Ille mihi. Elisabeth von Heyking

Ille mihi - Elisabeth von Heyking


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eigenartige Individualität ist schon unbeliebt und erscheint als gefährlich, weil sie in den Verdacht kommt, am Bestehenden eine unerlaubte Kritik üben zu wollen. Und Menschen, die selbst sicher bereit wären, für ihre Überzeugungen Opfer zu bringen, ja sich dafür nötigenfalls totschießen zu lassen, schöpfen aus diesem Bewußtsein eigener Unanzweifelbarkeit die Berechtigung des Hasses gegen jeden Andersdenkenden, wehe aber besonders dem, der, aus ihren Reihen sich lösend, angestammter Tradition entgegentreten wollte! Den würden sie erbarmungslos als geächteten Deserteur verfolgen!

      Und in dieser Umgebung der Schroffheit und grazienlosen Härte habe ich nun die junge Frau Ilse von Zehren kennen gelernt, die sie neulich in Ihrem Briefe erwähnten! Ein Wesen aus einer ganz anderen Welt, dem man das künstlerische Blut und die übersensitive, schwärmerische Anlage sofort anmerkt. – Da kann man sich wohl fragen: wie wird sie, die wie eine Verkörperung von Glücks- und Schönheitssehnsucht erscheint, sich hier Zurecht finden, wo eine so völlige ästhetische Bedürfnislosigkeit herrscht, und wo das wenige, was an Kunst als zulässig geduldet wird, auch noch den Stempel autoritativer Genehmigung tragen muß?

      Nun, ich will auf alle Fälle suchen, sie möglichst zu uns zu ziehen, und es wird mir selbst ja eine Freude sein, etwas Schönheit in ihr Dasein zu bringen, vor allem will ich sehen, ob sie eine ausgesprochene Verausgabung zur Musik hat, wie es bei ihrer Abstammung von der berühmten Sängerin Ingeborg Thor Hacken eigentlich anzunehmen ist. – Das wird Sie gewiß interessieren, lieber Walden, der Sie mir mit Ihrem Singen so oft schöne Stunden bereitet haben.«

      Gräfin Helmstedt gehörte zu den Menschen, deren Wünsche immer durch äußere Begebenheiten gefördert werden. So erfüllte sich auch ihr Wunsch, Ilse häufig bei sich zu sehen, ganz von selbst. Theophils Mutter, die vielleicht einen ihr allzu intim dünkenden Verkehr verhindert hätte, wurde zu ihrer plötzlich schwer erkrankten Schwester berufen; sie war zwar eine der Frauen, die über dem Verwandtenkreise des Mannes ganz den eigenen vernachlässigen, aber dieser Depesche der Schwester mußte sie folgen. Nach eindringlichen Ermahnungen an die alte erfahrene Mamsell, nur ja nicht das rechtzeitige Einmachen von grünem Stachelbeermus zu vergessen, und Anweisungen an den langjährigen Gärtner, über die Zeitabstände, in denen Erbsen und Bohnen gelegt werden sollten, und unter völliger Übergehung der Schwiegertochter bei all diesen Anordnungen fuhr sie seufzend ab – im Gefühl, die Weltsödener Wirtschaft allerhand tückischen Gefahren zu überlassen.

      Ilse hätte nun eigentlich gern gezeigt, was sie konnte, und vielleicht auch an diesem ersten selbständigen Walten Freude gefunden, aber es gab gar keine Gelegenheiten zum Eingreifen in diesen seit vielen Jahren einer regelmäßigen Routine folgenden Haushalt. Die junge Frau des Besitzers war ein Gast im Hause und nicht mal ein sonderlich hoch bewerteter. Denn wenn auch der Zauber ihrer allzu zarten Schönheit bisweilen auf diesen oder jenen wirkte, und besonders der Gärtner sie oft anschaute, wie eine der fremdländischen Blumen, mit denen er sich so viel mehr Mühe wie mit den landläufigen Pflanzen geben mußte, so wußte man doch längst in Hof und Haus, daß neben der alten Gnädigen die junge nur eine sehr geringe Autorität war. Und all diese überaus einfach und natürlich empfindenden Menschen achteten ja auch in jeder Frau hauptsächlich nur die Mutter.

      Vielleicht hätten Theophil und Ilse nun in dieser ersten Zeit längeren, ungestörten Zusammenseins den Weg zueinander noch zurückfinden können, aber dieser Weg war doch wohl schon allzu weit geworden, und gar zu viel trennende Hindernisse lagen darauf. Ganz zu Anfang, wenn Theophil Ansichten aussprach, die Ilses Überzeugungen entgegengingen, hatte sie pochenden Herzens, aber mit einer seltsamen Tapferkeit widersprochen: nicht aus Rechthaberei, sondern weil sie noch den Wunsch und die Hoffnung hegte, mit ihm zur Verständigung zu kommen. Da hatte sie Theophil aber kopfschüttelnd angesehen und dozierend gesagt: »Du erstaunst mich, liebes Kind, durch dies förmliche Suchen nach eigenen, mir widersprechenden Einwänden. Du solltest dir doch sagen, daß ich nur dein Bestes will, und daß es vom Herrn also gefügt ist, daß du dich wie meinem physischen Schutz so auch meiner geistigen Führung anvertrauen sollst.«

      Diesen anfänglichen Wortgefechten trachtete Ilse nun schon längst aus dem Wege zu gehen, und sie war während der letzten Monate sehr still geworden, weil sie einzusehen begann, daß ihre wohlgemeinten Aussprachsversuche doch zu nichts führten. Theophil dagegen, der in diesem neuerlichen Schweigen weniger die der Frau wohl anstehende Selbstauslöschung zu erkennen glaubte, wie vielmehr ein Beharren in verborgenem Trotze, stellte nun oft absichtlich Behauptungen auf, von denen er ahnte, daß sie ihr widerstreben mußten. Es machte ihm denselben Spaß, sie zu Entgegnungen zu reizen, wie junge Hunde zu necken, bis diese zuschnappten, worauf er ihnen dann einen erzieherischen Klaps auf die Schnauze zu versetzen pflegte. Ließ sich Ilse aber wirklich zu einer widersprechenden Äußerung verleiten, so seufzte er gekränkt und sagte verweisend: »Die Insubordination liegt dir offenbar im Blute,« was eine Anspielung auf Ilses fürstlichen Großvater und musikalische Großmutter sein sollte, die sich so eigenwillig einst ihren Lebensweg gebahnt. Theophil strafte Ilse dann, indem er tagelang gar nicht mehr mit ihr sprach, und es konnte dabei vorkommen, daß er überhaupt vergessen hatte, was eigentlich der ursprüngliche Anlaß zu seiner Mißbilligung gewesen war.

      Aus diesen zuerst einzelnen Anlässen ging dann allmählich eine dauernde Wandlung in ihrem Verkehre hervor. Mehr denn je verbrachte Theophil jetzt seine Morgen auf dem Felde, in den Ställen und dem Walde, von dem ererbten Mißtrauen geplagt, daß Rumkehr und Treumann strengster Beaufsichtigung bedürften. Heiß und müde kehrte er heim zum Mittagessen, bei dem er die während seiner Morgenwanderungen eingetroffenen Zeitungen und Briefschaften las.

      Nachher zog er sich mit der Zigarre in sein Arbeitszimmer zurück, zu kurzem Schlaf und umständlicher Erledigung der verschiedenen Eingänge; danach ging er wieder aus bis zum Abend. Auch während der von Ilse so sehr gefürchteten Stunden in dem braunen mit Straminstickereien gezierten Zimmer, blieb er jetzt meist kühl und zerstreut – es war, als habe das Erzwingen eigenen Willens allmählich an Reiz verloren. Häufiger als früher benutzte Theophil alle Anlässe, in die Kreisstadt zu fahren, für deren Honoratioren der Besitzer von Weltsöden ein großer Herr war. Und häufiger auch als sonst kehrte er unterwegs bei Mechtild ein – in einen Sessel gestreckt schaute er wohlgefällig zu, wie Fräulein von St. Pierre sich über den Teetisch beugte, zwischen Zuckerdose und Butterbrötchen mit den rundlichen, weißen Händen hantierte und ihm, weichen, wiegenden Ganges, die dampfende Tasse an seinen Platz brachte, als sei es eine symbolische Handlung, die sagen sollte: Hier war eine Frau, die keine eigenen Ansichten gekannt und nur dem Mann gedient hätte.

      Theophil bemerkte es kaum, daß währenddessen in Ilses Leben neue Einflüsse traten.

      Beinahe täglich war sie jetzt im nahen Frohhausen, und wenn die Gräfin sie nicht im Wagen holen ließ, so legte sie den kurzen Weg zu Fuß zurück.

      Als Ilse das erstemal dort eintrat, war sie ganz benommen gewesen von dem Fremden, das sie sah. Aus allen Orten, wohin ihres Mannes Laufbahn sie geführt, hatte Gräfin Helmstedt Andenken mitgebracht. In ihrem Hause konnte man einen Spaziergang durch ihr Leben machen, und da ihr Leben sich in den verschiedensten Ländern abgespielt hatte, war es eigentlich ein Spaziergang durch die ganze Welt. Aber es lag in alledem nichts von der Kühle unbenutzter Sammlungen. – Die persischen, mit seinen Miniaturen geschmückten Bände wurden aufgeschlagen und studiert; die japanischen Vasen dienten wirklich großen Sträußen; und mit den verblaßten chinesischen Sammeten waren alte italienische Möbel bespannt, zu deren abgeriebenen Vergoldungen sie seltsam harmonisch stimmten. Alle Dinge hatten eine tatsächliche Beziehung zu ihren Besitzern. Darum fühlte sich Ilse bald heimisch in Frohhausen – heimisch auch bei dem antiken Eros mit den geschlossenen Augen und tastend ausgestreckten Händen, der auf hohem Sockel im lichten Hausflur stand und den Graf und Gräfin Helmstedt einst aus Griechenland heimgebracht hatten, aus Griechenland, wo sie sich vor zwanzig Jahren zuerst gesehen.

      Immer inniger und dankbarer schloß sich die vereinsamte Ilse ihren neuen Freunden an. Sie wurden ihr zu Führern in bisher unbekannten Welten. Denn fremder noch wie die Gegenstände aus fernen Ländern waren die Gedanken und Erzählungen, die Ilse in Frohhausen vernahm. Andächtig lauschte sie, wie da Menschen, die zu den bekanntesten der Erde gehörten, als Freunde, Kollegen, als frühere Mitarbeiter oder Gegner erwähnt und beurteilt wurden. Und es konnte manchmal irgendein zufälliges Wort plötzlich vor ihr enthüllen, wie sehr dem Grafen einst die


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