Seefahrt ist not!. Gorch Fock
wieder auf. Als er aber einen Augenblick gelegen hatte, litt es ihn nicht mehr unter der Decke. Er holte die Seekarten vom Bord, rollte sie auf und sah die roten Punkte an, die Feuer bedeuteten, und die kleinen Feuertürme und Baken, die am Rand der Karten standen, während es draußen wieder lärmte und rief.
Abermals stand er auf. Das Zeug war noch klamm, aber er dachte wie sein Vater: Uppen Lief dreucht upt best, und zog sich an, so schnell es gehen wollte. Er war noch nicht ganz fertig damit, als es draußen dreimal Hurra rief, da hielt er es nicht mehr aus. Halb angezogen, in Unterhosen, mit einem Stiefel am Fuß und einem in der Hand, sauste er nach oben und guckte aus der Kapp. Da drängte der Ewer gerade die letzten Eisstücke beiseite und glitt langsam in das freie Fahrwasser hinein. Klaus Mewes und seine Macker zogen die mitgeschleiften Kurrleinen ein, der Ewer aber benutzte die Dünung eines vorbeigehenden Schleppers zu einigen tiefen Dankesverbeugungen vor seinen Helfen: Ok veelen Dank, dat ji mi rutholpen hebbt!
Auch vom Deich und von den Schallen rief es jetzt Hurra.
Die Fahrensleute gingen in froher Stimmung, ehrlich erfreut über ihren Erfolg, gruppenweise über das Eis zum Deich zurück und sprachen von der Fahrt, denn jetzt war der Weg nach der See frei geworden. Was dem einzelnen noch zu tun blieb, die kleine Rinne von seinem Ewer nach dem großen Priel, war Sache eines Tages und ließ sich leicht beschicken. Die Schollenzeit war angebrochen für die Schollengreifer vom Neß: Hurra, hurra, hurra!
Auf H. F. 125 aber, dem Ewer Laertes, ließen sie den Draggen zu Wasser, schossen die Leinen auf, reinigten das Deck, hängten die Laterne ans Fockstag und kletterten dann in das Boot, um den Bärenhunger zu vertreiben, der alle befallen hatte.
Störtebeker saß auf der Euschenducht und quälte sich mit drei Dingen ab: daß der verdrehte Kerl von Schuster ihm die Stiefel noch nicht gemacht hatte, daß sein Vater morgen fahren wollte und ihn nicht mitnahm, und daß sein grüner Kahn noch im Neßgraben festsaß und er noch nicht schippern konnte.
»Du hest dat en betjen god, Seemann«, sagte er aus diesen Gedanken heraus und streichelte den Hund, der auch keine Kniestiefel hatte und noch viel kleiner war als er und doch immer mit nach See durfte. Seemann aber hielt die Nase hoch, denn vom Deich kam ein Geruch wie von gebratenen Klößen mit dem Abendwind herübergeweht.
Klaus Mewes lachte und wriggte schneller, denn er roch hinter den Klößen schon die See und grüßte Helgoland.
Vierter Stremel
1887 schreiben wir, und die Hochseefischerei unter Segeln steht in Sommerblüte. Finkenwärder hat seinen Gipfel erreicht und ist Baas auf See.
300 Ewer und Kutter nennt die Elbe ihr eigen, von denen 187 zu Finkenwärder beheimatet sind und ein H. F. auf den braunen Segeln tragen, 83 reedern mit S. B. und griesen Segeln nach Blankenese, der Rest gehört dem Lüneburgischen Finkenwärder, dem Kranz, dem Mühlenberg und der Teufelsbrücke.
Die das Land mit Fischen versorgen, sind die Mewes und Külper von Finkenwärder und die Breckwoldt und von Appen von Blankenese. Sie liefern Hamburg und Bremen, Oldenburg und Glückstadt, Geestemünde und Tönning ihre Schollen und Zungen und fangen wintertags so viele Heringe, daß halb Holstein und Hannover damit gedüngt werden könnten, sie sind die Könige der Nordsee, die man in Dänemark so gut wie in Holland und England kennt, denn es macht ihnen nichts aus, bei Südwind einmal nach Esbjerg zu segeln oder bei Nordwind nach Jimuiden oder bei Ostwind nach London.
Wohl haben sie auf der Weser schon einen Fischdampfer, die kleine Sagitta, aber unsere Fahrensleute lachen noch über den »Smeukewer«, wenn sie ihm begegnen. Wohl sind schon die Zeiten vorbei, daß nur Finkenwärder auf Finkenwärder und Blankeneser auf Blankeneser Schiffen fahren, sie müssen sich schon mit Butenländern behelfen. Aber dennoch steht die Sonne von Finkenwärder auf der Mittagshöhe, und seine Segel beschatten die ganze See.
Wir grüßen euch, ihr hundertsiebenundachtzig Schiffe, als wenn ihr noch alle am Leben wärt!
Klaus Störtebeker hatte es am anderen Morgen ganz verteufelt eilig. Er mußte Brot vom Bäcker holen und Proviant vom Krämer, mußte einen Schinken aus der Rauchkammer herabschleppen (denn Klaus Mewes tat die erste Ausfahrt nicht ohne einen Schinken, obgleich man am Deich meinte, der Schinken dürfe nur beim ersten Kuckucksruf angeschnitten werden), er trug die Kruken mit Weiß- und Schwarzsauer, die Beutel mit Strümpfen und Unterhosen nach dem Bollwerk und quälte sich mit Vaters Seestiefeln und seinem Ölzeug ab wie Roland mit seines Vaters Waffen, aber es machte ihm Spaß, und er vergaß seinen Kummer darüber, daß er noch an Land bleiben sollte.
Als alles bereit war, konnte er es aber doch nicht lassen, dem saumseligen Schuster noch mal die Wacht anzusagen. Der Hans Niedersachs von Finkenwärder, der ein Schelm war und einen Schalk als Gesellen hatte, sah ihn schon, als er die Treppe hinunterstieg, und sagte zu seinem Gesellen: »Kiek ut vör Störtebeker!«
Wir müssen nun freilich wissen, daß Klaus Mewes bei der Bestellung der Siebenmeilenstiefel für seinen Jungen heimlich gesagt hatte, es eile nicht, und vor Pfingsten brauchten sie nicht fertig zu sein, und daß Gesa hinterher bestimmt hatte, sie sollten erst im Herbst geliefert werden, wenn der Junge der unruhigen Witterung wegen nicht mehr mit nach See kommen könne; der Schuster tat deshalb nur, was ihm geheißen war, wenn er ihn verströstete. Er hatte mit den Stiefeln übrigens noch nicht mal angefangen.
Als Störtebeker die Tür aufklinkte, saßen die beiden Pechräte tiefgebückt da, duckten sich hinter die großen Glaskugeln wie Verschwörer und klopften für fünfzehn, ohne aufzugucken.
»Schoster, sünd mien Stebeln klor?«
Der Schuster und sein Geselle klopften das Leder noch lauter und deftiger, daß die Fenster wie bei einem Gewitter klirrten, und taten, als könnten sie weder hören noch sehen.
»Schoster, wat mien Stebeln klor sünd?«
Störtebeker rief schon lauter, aber die beiden Pfriemenreiter stellten sich wieder taub und hämmerten, als wollten sie Stahl aus den Kuhhäuten machen. Dabei aber sahen sie einander heimlich an: Wat he nu woll upstillt?
Der Junge sah sich in der Werkstatt um. Da lagen die großen, langen Stiefel der Elbfischer, de güngen bit ant Gatt und waren größer als er selbst. Da standen die schweren, starken Seefischerstiefel, so gewaltig, daß er sich dahinter verstecken konnte. Da waren Bauernschuhe, so klotzig, daß er damit hätte über die Elbe schippern können, – aber Kniestiefel, die ihm zupaß waren, konnte er nicht dazwischen finden.
»Schoster, sünd mien Stebeln klor?« Er grölte es, so laut er konnte, aber die Schuster ließen sich in ihrer Klopferei nicht stören, denn sie wußten noch nicht, was sie diesmal sagen sollten: Sollten sie wieder über seine Seefahrt loslegen oder von seinem Kahn anfangen oder ihm ein paar linke Mannsstiefel anpassen? Störtebeker war ärgerlich geworden, er sah den Kram noch eine Weile an, dann drehte er sich um und lief hinaus.
»Nanu«, sagte der Meister und ließ das Hämmern. »Nanu«, sagte der Geselle und stellte auch den Betrieb ein. Aber ehe sie sich‘s versahen, sauste ein großer Mauerstein durch das Fenster, daß die Splitter flogen, zerschlug eine der Glaskugeln, daß das Wasser über den Tisch spritzte, und bumste schwer gegen die Wand.
»Nu hol mi noch mol förn Buern!« rief Störtebeker draußen, nahm seine Pantoffeln in die Hand und sauste auf Strümpfen davon wie ein gejagter Hase, hast du nicht, so kannst du nicht – bang bün ik ne, ober lopen kann ik fix! Der Schuster wollte ihm nach, aber ehe er soweit war, war der Junge schon längst über Heide und Zaun. Da lasen die beiden die Splitter auf, nagelten ein Stück Leder vor das Fenster und gelobten große Rache.
Störtebeker war weit genug gelaufen und zog seine Pantoffeln wieder an. Seine Strümpfe waren klatschnaß geworden, denn er hatte auf seiner Flucht zwar über alle Pfützen springen wollen, aber es war ihm nicht immer gelungen, und dann saßen sie auch voller Schlick. Er konnte sich zu Hause nicht damit sehen lassen, wenn er nicht eine Tracht Knüppelholz riskieren wollte, das war ihm klar. Und da kam er bei und kletterte den Stegel hinunter, setzte sich hinter eine dicke hohle Wichel, daß er vom Deich nicht wahrgenommen werden konnte, und wusch die Strümpfe im Graben, bis sie wieder rein waren, wrang sie aus und hängte sie zum Trocknen auf, sah den Sperlingen zu, bis die Strümpfe einigermaßen trocken waren und zog sie dann getrost an.
»Klor