Die Regulatoren in Arkansas. Friedrich Gerstacker

Die Regulatoren in Arkansas - Friedrich  Gerstacker


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wenn Assowaum mit seiner Büchse hier wäre, könnt’ er ihn bequem schießen; hinter den Bäumen würde man sicher bis auf fünfzig, sechzig Schritt herankommen.«

      »Wo nur Assowaum bleibt?« sagte der junge Mann jetzt, sich etwas ungeduldig im Sattel aufrichtend und auf die Straße zurückschauend, als ob er dort die Gestalt des Indianers zu sehen erwartete; »er schlich auf einmal in den Wald hinein, und ich glaubte, er sähe ein Stück Wild, weiß aber der liebe Gott, was ihn wieder abgehalten hat. Welch herrlichen Schuß er von hier aus hätte«, fuhr er jetzt etwas leiser fort, »ich wollte, ich hätte meine Büchse mitgenommen.«

      »Roberts würden dich schön bewillkommt haben, wenn du ihnen am Sabbat mit dem Schießeisen gekommen wärst; will’s die Frau doch nicht einmal von dem Indianer leiden, und dem – aber hol’ mich dieser und jener, das Tier ist ordentlich zahm, es muß uns gar nicht hören.«

      Die beiden Männer waren indessen, die Straße ruhig hinaufreitend, dem Hirsch sehr nahe gekommen. Dieser stand in einer der unzähligen Salzlecken, die sich an beiden Ufern des Fourche la fave, besonders reichhaltig aber am nördlichen finden, und schien keine Ahnung von einer nahenden Gefahr zu haben. Einmal hob er zwar den Kopf, das mochte aber mehr sein, um Atem zu schöpfen, als daß er irgend etwas Außergewöhnliches fürchtete. Die Männer sahen nämlich, daß er in einem tiefen, in dem Lehmufer des kleinen Baches befindlichen Loch geleckt hatte, das durch häufigen Gebrauch von Pferden, Kühen, insbesondere aber Hirschen, ausgehöhlt worden. Wenige Sekunden blieb er in dieser Stellung und peitschte, den Rücken unseren beiden Freunden zugewandt, mehrere Male mit dem Wedel die ihn umschwärmenden Fliegen fort, dann aber senkte er wieder den Kopf, um aufs neue den Salzgeschmack des fetten Erdbodens zu genießen. Er hatte erst frisch aufgesetzt. Das kaum vier Zoll lange Gehörn hinderte ihn deshalb nicht sehr in der Verfolgung seines Zweckes, so daß er bald darauf den Kopf, ihn seitwärts herumbiegend, wieder in die Höhlung hineinschob, um mit der langen Zunge die salzigsten Teile aus dem Innern herauszuholen.

      »Wo nur der Indianer stecken mag, Bill!« sagte jetzt Harper leise und mit schlecht verhehlter Jagdlust. »Ich glaube, man könnte sich bis auf fünf Schritt an das dumme Ding heranschleichen, es merkte nichts. Ach, Bill, wie ich jung war, da hättest du mich sollen schleichen sehen, ich bin einmal…«

      »Wenn Sie sich hinter der Hickorywurzel hielten, Onkel, ich glaube, es ginge«, flüsterte ihm lächelnd der junge Mann zu.

      »Unsinn, Junge! Glaubst du, ich will mit meinen alten Knochen sonntags im Walde herumkriechen und unschuldiges Viehzeug erschrecken? Ich denke nicht dran.«

      Trotz der abweisenden Worte war Harper aber doch vom Pferd gestiegen, das geduldig und regungslos stehenblieb, und auf den Zehen schlich jetzt der kleine, dicke, weißgekleidete Mann mit immer röter werdendem Gesicht auf das Wild zu, augenscheinlich nur in der Absicht, seinen Spaß an den gewaltigen Sätzen des Tieres zu haben, wenn dieses ihn endlich, und so ganz in der Nähe, wittern würde. Der Hirsch schien ihn aber nicht zu wittern, da er gerade gegen den Wind stand, denn wieder hob er den Kopf, streckte sich einen Augenblick und begann seine leckere Mahlzeit aufs neue.

      William Brown oder Bill, wie ihn sein Onkel der Kürze wegen nannte, fing jetzt selbst an, sich für die Sache zu interessieren, denn unbeweglich auf seinem Pferde sitzenbleibend, um auch das geringste Geräusch zu vermeiden, schaute er mit gespannter Aufmerksamkeit dem Vorrücken seines Onkels zu, der in diesem Augenblick die Hickorywurzel erreichte und sich jetzt kaum zehn Schritt hinter dem Hirsch befand. Hier blieb er einen Moment stehen und sah nach seinem Neffen zurück, verzog aber das Gesicht dabei zu einem komischen Grinsen, als wenn er hätte sagen wollen: Na, Bill, bin ich nicht ein verfluchter Kerl? Hier zögerte er aber wenige Sekunden, denn entweder war er selbst über die unbegreifliche Sorglosigkeit des jungen Hirsches erstaunt, oder er scheute sich, mit seinen sauberen Schuhen weiter vorzutreten, da dort die wirkliche sogenannte »Lick« oder Salzlecke begann und der kleine Bach, der durch den weichen Lehmboden rieselte, von unzähligen Wildfährten und Viehspuren zu einem weichen Schlamm zusammengetreten war. Die alte Jagdlust überwog jedoch zuletzt alle Bedenken, denn jetzt schien sich ihm zum erstenmal die Möglichkeit, aufzudrängen, daß er das Wild wirklich ergreifen könnte, und ohne sich weiter zu besinnen, trat er leise und vorsichtig in den Schlamm, den Glanz seiner wohlgeschwärzten Sonntagsschuhe auf eine wahrhaft unverantwortliche Weise vernichtend. Näher und näher kam er dem Tier, Brown hob sich, atemlos vor gespannter Erwartung, im Sattel in die Höhe, und das Herz des alten Mannes schlug, wie er später wohl hundertmal erzählte, so laut, daß er mit jedem Augenblick fürchtete, der Hirsch müßte ihn hören. Da hob dieser den Kopf; ehe er aber nur, über die Nähe des weiß scheinenden Gegenstandes erschreckt, mit einer Muskel zucken konnte, warf sich Harper auch, Sabbat und Sabbatkleider vergessend, vorwärts und ergriff ihn gerade in demselben Augenblick mit beiden Händen an den Hinterläufen, als das entsetzte Tier versuchte, mit einem Sprung der gefährlichen Nachbarschaft zu entgehen. Es war zu spät, der Mann hing wie mit eisernen Klammern an dem Hirsch. Von den verzweifelten Kraftanstrengungen des Tieres mitgerissen, wurde Harper in voller Länge durch den Schlamm geschleift. Vergebens hob er, soweit es ihm der kurze dicke Nacken erlaubte, den Kopf, um diesen wenigstens dem Schlammbad zu entziehen. Hochauf spritzte die dünne Masse, als er, einem Schiff gleich, das vom Stapel gelassen wird, hineintauchte.

      »Haltet fest«, schrie Brown, hoch aufjauchzend und seinen gewöhnlichen Jagdschrei ausstoßend, »haltet fest, Onkel – hurra für den alten Burschen, das nenne ich eine Jagd!«

      Der Zuruf war aber keineswegs nötig, denn nichts fiel dem alten Mann weniger ein, als jetzt loszulassen, wo er nicht allein seinen ganzen Sonntagsstaat, sondern sogar sich selbst total preisgegeben hatte. Um Hilfe zu rufen, durfte er freilich nicht wagen, denn unter diesen Verhältnissen den Mund aufzumachen hätte mit höchst unangenehmen Folgen verknüpft sein können; aber fest hielt er, als ob seiner Seele Heil daran hinge. Gewiß lag in diesem Augenblick der Ausdruck eiserner Willenskraft und Entschlossenheit in seinen Zügen, als er mit fest zugekniffenen Augen ruckweise durch die Salzlecke gezogen wurde, doch hatte ihm die Heimaterde die ganze Physiognomie mit einer solchen Kruste überzogen, daß an das Erkennen irgendeines Ausdrucks gar nicht zu denken war.

      Brown sprang zwar schnell zu seiner Hilfe herbei, der Anblick war aber so komisch, daß er sich am Rande der Lick ins Laub niederwarf und so krampfhaft lachte, daß ihm große Tränen die Wangen herunterliefen und er sich wohl eine Minute lang nicht erholen konnte. Wie er aber endlich wieder emporsprang, hörte er den scharfen Krach einer Büchse, zum letztenmal zuckte das schwer getroffene Tier im Todeskampfe empor und stürzte dann, die gefesselten Läufe dem Griff des alten Mannes entreißend, verendend in den Schlamm zurück.

      Den Knall der Büchse hatte Harper aber gehört, und sich aufraffend, rief er mit wilder Stimme: »Wer hat geschossen?« wobei er sich, da er die Augen nicht öffnen konnte, nach der falschen Seite, auf der niemand stand, wandte und dadurch Browns Lachlust aufs neue unwiderstehlich erregte.

      Der verborgene Schütze ließ jedoch nicht lange auf sich warten, denn aus einem kleinen Sassafrasdickicht trat der Indianer und stieß, als er die traurige Gestalt des sonst so ernsten und ehrbaren Mannes erblickte, wie er mit weitgespreizten Fingern und geschlossenen Augen dastand, in komischer Verwunderung ein lautes »Wah!« aus.

      »Bill – Bill – verfluchter Junge – Bill – komm her und führ mich an die Quelle. Donnerwetter, soll ich denn hier den ganzen Tag stehenbleiben, bis der Lehm so hart wird, daß ihn kein Teufel wieder abkratzen kann? Bill, sag’ ich – Schurke, willst du deinen alten Onkel hier im Stich lassen?«

      Bill brauchte aber wirklich erst einige Sekunden, bis er sich sammeln konnte, dann trat er an das äußerste Ende des weichen Schlammes und reichte dem kleinen Mann einen gerade dort liegenden trockenen Zweig hinüber, den dieser auch schnell ergriff, und von seinem gehorsamen Neffen gleich darauf an den Bach geführt wurde, wo er sich vor allen Dingen die Augen auswusch, um sehen zu können, was um ihn her vorgehe.

      Das erste, was seinem Blick begegnete, war die Gestalt des Indianers, der, ohne weiter eine Miene zu verziehen, seine Büchse wieder lud.

      »So, Mr. Rotfell, also Ihr glaubt, ich krieche sonntagmorgens im Schlamm herum und halte Euch die Hirsche bei den Hinterläufen, bis es Euch gefällig ist, näher zu treten und sie nach Bequemlichkeit niederzuschießen, he? Wenn ich einen Hirsch mit Lebensgefahr


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