Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf

Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias  Gotthelf


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wußte nicht was machen. Je hungriger ich wurde, desto verlegener wurde ich auch. Vor dem Hause mochte ich mich nicht zeigen, aus Furcht, es möchte mir jemand meinen Hunger und meine Verlegenheit ansehen. Ich trat in die Küche, in der Hoffnung, da vielleicht einen unerwarteten Fund zu thun; aber da war es so leer wie in einer Kirche; auch nicht ein Spähnchen Holz war zu sehen, auch ums Haus herum nicht, zu welchem Fenster ich auch, so verblümt als möglich, damit mich ja niemand sehe, hinausguggen mochte. Ich visitierte alle meine Habe, ob sich vielleicht da unverhofft etwas fände; alle meine Kacheli, zwei an der Zahl, meine Häfeli, d. h. eins, wurden oben und unten besehen, meine Pfanne ringsum, aber da war nirgends eine verschlossene Kaffeebohne oder ein vergessener Tropfen Milch. Was will aber einer essen, wenn auf der lieben Himmelswelt nichts da ist, ich frage?

      Nun, ich verlor den Mut nicht. Ich dachte: Die Leute meinten, du schliefest lange, und werden dir schon bringen, was du nötig hast, und die Kinder und die Weiber werden eins nach dem andern kommen mit Milch und Anken und Brot, kurz mit allem was sie haben. Ich machte die Pfanne zurecht und wischte die Kacheli mit meinem Kuttensecken aus, stellte alles schön zurecht und hätte Feuer angemacht, wenn ich Holz gehabt hätte und Feuerzeug. Da ich dieses nun nicht konnte, so stellte ich mich zwei Schritte hinter das Fenster und sah nach den Leuten, die Milch, Anken, Brot u. bringen sollten scharenweise. Es kamen Leute die Straße nieder, aber sie riefen nicht: Schumeister! sie klopften nicht an der Thüre — sie gingen vorbei.

      In den Häusern ringsum droschen sie, und wenn ein Mensch an die Straße, vor des Hauses Dach trat, so dachte ich: der wird kommen; allein auch der kam nicht. Niemand kam; kein Menschenkind kümmerte sich um den Schulmeister, und hatte ich doch gedacht, das ganze Dorf werde heute die Arbeit sein lassen und mit mir sich beschäftigen; hatte großen Kummer gehabt, wie all das Essen und Trinken versorgen, war darum lieber daheim geblieben und wollte mir die Liebeszeichen bringen lassen, um das Überflüssige sparen zu können auf den morndrigen Tag. Aber niemand kam, auch kein Mensch! Es verrann Stunde um Stunde. Die Sonne stund oben am Himmelsbogen; das Dreschen hörte auf; gewiß aß man in allen Häusern, — und der Schulmeister stund zwei Schritte hinter dem Fenster, war hungrig, durstig, müde vom Stehen, müde vom Luegen; aber das war, als ob es niemand etwas anginge. Endlich setzte ich mich auf den kalten Ofentritt und dachte, was da zu machen sei. Brachte mir niemand etwas, so mußte eingekauft werden, und was alles? Ach, als ich anfing nachzudenken, so hörte es gar nicht auf, was mir noch mangelte. Lebensmittel aller Art: Brot, Kaffee, Milch, Erdäpfel (die hatte ich gehofft überspringen zu können), Salz, Mehl, etwas schmutziges u.; dann hatte ich keinen Lichtstock, keine Stabelle, keinen Tisch (das, hatte ich geglaubt, werde im Schulhaus sein), keine Kaffeemühle, doch hoffte ich das Pulver geröstet und gemahlen kaufen zu können, wie auch reichere Leute thun. Kurz ich sah, daß ich noch gar vieles nicht hatte, nicht einmal einen Wasserzüber, und in der Pfanne tonnte ich das Wasser doch nicht wohl beim Brunnen holen. Endlich brach ich mit dem Denken ab, und griff in meinen Hosensack und zog mein Beutelchen hervor, das mein Vermögen barg. Ich zählte dreimal, aber ich brachte nicht mehr heraus als dreiundzwanzig Batzen. Ich dividierte nicht in die einzelnen Bedürfnisse, sondern war zufrieden, wenigstens genug für den ersten Hunger und Durst zu finden. Ich stellte mich etwas näher zum Fenster, um das Krämerhaus zu entdecken; aber da sahen mir alle Häuser akurat gleich aus, und nach diesem Hause fragen durfte ich nicht; ich fürchtete, die Leute möchten glauben, ich wolle sie beschämt und ihnen den Verstand machen, daß sie mir etwas geben sollten. So geriet ich aber immer tiefer ins Elend, und je länger ich wartete, desto weniger durfte ich mich zeigen, durfte nicht einmal an ein gewisses Örtchen gehen, das außerhalb der Hausthüre war, und Stunde um Stunde war wieder verronnen und die Sonne schlich dem blauen Umhang zu. Ich hatte mich aufs Bett geworfen und war ratlos. Da — horch, da kömmt man, da klopft man, da mit beiden Füßen vor die Thüre, und draußen stand der Bauer, der mich eingeladen hatte, und Berge fielen mir vom Herzen. Er sagte, sie hätten Feierabend gemacht und wollten z‘Nacht nehmen, und da habe er noch schehen wollen, ob ich noch lebe, daß man mich den ganzen Tag nicht gesehen, und ob ich kommen wolle und mit ha, da ich sie am Morgen nichts geschätzt.

      Man kann denken, daß ich zusagte und auch zugriff. Ich wurde ausgefrägelt, was ich den ganzen Tag gemacht hätte und bei wem ich gewesen wäre. Bei niemand, sagte ich, und über die erstere Frage mürmte ich etwas. Da die Frau aber sah, daß ich noch blutjung und nicht der Schlauste sei, so wußte sie es heraus zu kriegen, daß ich den ganzen Tag nichts gegessen und mich nicht vor das Haus gewagt habe. So eine Frau fragt verdammt gerne, weiß aber trefflich zu unterscheiden, wen sie fragen darf und fragen kann ober nicht, und weiß allfällig ihre Fragen so einzukleiden, daß man sie gar nicht merkt. Gar manche würde einen zehnmal bessern Diplomat abgeben, als zehn von eilfen unserer Diplomaten. Man bemitleidete mich; aber man lachte doch nicht wenig, und ich will wetten, von diesem Tage an stund das Urteil über mich fest im Dorfe. Man wird in jedem Hause gesagt haben: ich könne ein guter Schulmeister sein, man heyg nüt drwider, aber a grusam e-n-arme u-n-e schüche u für e Husbruch e-n-eifalte.

      Am folgenden Tag, auf die erschollene Nachricht hin, wie der Schulmeister e-n-arme syg, aus Gwunder das zu sehen, und weil die einen andern nicht zurückbleiben wollten, erhielt ich gar viel Präsente: äßigs Züg und Husrat, sogar Besen und einen Kübel. Nun war ich wieder in großer Verlegenheit. Ich konnte die Leute nicht sitzen heißen, wenigstens nicht alle, wenn mehrere waren. Dann sahen die Leute mit gar großen Augen in der Stube herum und blickten einander, und weil sie gehört hatten, ich sei e-n-eifalte, so glaubten sie, ich merke es nicht. Aber ich war mir meiner Armut bewußt; der Mangel drang sich mir auf; darum merkte ich das Blicken wohl, und ward um so verlegener. Man ist erst dann merkig, wenn man die Sache wohl kennt, welche mit Blick oder Wort angedeutet wird. Darum sind oft die stolzesten und vornehmsten Leute am wenigsten merkig, weil sie sich gar nicht träumen lassen, daß sie Fehler hätten und daß Untergebene diese Fehler merkten. Es muß aber ein Kluger sein, der das Blicken anwendet; er muß wissen vor wem und wem er blickt; denn wird ein solcher Blick ertappt und verstanden vom Unrechten, so hat man seine Karten, d. h. sich selbst verraten. Ich muß gestehen, daß ich später, als ich mich besser kannte und darum auch besser die Menschen, aus solchen Blicken, die andere meinetwegen wechselten, sehr oft ihre wahre Gesinnung gegen mich erriet, und vorbeugen und nachher vor ihnen mich in acht nehmen konnte. O es ist viel wert, einem recht scharf in die Augen sehen zu können, wie es auch beim Fechten die Hauptsache ist; und was ist das Leben am Ende als ein allseitg Fechten?

      Ich hatte auf den Sonntag die Kinderlehre zu studieren, und erfuhr nun zum ersten Mal, wie es einem zu Mute ist, wenn man auf eine bestimmte Stunde, die nicht zurückgeschoben werden kann, fertig sein soll mit dem Studium, von Anfang in der Angst, man möge nicht fertig werden, und dann beständig unterbrochen, an der Zeit verkürzt zu werden. O wie kömmt es einem da warm den Rücken auf und kraus vor die Stirne mnd im Munde schwellen die Worte auf, daß sie gar nicht mehr hinausmögen! Und wenn der Besuch auch fort ist, so kann man doch noch lange nichts machen, die Gedanken nicht sammeln, und je ängstlicher man wird, ob man wohl fertig werden möge, desto weniger kömmt man fort. Wer am meisten pressiert, lastet, der macht gewöhnlich am langsamsten. Besonders wenn einer zum erstenmale auftreten soll vor den Menschen als Redner, so durchkreuzen seinen Kopf die verschiedenartigsten Gedanken und Vorstellungen. Bangigkeit und Hoffnung kämpfen in der Seele; bald sieht man sich ausgelacht, bald hört man sich gerühmt, und mit großer Mühe muß man diesen ungebetenen Gästen Ruhe gebieten.

      Eingang und Anwendung hatte ich ordentlich auswendig gelernt, und ich fürchtete nicht, daß das mir fehle, besonders da ich das Papier mit mir nehmen wollte. Aber ich fürchtete das Katechisieren, und repetierte immer wieder den Müsli, und Prägte mir es tief ein, was mir mein Alter gesagt hatte, man müsse auf dromsigs Antworten gar nicht achten, sondern darüber wegfahren, sonst komme man neben den Weg, in den Haag. Und dann hatte ich wieder Angst, alles styf nach einander zu machen, wie es sich gehört, den Hut zuerst vor das Gesicht zu halten, dann zu singen, beten, Eingang, katechisieren, Anwendung; dann wieder beten, singen und wieder beten. Am meisten Angst machte mir das Hineintreten in die Stube und die wenigen Schritte bis zum Känzeli. O, dachte ich hundert Mal des Tages, wenn du nur einmal da oben bist, so wird es schon gehen.

      Am Sonntag verschlief ich mich nicht. Früh am Morgen und während der Predigt probierte ich manch liebes Mal das Hineingehen, das auf dem Känzeli stehen, und versuchte die Hände zu verwerfen. Je näher die Stunde kam, desto mehr klopfte


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