Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
sehen.« Der Kalif nahm Tinte und Feder und schrieb nach der gewöhnlichen Formel: »Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Harun Arraschid, Mahdis Sohn, sendet diesen Brief an Muhammed, Suleimans Sohn, der durch meine Huld zum Herrn über einen Teil meines Reichs gesetzt ist. Sobald Nureddin Ali, des Veziers Sohn, dies mein eigenhändiges Schreiben dir übergeben und du es gelesen hast, lege auf der Stelle die königliche Würde ab, und räume ihm deine Stelle ein. Ich versehe mich deines Gehorsams gegen diesen meinen Befehl. Gott befohlen.« — Der Kalif übergab Nureddin den Brief. Nureddin nahm den Brief, steckte ihn in seinen Turban und machte sich auf den Weg. Das ist‘s was Nureddin angeht, folgendes ereignete sich dann zwischen dem Kalifen und Scheich Ibrahim. Dieser sah den Kalifen an und sagte zu ihm: »Höre, du elendester aller Fischer, du bist hergekommen und hast uns etliche Fische gebracht, die höchstens 20 halbe Dirham wert sind, und hast dafür drei Dinare zum Geschenk bekommen. Denkst du nun auch noch, die Sklavin für dich zu behalten?«
Als der Kalif diese Worte hörte, schrie er ihn an und gab Masrur einen Wink, dieser trat alsbald heran und drang auf Scheich Ibrahim ein. Djafar hatte inzwischen einen Gartendiener zu dem Pförtner des Palastes geschickt, um einen Anzug für den Fürsten der Gläubigen zu holen. Der Diener kam und brachte den Anzug und küßte dem Kalifen die Hand. Der Kalif kleidete sich um und schenkte dem Diener seine abgelegten Kleider und setzte sich auf einen Stuhl. Scheich Ibrahim stand vor ihm und sah dem allem zu, er ward ganz verblüfft, biß sich in die Finger und dachte: Schlafe ich oder wache ich? Der Kalif warf ihm dann einen Blick zu und sagte: »Scheich Ibrahim! in welchem Zustande befindest du dich?« Jetzt erwachte Scheich Ibrahim aus seinem Rausche, warf sich nieder und rezitierte folgende Verse:
»Vergib mir den Fehltritt, den mein Fuß getan: oft fordern ja Untertanen Nachsicht von ihrem Herrn.«
»Ich habe eine Schuld auf mich geladen, der ich geständig bin; doch was vermag nicht Gnade und Großmut?«
Der Kalif verzieh ihm. Dann ließ er die Sklavin in seinen Palast bringen, wo ihr ein eigenes Gemach und die erforderliche Bedienung angewiesen ward. Er sagte ihr auch, daß er Nureddin als Sultan nach Baßrah geschickt habe und daß er mit Gottes Willen ihm ein Ehrenkleid und sie selbst wieder schenken werde.
Nureddin setzte inzwischen seine Rückkehr nach Baßrah fort und ging gerade nach dem königlichen Palaste, und schrie so laut, daß der Sultan ihn hörte und vortreten ließ. Als er in den Audienzsaal gelangte, warf er sich nieder, zog dann seinen Brief hervor und überreichte denselben. Als der König die Überschrift von der Hand des Kalifen sah, erhob er sich und küßte das Schreiben dreimal und sagte: »Ich gehorche Gott und dem Beherrscher der Gläubigen. Man rufe die vier Kadi der Hauptstadt, auch alle Fürsten und Großen des Reichs, damit ich der Regierung entsage.« Als unter anderen auch der Vezier Muin erschien, überreichte ihm der Sultan das Schreiben. Als er es gelesen hatte, zerriß er es in Fetzen, steckte diese in den Mund, kaute sie und spie sie wieder aus. Als der König dies sah, rief er ihm voll Zorn zu: »Was ist das, Muin? Wie kommst du dazu, so etwas zu tun?« — »Mein Herr und König!« antwortete Muin, »Nureddin ist niemals mit dem Beherrscher der Gläubigen, nicht einmal mit einem seiner Veziere zusammengekommen; er ist ein listiger Betrüger, ein junger Teufel. Vielleicht hat er irgend etwas vom Kalifen Geschriebenes gefunden und sich unterstanden, seine Handschrift nachzuahmen. Er hat keinen Chat Scherif, keinen Firman. Wie kannst du glauben, daß der Kalif ihn schickt, um dir die Regierung abzunehmen? Wäre dem so, er hätte ihm gewiß einen Kammerherrn oder einen seiner Veziere mitgegeben, während er ganz allein gekommen ist.«
Der Sultan fragte hierauf, was zu tun sei? Muin antwortete: »Ich will ihn mit einem Kammerherrn nach Bagdad senden: ist seine Behauptung wahr, so wird er mit einem Firman und einem Investiturdiplom vom Kalifen zurückkommen, wo nicht, so will ich die Strafe über ihn verhängen, welche sein Vergehen gegen mich verdient hat.« Der König übergab Nureddin der Willkür des Veziers, der ihn in sein Haus führte. Dort angelangt, rief er seine Diener herbei, ließ ihn knebeln und so lange schlagen, bis er für tot da lag, Dann ließ er ihn mit einer schweren Kette fesseln und schickte ihn ins Gefängnis, dann schickte er nach dem Gefängniswärter, welcher Katit hieß, und befahl demselben, Nureddin in eines seiner unterirdischen Gefängnisse zu werfen. Dabei schärfte er ihm ein, ihn bei Tag und bei Nacht zu peinigen. Der Gefängniswärter versprach zu gehorchen. Er sperrte Nureddin ein und riegelte die Türe hinter ihm zu, aber er ließ eine Bank hinter der Türe sauber abkehren, bereitete ihm ein gutes Lager von Teppichen und Polstern, nahm ihm die Fesseln ab und war äußerst liebreich gegen ihn, obschon der Vezier täglich zu ihm schickte und ihm befahl, seinem Gefangenen jeden Tag die Bastonnade geben zu lassen.
So vergingen vierzig Tage. Am einundvierzigsten kam ein Geschenk vom Kalifen, das dem Sultan wohl gefiel. Er beriet sich mit seinen Vezieren darüber und einer derselben sagte: »Es ist vielleicht ein Geschenk an den neuen Sultan.« Da sagte Muin: »Das beste wäre gewesen, ihn gleich bei seiner Ankunft zu töten.« Der Sultan erwiderte hierauf: »Bei Gott, du erinnerst mich wieder an ihn, geh‘ bring ihn her, ich will ihn enthaupten.« Der Vezier antwortete: »Ich gehorche, auch will ich in der Stadt ausrufen lassen, wer die Enthauptung Nureddins, des Sohnes Chakans, sehen will, der komme in das Schloß, so wird alle Welt herbei laufen und ich finde Gelegenheit, meine Rachgier zu stillen und meine Feinde zu beschämen.« Der Sultan versetzte: »Tu, was du willst!«
Voll Schadenfreude begab sich Muin alsbald zu dem obersten Polizeibeamten und befahl demselben zu tun, was er soeben dem König vorgeschlagen hatte. Die Verkündigung des Ausrufers erfüllte die ganze Stadt mit Trauer über Nureddin.
Alles strömte herbei, um die besten Plätze einzunehmen. Viele hatten sich vor dem Gefängnisse aufgestellt, um ihn zum Richtplatz zu begleiten. Endlich erschien der Vezier mit zehn Mameluken und forderte von dem Gefängniswärter die Herausgabe des gefangenen Verbrechers. »Mein Herr!« antwortete dieser, »ich habe ihn so geschlagen, daß er sich im erbärmlichsten Zustande befindet.« Als der Vezier sich hierauf dem Kerker näherte, hörte er Nureddin folgende Strophen hersagen:
»Wer hilft mir in meinem Elend? Wie meine Krankheit wächst, so schwindet die Möglichkeit meiner Heilung.«
»Die Trennung von ihr hat mein Herz gebrochen, und die Zeit meine Freunde in Feinde verwandelt.«
»O mein Volk, ist keiner unter dir, der sich meines Zustandes erbarmt und meinen Klagen antwortet?«
»Der Tod ist mir willkommen mit allen seinen Schrecken; denn meine Hoffnung ist von des Lebens Glück abgeschnitten.«
»O Herr, ich beschwöre dich bei dem Auserkorenen, dem Verkündiger, dem Führer zum Heil, dem Inbegriff aller Wissenschaften und dem Ausbund der Beredten!«
»Erlöse mich, hebe mich empor aus meiner Erniedrigung und wende von mir alle Pein und Qual!«
Inzwischen zog ihm der Gefängniswärter seine reinlichen Kleider aus und legte ihm schmutzige an und führte ihn vor den Vezier.
Als Nureddin sich seinem Feinde gegenüber sah, der nach seinem Tode trachtete, weinte er und sagte zu ihm: »Bist du sicher gegen das Schicksal? Hast du nicht gehört, was ein Dichter sagt:
»Sie richteten ungerecht; aber nicht lange dauerte ihr Richteramt, bald war es, als hätten sie nie die Gewalt in Händen gehabt.«
Dann fuhr er fort: »Bedenke, daß der erhabene Gott tun kann, was ihm gefällt.«
Muin erwiderte: »Willst du mir vielleicht mit deiner Rede Furcht einjagen? Mag geschehen, was da will, wenn ich dir nur ganz Baßrah zum Trotze den Kopf habe abhauen lassen. Ein anderer Dichter hat gesagt:
»Wer seinen Feind auch nur einen Tag überlebt, hat seinen höchsten Wunsch erreicht.«
Hierauf befahl er seinen Dienern, ihn auf dem Rücken eines Maultiers vor ihm herzuführen. Die Diener, denen dies wehe tat, sagten zu Nureddin: »Erlaube uns, ihn mit Steinen tot zu werfen und in Stücke zu zerhauen, wenn es auch unser Leben kostet.« Nureddin sagte aber: »Tut dies nicht, ein Dichter hat gesagt:
»Mir ist eine Zeit bestimmt, die ich gewiß erreiche, und diese Bestimmung ist längst beschlossen und gesiegelt.«
»Ist diese Zeit vorüber, so muß ich sterben.«
»Wollten