Seefahrt ist not!. Gorch Fock
auch: alle zwei Stunden raus! Aber es war nur Spaß gewesen, wie es auch Spaß gewesen war, wenn er ihn auf und ab schaukelte, um ihn an die Dünung zu gewöhnen und ihn seefest zu machen. Wozu er sang: So dümpelt de Eber, so dümpelt de Eber, so dümpelt de Eber up See…
Dann aber, als der Junge anfing zu sprechen und zu begreifen, war es anders geworden; da kam der Ernst. Da wurde er ausgelacht, weil er ein Mutterkind war, und von ihren Wegen abgelenkt, da wurde das Wort gesprochen: ne bang wesen, Junge, anners kummst du ne mit no See! Ne schreen, Klaus, anners kann ick di noher an Burd ne bruken. Da war der Brand in die Kinderseele hineingeworfen worden und hatte sie verheert. Da war ihm der Kompaß in die Brust gesetzt worden, der ständig nach der See wies und all sein Tun und Lassen lenkte.
Dann kam der Kahn, der grüne, nordische Kahn, von dem Gesa glaubte, daß ihr Mann ihn vom Teufel gekauft hatte und nicht von dem norwegischen Schuner, wie er behauptete. Den bekam der Junge zu seinem vierten Geburtstag, und damit war er der Elbe und dem Wasser verfallen und nun mehr als die andern Jungen am Deich: Reeder und Schiffer. Da übertrugen die Finkenwärder den Namen des Fahrzeugs bald auf den Jungen, und aus dem kleinen Klaus Mewes wurde für jung und alt ein kleiner Klaus Störtebeker! Gesa seufzte tief, denn sie trug schwer an diesem gottlosen Namen.
Die vier Getreuen aber standen an dem breiten schwarzen Graben zwischen den dicken krummen Wicheln und den schlanken schiefen Erlen und suchten die Spuren von Klaus Störtebeker. Sie bestimmten den Baum, an dem er sein Admiralsschiff festgemacht hätte, und durchforschten die hohlen Stämme nach Gold, das er vielleicht hineingesteckt haben könnte. Das faule Holz glomm auch wirklich wie Silber, so daß der Junge alle Augenblicke ausrief: »Hier sitt dat Gild, hier sitt dat Guld!« und sie von einer Wichel zur anderen lockte.
Klaus Mewes aber guckte viel nach dem Bauernhof auf der zehn oder zwölf Ewerlängen entfernten deichhohen Wurt, der bei den alten Leuten noch der Grönlandshof hieß, weil in alten Zeiten die hamburgischen Walfischfänger neben ihm geankert hatten. Dorther stammten er und die ganze, weitverbreitete Sippe der Mewes. Auf dem Grönlandshof hatte der alte Vogt holländischen Blutes gesessen, der aus einem Bartholomäus zu einem Bartel Mewes geworden war. Seine Jungen und Enkel dann, die hatten herausgefunden, daß es besser war, die grüne See zu pflügen als das braune Land, und sie waren nach dem Deich gezogen und Schiffer und Fischer geworden. Das Bauerngeschlecht der Mewes war ausgestorben. Die seefahrenden Mewes aber waren immer noch groß am Ruder und machten ein Drittel der Fischerflotte aus, während das zweite und das letzte Drittel den Focken und Külper zukam.
Seefischerei… Klaus Mewes sehnte sich nicht nach der Bauerei zurück und hätte seinen lieben großen Ewer gewiß nicht gegen den ganzen Grönlandshof eingetauscht.
Dritter Stremel
Den Montag, der als schöner stiller Vorfrühlingstag über die Elbe kam, fing Klaus Mewes mit früher Arbeit an. Er schleppte Segel und Kurren mit seinen Leuten über das Eis, machte die beiden Kurrleinen fertig und hackte dann das Fahrzeug ringsum frei, damit Raum für den notwendigen Anlauf gewonnen würde, denn er hatte keine Ruhe mehr: Das Eis trieb nicht weg und konnte noch wochenlang liegenbleiben. Da mußte er Gewalt anwenden!
Hein Mück, der erst gegen Morgen von Musik gekommen war, konnte kaum die Augen offenhalten, aber sein Jammern half ihm nichts; er bekam die nassen Fausthandschuhe zu schmecken und mußte tüchtig dran glauben.
Gegen Mittag ging Kap Horn den Deich entlang, um anzusagen für die große Arbeit, die gleich nach dem Essen angegriffen werden sollte. Kap Horn war der rechte Mann für so etwas, denn er konnte gut klönen; zwar dauerte es Stunden, bis er die hundertfünf Häuser abgeklopft hatte, aber er hatte dafür auch die Genugtuung, acht Tassen Kaffee und zwei Kirschenschnäpse eingegossen bekommen und alle an Land befindlichen Mannsleute angeworben zu haben. Störtebeker begleitete ihn ein Stück und lief dann noch mal zum Schuster und mahnte ihn um die langen Stiefel, freilich ohne daß er sie gekriegt hätte.
Dann trabte er wieder nach dem Neß und half seinem Vater, dem er in allen Schiffsdingen der unermüdlichste und aufmerksamste Helfer war. Ein so großer Stankmacher und Ausfresser der Junge sonst war: Solange er bei seinem Vater stand, vergaß er alles andere und war nur noch der lerneifrige, vielfragende Schiffsjunge.
Nachmittags standen sie dann im Sonnenschein auf dem Ewer, der schon in seiner großen Wake trieb: Schiffer, Knecht, Junge, Spielvogel und Hund.
Hein Mück pumpte noch etwas, bis die Pumpe röchelte, und Störtebeker drängte das Ruder von Backbord nach Steuerbord und von Steuerbord nach Backbord, als habe er wirklich zu steuern. Klaus Mewes und Kap Horn aber schleppten die beiden schweren Trossen über das Eis.
Da kamen sie vom Deich herunter und über das Eis gegangen, die Seefischer, die Wattfischer, die Lütjfischer, die Frachtschipper, es kamen der Gastwirt, der Reepschläger, der Blockmacher, der Krämer und der Segelmacher, weit über hundert Mann, alle in großen Stiefeln steckend, laut lachend und sprechend, in Gruppen und einzeln. Und die gewaltige Schar versammelte sich um den Ewer, einigte sich über den Weg, den sie nehmen wollte, und verteilte sich auf die beiden langen Kurrleinen. Alles Görenzeug lief und rannte auf den Schallen umher, und oben auf dem Deich standen die Frauen und Mädchen und guckten und warteten. Am Bollwerk und auf den Schallen aber lag die Menge der Fahrzeuge, denen der große Tag die Freiheit bringen sollte. Die vergoldeten Flögel blinkten im Sonnenschein, und in den Klüsenaugen leuchtete es vor Hoffnung.
Der große Tag – der größte Tag der Finkenwärder Fischerei, an dem sich die Mächtigkeit ihrer Flotte, die Stärke ihrer Mannschaft, die Brüderlichkeit und Hilfsbereitschaft ihrer Fahrensleute am besten bewies. Allen, die ihn erlebt haben, die den großen Triumphzug vom Bollwerk bis an das weit entfernte Fahrwasser gesehen haben, hat er sich unauslöschlich eingeprägt. Nicht wahr, du Finkenwärder: Up den Dag kannst du di ok noch besinnen?
Es kamen immer noch mehr Fahrensleute über das Eis; alle wollten helfen, alle wollten dabeisein! Nun waren der Hilfsleute genug. Klaus Mewes stand am Steven wie ein König und grölte, die Leinen müßten noch weiter auseinander. Als das getan war, rief er über das Eis, so laut er konnte: »All klor! Een, twee, dree: allemann inne Gangen! Huroh! Huroh! Huroh!«
Da sprang Kap Horn ans Ruder und warf es herum. Die Fahrensleute aber setzten sich mit Huroh und Jümmerbeterbi und Hödjihöh in Bewegung und zogen die Leinen steif. Der Ewer kam in Fahrt und schoß durch das offene Wasser, dann krachte und knackte er gegen das Eis, zerbrach es, schob es zur Seite, drückte es unter sich, bäumte sich auf, senkte sich wieder, kam aber dann zum Stehen und blieb vor einem Eisberg sitzen! Doch ein schönes Stück war schon bewältigt.
Störtebeker sprang wie ein Wiesel, hüpfte wie ein Heister, wie ein Wippsteert auf dem Ewer umher. Als aber das Brechen losging, stand er neben seinem Vater, der unermüdlich anfeuerte, und hielt sich am Vorderpoller fest. Das war was für ihn. »Junge, Junge, Vadder, so geiht he god.«
Stoppi – stoppi…
Nun mußte ein Tau achteraus geschoren werden, und sie mußten den Ewer ein Stück rückwärts ziehen, damit sie Anlaufraum gewannen. Klaus Mewes und seine Leute gingen mit Haken daran, die Schollen vor dem Bug zu entfernen.
Kord Külper aber, der spaßige, der Ontjekolontje hieß (er hatte aus dem bremischen Dreimaster, der mit Stückgut nach Valparaiso wollte und auf Scharhörn strandete, eine ganze Kiste Kölnisch Wasser – Eau de Cologne – erbeutet und bespritzte seitdem Taschentuch und Südwester, Buscherrump und Ölbüx damit, wie behauptet wurde, jedenfalls aber roch alles an ihm nach Ontjekolontje), Kord Külper kam heran und rief: »Klaus Störtebeker mütt no achtern gohn, anners speel ik ne mihr mit. De drückt dat Fohrtüch vör to deep dol.«
»Deit he ok!« riefen einige Knechte zur Bekräftigung.
Da trat Störtebeker schweigend ab, wie Wallenstein auf dem Reichstag zu Regensburg, ging langsam zum Heck und stellte sich neben Kap Horn ans Ruder, damit der Ewer den Steven höher höbe.
Und Jan Kröger, der laute, kam über das Eis und sagte zu Klaus Mewes: »Klaus, du büst en fixen Kirl bi de Klütjenpann, dat weet wi all. Du weest, wat vör und achter is annen Schipp und büst vörn doden Kiwitt ne bang. Ober dat Grölen, weest du, dat Bölken, versteihst du, dat andrieben, hürst du, dat Beterbi, mien Jung, dat hest du doch noch ne rut! Dat mütt