keineswegs zusammenhängend, und wenn auch ihre Ausläufer sich hin und wieder berührten, so glaubte ich doch abgesonderte Joche zu erkennen, die in der Richtung von Nordwesten nach Südosten ihren Weg über den Colorado nahmen.

      Wir legten den Weg durch das Tal, das ganz den oben beschriebenen Charakter trug, verhältnismäßig schnell zurück. Die merkwürdigen Formationen der Felsen, denen wir allmählich näher rückten, nahmen unsere Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß wir weniger dem Eindruck unterworfen waren, den die Naturumgebung, die im vollen Sinne des Wortes ausgestorben schien, hervorrufen mußte. Nach einer Reise von ungefähr fünf Meilen gelangten wir endlich wieder zwischen Felsen, die den Strom stark einzwängten und daher seinen Lauf beschleunigten. Außer vereinzelten Cottonwood-Bäumen hatten wir im Laufe des ganzen Vormittags kein Holz auf den Ufern wahrgenommen; als sich daher hinter einem Felsvorsprung eine Gruppe halb verbrannter Weidenbäume zeigte, steuerte der Kapitän auf diese zu, um einen neuen


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