Am Jenseits. Karl May
bekanntlich sehr schnell; aber dennoch war meine Hanneh, die herrlichste Rose unter allen Blüten des Blumenreiches«, für ihn genausojungundschöngeblieben,wieersievordieserlangenZeitbeiihrem ersten Zusammentreffen gesehen hatte; ja, seine Liebe zu ihr schien gewachsen zu sein.
Sie war aber auch – ich möchte mich so ausdrücken: eine Prachtfrau! Ich glaube nicht, daß eine andere den kleinen, voll bunter Raupen steckenden Hadschi so richtig behandelt hätte, wie sie es tat. Sie beherrschte ihn vollständig, doch mit einer so liebevollen, stets freundlichen. scheinbar nachgebenden Klugheit, daß er ihr Pantöffelchen gar nicht fühlte und auch nicht die geringste Ahnung davon hatte, daß nicht er, sondern eigentlich sie der Scheik des Stammes war, wobei sich die Haddedihn allerdings sehr wohl befanden.
Eine seiner Eigentümlichkeiten war, daß er sich nicht nachhaltig in die Verhältnisse des Abendlandes denken konnte. Ich hatte es ihm in unzähligen, verschiedenen Bildern beschrieben, hatte ihm die zwischen dem europäischen und dem orientalischen Leben vorhandenen Unterschiede bei tausend Gelegenheiten geschildert, sah aber nicht den geringsten Erfolg davon. Er sprach trotzdem immer von meinen Zeiten, von meinen Kamelen und von meinen Dattelpalmen. Eine weitere Eigenheit von ihm war, daß er gern sprach, besonders sehr gern erzählte, und zwar in jenen orientalischen Redeblumen, welche gern zu Übertreibungen werden. Wenn ich ihn in dieser Weise sprechen lasse, ohne seine Vergrößerungen auf das richtige Maß zurückzuführen, so geschieht dies, um ihn nach der Wahrheit zu zeichnen, keineswegs aber um mich mit seiner Ausdrucksweise einverstanden zu erklären. Besonders wenn er von unsern Erlebnissen erzählte, nahm er den Mund in einer Weise voll, daß ich ihn häufig unterbrechen mußte. Der Orientale freilich ist das so gewöhnt, daß er gar nichts Auffälliges daran findet.
Seit er wußte, daß ich verheiratet war, sprach er gelegentlich auch von meinem »Harem«, von meinem Frauenzelte. Emma, den Namen meiner Frau, hatte er in Emmeh umgemodelt, und es verstand sich bei ihm ganz von selbst, daß die Verhältnisse dieser meiner Emmeh ganz genau dieselben wie diejenigen seiner Hanneh seien. Mein Harem durfte nicht den geringsten Vorzug vor dem seinigen besitzen, und durch die leiseste Andeutung eines Vorteiles des meinigen vor dem seinigen konnte ich ihn, wie man sich auszudrücken pflegt, fuchsteufelswild machen.
Zu erwähnen darf ich nicht vergessen, daß er sich früher alle mögliche Mühe gegeben hatte, mich zum Islam zu bekehren; aber die von ihm damals nicht geahnte Folge davon war, daß er jetzt Isa Ben Marrynam (Jesus, Mariens Sohn) hoch über Muhammed stellte; er war in seinem Innern Christ geworden und nicht nur seine Hanneh, sondern auch die meisten Haddedihn mit ihm.
Unsere früheren Reisen hatten wir meist allein oder doch mit nur geringer, gelegentlicher Begleitung unternommen; dieses Mal aber befanden wir uns in größerer Zahl beisammen, und das war folgendermaßen gekommen:
Der Araber ist der Ansicht, daß die Ehre um so größer sei, je länger der Name ist; darum pflegt er seinem Namen diejenigen seiner nächsten Vorfahren anzuhängen. So nannte sich Halef, als ich ihn kennen lernte, Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Sein Vater hatte also Abul Abbas und sein Großvater Dawuhd al Gossarah geheißen. Ihnen beiden und auch sich selbst gab er den Titel Hadschi, welcher einen Mohammedaner bezeichnet, der in Mekka gewesen ist. Dabei aber war weder er selbst noch sein Vater oder sein Großvater jemals dort gewesen.
Später kamen wir allerdings einmal nach dieser heiligen Stadt des Islam, aber nur für kurze Zeit; ich wurde als Christ erkannt, mußte fliehen und kam glücklicherweise mit dem Leben davon.
Seit jener Zeit war es einer meiner größten Wünsche, noch einmal nach Mekka zu gehen. Ich war erfahrener als damals, geübter in der Sprache und bewanderter in den Umgangsformen. Ich kannte jetzt die religiösen Gebräuche und alle darauf bezüglichen Maßregeln und Äußerlichkeiten so genau, daß ich gewiß sein konnte, für einen Mohammedaner gehalten zu worden. Erst jetzt sah ich es ein, welche Verwegenheit es damals von mir gewesen war, eine Stadt zu betreten, in welcher jeden Christen der fast sichere Tod erwartet, und um so reger wurde das Verlangen, es mit dieser Gefahr noch einmal, und zwar besser vorbereitet, aufzunehmen. Ich hatte den Islam und den größten Teil der von seinen Bekennern bewohnten Länder kennen gelernt; ich war zweimal in Kairwan gewesen, der den Christen damals auch streng verbotenen heiligen tunesischen Stadt, und hatte das Wagnis glücklich überstanden; warum sollte ich nicht wenigstens den Versuch machen, diesen meinen Wanderstudien durch einen längeren Aufenthalt in Mekka einen befriedigenden Abschluß zu geben? Freilich wußte ich gar wohl, daß dieses Unternehmen grad für mich gefährlicher als für jeden andern war. Die mohammedanischen Gegenden und Orte, wo man mich als Christen kennen gelernt hatte, waren gar nicht herzuzählen. Ich hatte mir da viele, viele Freunde erworben, aber auch manchen Schurken zum unversöhnlichen Feind gemacht. Dazu kam, daß meine Gesichtszüge leider so charakteristisch sind, daß sie sich selbst einem gewöhnlichen Gedächtnisse für lange Zeit, wenn nicht für immer, einprägen. Durfte ich erwarten, daß während meiner Anwesenheit in Mekka keiner von den vielen Menschen, die mich kennen gelernt hatten, dort sein werde? Also, ich wußte sehr wohl, was ich wagte; aber die Gefahr lockte fast noch mehr als der Wunsch selbst, und so nahm der Vorsatz, diesen letzteren auszuführen, schließlich eine solche Festigkeit an, daß es weiter nichts als nur der Gelegenheit dazu bedurfte.
Sie ließ nicht auf sich warten; sie stellte sich durch meinen diesmaligen Besuch bei den Haddedihn ein. Halef war gewöhnt, daß ich stets, wenn ich zu ihm kam, einen längeren Ausflug mit ihm unternahm. Als er mich fragte, welche Gegend ich jetzt besuchen wolle, und ich ihm nur das eine, aber bedeutungsvolle Wort Mekka sagte, erschrak er zunächst, fühlte sich dann aber, grad so wie ich, von der Gefahr doppelt angezogen. Für ihn war natürlich die Hauptfrage, was seine Hanneh, die »wohltätige Pflegerin seines Erdenglückes, dazu sagen werde. Wir besprachen darum erst alles unter vier Augen und begannen dann, hie und da eine vorsichtige Bemerkung fallen zu lassen, weiche auf unsere eigentliche Attacke vorbereiten sollte. Aber die kluge »Sonne unter allen Sternen des Frauenfirmamentes« durchschaute uns schon nach den ersten, leisen Andeutungen und forderte uns auf, nicht mit ihr Versteckens zu spielen, sondern mit der Wahrheit offen hervorzutreten. Dem Hadschi erschien das doch zu gewagt; er verschwand schleunigst aus dem Zelte, in welchem wir mit ihr saßen. Ich blieb und teilte ihr nun aufrichtig meine Absicht mit und den darauf bezüglichen Wunsch, daß Halef mich begleiten möge. Jetzt war ich voll gespannter Neugierde, was sie antworten werde. Sie sah eine Weile schweigend und überlegend vor sich nieder und sagte dann:
»Er soll dich nicht allein begleiten, Effendi; ich reite mit!«
Man mag sich mein frohes Erstaunen denken! Sie sah es mir an und fuhr lächelnd fort:
»Das hast du nicht erwartet? Und doch ist der Grund so leicht erklärlich! Ich weiß, daß du ein verständiger Mann bist und will dir darum eine Frage anvertrauen: Hast du in deinem Herzen einmal gefühlt, was Ischtijak el Waten (Heimweh) ist?«
»Ja«, antwortete ich.
»In deinem eigenen Herzen?«
»Ja.«
»So darf ich dir gestehen, daß ich diese Sehnsucht schon oft empfunden habe und auch noch jetzt in mir trage. Du weißt, daß ich eine Tochter der Ateibeh bin, und hast mich und meinen Stamm in der Nähe Mekkas kennen gelernt. Dort sind die lichten Tage meiner Kindheit verflossen, ich weiß nicht, ob du es glaubst, ich aber halte es für wahr, nämlich daß das Herz des Menschen, je älter er wird, um so mehr nach den Orten verlangt, welche seine Jugend gesehen haben. Ich liebe meinen Halef und auch Kara Ben Halef, meinen Sohn; ich bin glücklich in dieser meiner und in ihrer Liebe; aber neben diesem Glücke wohnt das Verlangen, die Matarih el Watan (Stätten der Heimat) einmal wiedersehen zu dürfen. Ich bitte dich, Halef nichts davon zu sagen, denn es würde ihn betrüben, zu erfahren, daß ich Sehnsucht leide! Für diese Verschwiegenheit sollst du die Erfüllung deines Wunsches haben. Er darf dich begleiten, und ich reite mit.«
»Und Kara Ben Halef, euer Sohn?« fragte ich.
»Ihn hier zu lassen, würde mir unmöglich sein; er geht auch mit. Ja, ich glaube, daß du noch größere Begleitung bekommst. Du weißt zwar, daß unsere Haddedihn den Propheten längst nicht mehr so verehren wie zu der Zeit, als sie dich noch nicht kannten, aber Mekka selbst ist vielen von ihnen doch noch eine wichtige Stadt, und wenn sie erfahren, daß wir hinwollen, wird mancher von ihnen sich bereit erklären,