Ille mihi. Elisabeth von Heyking

Ille mihi - Elisabeth von Heyking


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sagte, wenn ich erst alt genug sei, solle ich auch Gesangunterricht erhalten – aber – da hab ich mich ja verheiratet.«

      Es klang so herzbrechend traurig, als ob ein armes Mäuschen piepste: da fiel die Fallentür hinter mir zu, dachte die Gräfin. Und sie sagte eifrig: »Das ist aber doch kein Grund, nicht jetzt mit dem Singen anzufangen. Ich bin ja ganz sicher, es steckt Talent in Ihnen. Wir werden es probieren und ausbilden. Kaliwoda ist jetzt für einige Zeit bei uns, und Lydia Neuland, die sollen Ihnen Unterricht geben. Sie müssen recht viel zu mir kommen.«

      Die ganze Gesellschaft war nun bei dem Rondel angelangt, wo um alte Sandsteinfiguren die flammenden Tulpen in großen Beeten blühten. Und Gräfin Helmstedt wandte sich zu Theophil: »Nicht wahr, Sie erlauben mir, Ihnen Ihre Frau diesen Sommer manchmal zu entführen?« und sich an seine Mutter richtend, sagte sie: »Töchterlose Frauen wie ich sind auf Anleihen angewiesen.«

      Theophil fühlte sich geschmeichelt, denn wenn man auch über Gräfin Helmstedt gern klatschte, so lag vor allem doch viel Neid in dem, was man über sie vorbrachte. Es ließ sich ja nicht fortleugnen, daß sie eine Frau war, die eine Rolle in der Welt gespielt hatte, die an jedem Hofe bekannt war und mit allen Berühmtheiten in Verkehr stand. Von ihr bemerkt zu werden, war immerhin eine Auszeichnung. Darum verzog auch Mechtild den Mund bittersüß: Es wäre doch natürlicher gewesen, wenn Gräfin Helmstedt bei diesem plötzlichen Wunsch nach töchterlichem Anschluß an eine ihrer neun Mädchen gedacht hätte! Während wiederum Frau von Werbach-Stolfitten, geborene von Zehren, sich sagte, daß von allen jungen Damen der Verwandtschaft für die kunstenthusiastische Gräfin doch nur ihre Gabriele hätte in Betracht kommen können, die die Begebenheiten des Familienlebens in so artige Verse zu bringen wußte. – Allerhand Begierden waren in diesen mütterlichen Herzen wach geworden durch der Gräfin Worte. Sie war bisher keiner der Damen in der möglichen Rolle einer gutmütigen Tante erschienen, in deren Hause die Mädels gratis erstklassige Musikstunden ergattern konnten. Warum aber sollte nun gerade Cousine Ilse solche Vorteile genießen? Cousine Ilse, die ja schon einen Mann hatte, wodurch an sich Musikstunden doch wirklich überflüssig wurden, und die obendrein diesen anfechtbaren Stammbaum besaß und sich nicht einmal beeilte, ihre erste und wichtigste Frauenpflicht zum Fortbestand der Familie zu erfüllen.

      Später auf der Rückfahrt nach Frohhausen sprach Gräfin Helmstedt dann mit Lebhaftigkeit über Ilse, während ihr Mann ihr mit derselben liebevollen Bewunderung zuhörte, die er vor zwanzig Jahren für sie empfunden hatte, damals, als sich jener Roman zwischen ihnen Zutrug, über den noch heute die Edeldamen des Kreises Sandhagen sich gerne gruselnd unterhielten.

      »Wir müssen diesem armen Kinde beistehen,« sagte die Gräfin.

      »Ja, wir müssen,« antwortete er, ihren überzeugten Ton nachahmend, »denn das ist nun einmal deine Spezialität, Gisi! Du hast sicher irgendein Tröpfchen von Don Quichotes Blut in den Adern und erblickst überall Unterdrückte, denen du helfen mußt.«

      »Es ist ein Abtragen eigener Glücksschuld, Ludwig,« sagte sie leise, »und diese kleine Ilse tut mir nun mal gar zu leid – sie sieht ja so erschrocken aus wie ein Elfchen, das zwischen lauter Ichthyosauren verirrt wäre.«

      »Und das hätte dann doch wenigstens Flügel und könnte davon,« antwortete ihr Mann.

      »Ja, die kann ich ihr freilich nicht geben,« sagte die Gräfin, »aber wenigstens soll sie oft zu uns kommen – weißt du, sie erinnerte mich beinahe schmerzlich an mich selbst, wie ich war, damals, ehe ich dich kannte.«

      In dem Wagen stahl sich ihre Hand in die seine, als wären sie zwei junge Liebesleute.

      »Dann aber wuchsen dir die Flügel,« sagte er.

      »Die schenktest du mir ja,« antwortete sie, »daß ich mit dir könnte.«

      »Und du hast es nie bereut —? —« Es sollte eine Frage sein, aber er war ihrer Antwort so sicher, daß es mehr wie eine dankbare Behauptung klang.

      Sie antwortete auch gar nicht, sondern lachte nur ihr leise perlendes Lachen.

      »So wenig bereut,« fragte er nun, »daß du sogar dasselbe Erleben einer anderen wünschen würdest?«

      »Ja,« antwortete sie ohne Besinnen, »wenn der andere wie du wäre.«

      Sie lachten nun beide, und der Graf sagte, indem er auf die flache nüchterne Gegend wies, aus deren sandigem Boden es spärlich sprießte: »Ich glaube etwas an den Einfluß der Umgebung auf die Erlebnisse – wir beide trafen uns in Griechenland – hier in dieser Gegend muß man sehr sicher sein vor allen befreienden Begebenheiten.«

      »Ja, Kummerfelde, Sorgental, und wie die Orte alle heißen – das klingt freilich nicht nach Flügelwachsen! – Wie verschieden, Ludwig, müssen doch deine Vorfahren von den Zehrenschen gewesen sein! Ganz zur selben Zeit, nach dem dreißigjährigen Kriege, bauten sich eure beiden Ahnherren hier wieder an, der eine nannte sein Haus Weltsöden, der andere aber schuf sich unser liebes Frohhausen!«

      »Er ahnte vielleicht dein einstmaliges Kommen, Gisi – und all das Beste hier hast doch du geschaffen!«

      Der Wagen verließ nun die Landstraße. Durch das weit geöffnete Tor, über dem die alte schmiedeeiserne Laterne hing, fuhr er, vorbei an den beiden niedrigen Pförtnerhäuschen mit den hohen abgesetzten Dächern und bog in die lange Allee uralter Linden. Ganz am Ende, über der ansteigenden Rampe, schimmerte lockend das weiße Schloß.

      Dort in dem weißen Schlosse schrieb Gisi Helmstedt noch am selben Abend:

      »Lieber Walden! Da säßen wir denn auf der »heimatlichen Scholle«, wie es ja wohl heißt. In vergangenen Jahren bin ich zwar schon oft während der kurzen Urlaubsreisen meines Mannes ein paar Wochen hier gewesen, aber jetzt, wo seine amtliche Laufbahn beendigt ist, werden wir wohl häufiger und länger hier sein und wollen gleich dies Jahr mindestens bis in den Spätherbst bleiben. – Bei jenen früheren Besuchen habe ich auch hier Land und Leute nur mit dem gewissen, zwar rasch erfassenden, aber doch etwas oberflächlichen Diplomatenblick betrachtet, den wir uns alle angewöhnen, um uns schnell in den wechselnden Milieus zurecht zu finden, durch die fremder Wille unser nomadisierendes Dasein treibt. Jetzt aber ist mit allem äußeren Zwang auch alle Eile aus dem Leben geschwunden, und ich kann diese Welt mit jener Gründlichkeit betrachten, die ein Charakterzug meiner angeheirateten Landsleute sein soll. Ich kann – um ganz deutsch zu reden – trachten, zu ergründen, was hinter den Erscheinungen als eigentliches Wesen steht.

      Und da will es mich nun dünken, daß dies Eigentlichste etwas ganz Feststehendes, Unveränderliches ist, so daß die Menschen hier, Männer wie Frauen, nicht so sehr differenzierte Persönlichkeiten der modernen Welt zu sein scheinen, als vielmehr Inkarnationen von unwandelbaren Begriffen – von Begriffen, die wohl aus dem kärglichen Boden des Landes stammen und mit seiner Geschichte zusammenhängen. – Leute sind es, deren Vorfahren von jeher unter oft harten und beinahe immer einengenden Lebensbedingungen aufwuchsen und die das Verbum »müssen« häufig genug konjugiert haben mögen. Dadurch wird wohl dies Trotzige und zugleich doch streng Disziplinierte in sie gekommen sein, das uns Menschen weicheren Materials so oft auffällt – eine Wesensmischung, die aus zwei sich scheinbar widerstreitenden Elementen besteht und die doch den festen Kitt bildet, der hier alles zusammenhält.

      »Du sollst dich auf der ererbten Scholle behaupten« ist, glaube ich, eines jeden oberster, unanfechtbarer Glaubenssatz. Was diesem Ziele dient, muß gestützt, was ihm hinderlich ist, bekämpft werden. Da gibt es kein Schwanken noch Zaudern. Denn all die Leute hier sind, glaub ich, ganz ehrlich überzeugt von der Richtigkeit und Heilsamkeit derjenigen Weltordnung, die sie repräsentieren, weil es eben diejenige ist, auf der sich von altersher ihr Preußen aufgebaut hat und die dabei die Existenz ihres eigenen Standes sicherstellt. Etwas, das diese Weltordnung beeinträchtigt, müßte ihnen als ein ebensolcher Frevel erscheinen, wie eine absichtliche Deteriorierung des Grund und Bodens, in dem ihr ganzes Dasein wurzelt. Von inneren Kämpfen, Entwicklungsgängen und Wandlungen, von dem quälenden Zweifel »was ist Wahrheit?« wird wohl schwerlich jemand hier angefochten, und ein jeder könnte bei der Konfirmation neben dem religiösen auch zugleich ein Gelübde der staatlichen und sozialen Überzeugungen ablegen, die er bis zu seinem seligen Ende treu bewahren wird.

      Solchen versteinerten Anschauungen gegenüber


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