Am Jenseits. Karl May
Mein Pferd, auch ein Rapphengst, war Assil (Der Edle) Ben Rih, ein gleichwertiger Sohn meines herrlichen Rih, welcher unter mir erschossen wurde. Die Kugel, welche ihn traf, hatte eigentlich meinem Herzen gegolten. Zahllose Briefe meiner Leserinnen und Leser sprechen von den Tränen, weiche beim Lesen seines Todes vergossen worden sind. Man braucht sich ihrer nicht zu schämen. Mir selbst werden noch heut die Augen naß, wenn ich an diese traurige, ergreifende Szene denke. Jetzt ritt ich, wie bereits gesagt, Assil, seinen ebenbürtigen Sohn, der mich schon mit hohen Ehren durch ganz Persien getragen hatte und ein hochedles Pferd war, auf welches ich mich in jeder Beziehung verlassen konnte. Er war mir lieber als Halefs Barkh.
Noch kurz vor unserm Aufbruche konnte Halef den dringenden Bitten seines Sohnes, doch auch für ihn ein Pferd mitzunehmen, nicht mehr widerstehen. Es wurde für ihn die herrliche Schimmelstute Kawamah (Die Schnelle) bestimmt, eine Tochter von jener weißen, berühmten Stute, welche das Pferd Muhammed Emins, des früheren Scheikes der Haddedihn, gewesen war.
Als wir dann unterwegs waren, bildeten wir mit den Kamelen, welche die Wasserschläuche und andere notwendige Sachen zu tragen hatten, eine ganz hübsche und, wie Halef sich stolz ausdrückte, »wie das Eigentum eines Königs aussehende« Kavalkade. Selbst bei Kamelen sehen Rassetiere eben ganz anders aus als gewöhnliche, vielleicht gar abgenutzte Exemplare! Hierbei will ich die vielleicht nicht ganz unnötige Bemerkung machen, daß man die Unwahrheit sagt, wenn man behauptet, das Kamel könne über eine Woche lang dürsten, und es komme vor, daß die Wüstenreisenden dadurch vor dem Tode des Verschmachtens gerettet werden, daß sie ein Kamel erstechen und das in dem Magen desselben befindliche Wasser trinken. Die Wahrheit ist, daß das Kamel in Beziehung auf das Futter genügsam ist und mit dornigen und stacheligen Gewächsen für lieb nimmt, welche kein Pferd fressen würde; es zeigt sich auch in dieser Hinsicht als brauchbares Wüstentier.
Sodann kann es infolge seines weiten Magens eine ungewöhnliche Menge Wasser zu sich nehmen, welche länger reicht als bei dem Pferde; aber schon am zweiten Tage hat es wieder Durst; am dritten wird es schwach und am vierten hinfällig, wenn es Lasten zu tragen hat. Es kommt ja auch auf die Leistungen an, welche man von ihm verlangt. Ich bin mit einem vorher tüchtig getränkten Bischarihnhedschihn, welches nach deutschem Gelde wohl 8000 Mark wert war, in drei Tagen und drei Nächten 450 Kilometer geritten, dann aber konnte es vor Durst nicht weiter. Und daß das Magenwasser genießbar sei, ist auch eine alte, ganz unbegründete Fabel. Ich habe viele Kamele kurz und auch später nach dem Tränken schlachten sehen, denn das Fleisch wird ja ganz gern gegessen; aber schon zwei Stunden nach der Annahme des Wassers hatte es das Aussehen von Urin und einen geradezu widerstrebenden Magengeruch. Dann wird es schnell dicker und dunkler, bis es nach kurzer Zeit das Aussehen und auch den Gestank von Jauche hat. Ich würde selbst im höchsten Grade des Durstes keinen Schluck von diesem Mistwasser trinken können, wenn ich auch wollte, und ich würde auch gar nicht wollen, weit ich überzeugt wäre, daß ich an dieser Jauche noch eher als infolge des Durstes sterben müßte. Leider wird die alte, wie es scheint, unausrottbare Fabel noch heut in Schul— und anderen Büchern weiter verbreitet!
Unser eigentlicher Weg wäre bei Hit über den Euphrat und dann in gerader Linie durch die Wüste nach Djof und von da nach Hail, dem Hauptorte des Dschebel Schammar, gegangen. Eine südlichere Linie geht von Hilleh aus um den Nedschef-See herum und später über den Dschebel Daharah direkt nach Hail. Wir hielten die Mitte zwischen beiden ein, gingen an dem Daharah weit vorüber und suchten das berühmte Wadi Rumeni zu gewinnen. Wadi heißt Flußbett und kann nach den dortigen Verhältnissen ein fließendes Wasser, aber auch eine ganz ausgetrocknete Mulde bedeuten.
Hier, also südlich vom Dschebel Daharah war es, wo ich mit Halef voranritt und das am Anfange dieses Kapitels erwähnte Gespräch über die abendländischen Eisenbahnen mit ihm hatte. Ich hatte ihm, wie von so vielen unserer Einrichtungen, auch schon wiederholt von unseren Eisenbahnen erzählt; ich hatte sie ihm beschrieben und ihm ausführlich erklärt, welchen Segen sie bringen und daß sie gar nicht zu entbehren seien. Ich hatte, um ihm das an einem Beispiele zu verdeutlichen, ihn auf die Pferdebahn hingewiesen, welche der so viel und so unschuldig verkannte Midhat-Pascha in Bagdad gebaut hatte, doch das alles vergeblich! Er, der sonst so kluge und einsichtsvolle kleine Mann, konnte sich aus seinem orientalischen Gesichtskreise nicht, herausfinden und hielt alles für unpraktisch oder gar für verwerflich, was nicht mit seinen Gewohnheiten und Erfahrungen übereinstimmte. So war es heut seinem orientalischen Gewissen gradezu als Sünde erschienen, daß es bei uns im Bahnwagen den beiden Geschlechtern erlaubt ist, beieinander zu sitzen. Das war doch ein Verbrechen gegen die allererste und oberste Haremsregel! Die Sache an sich verurteilte er bloß; sie brachte ihn nicht in Aufregung; aber daß ich sie guthieß und mich selbst an dieser Sünde beteiligt hatte, das erregte seinen Zorn und trieb ihn fort von mir!
Ich ließ ihn ohne Sorge zu seiner Hanneh gehen, der er, wie ich wußte, nun sein Herz ausschüttete. Sie pflegte ihm den Turban wieder auf die richtige Stelle zu rücken. Als ich mich einmal umdrehte, sah ich, daß er, neben dem Tachtirwan reitend, sehr angelegentlich mit ihr sprach. Seine Gesten waren dabei äußerst lebhaft; er schien seinen Standpunkt verteidigen zu müssen, also war anzunehmen, daß sie zu meinen Gunsten sprach. Nach einiger Zeit lenkte er sein Hedschihn wieder an die Seite des meinigen, doch sagte er noch nicht gleich etwas, denn die Strafpredigt, welche er mir vorhin gehalten hatte, war so energisch gewesen, daß es ihm jetzt nicht leicht wurde, in Freundlichkeit wieder einzulenken. Er hustete; er räusperte sich wiederholt; endlich begann er:
»Sihdi, denkst du noch an eure Eisenbahnen?«
»Nein«, antwortete ich.
»Aber du scheinst doch so tief in Gedanken zu stecken. Darf ich erfahren, was für welche es sind?«
»Ich denke an die Unzuverlässigkeit der Freundschaft.«
»Das geht natürlich auf mich?«
»Ja.«
»Meine Freundschaft ist gar nicht unzuverlässig; aber sie kann sich nicht gut an die Wagen bei euch gewöhnen, in denen Frauen, Mädchen und fremde Männer beisammensitzen. Das Allerschlimmste ist, daß du selbst auch mit dabeigesessen hast!«
»Glaubst du, daß mir das geschadet hat?«
»Dir? O nein, gewiß nicht?«
»Oder den Frauen und Mädchen?«
»Denen? Gewiß auch nicht, denn du bist ein feiner, ein vornehmer Effendi, der sehr gut weiß, wie er sich zu benehmen hat.«
»Nun, wenn es weder ihnen noch mir etwas geschadet hat, warum bist du da so erzürnt darüber?«
»Weil – hm! – weil es sich nicht schickt!«
»Wer behauptet das?«
»Ich!«
»Du? Das genügt mir nicht. Wer noch?«
»Jeder vernünftige Mann!«
»So? Ich behaupte aber das Gegenteil, bin also ein unvernünftiger Mensch. Ich danke dir, Halef!«
»Sihdi, so – — – habe ich es nicht gemeint; so darfst du es nicht nehmen! Ich kenne dich ja und ich weiß also, daß grad du so viel Vernunft besitzest, daß sie für zehn andere Personen mehr als ausreichen würde. Dich habe ich am wenigsten beleidigen wollen!«
»Nun, wenn ich eine so bedeutende Portion von Vernunft besitze, so bin ich wohl auch befähigt, über unsere Eisenbahnen zu urteilen. Ich nehme an, daß du mit Hanneh darüber gesprochen hast?«
»Ja.«
»Was sagte sie?«
»Ich erzählte ihr, was ich über eure Eisenbahnen von dir gehört hatte, und fragte sie nach ihrer Meinung.«
»Nun? Wie lautete diese?«
»Sihdi, ich kann dir fast nicht wiedersagen, was ich aus dem Munde meiner Hanneh hörte, welche doch der Inbegriff der Zusammenfassung aller weiblichen Klugheit ist. Sie gab dir nämlich recht!«
»Das dachte ich!
»Wirklich? Du dachtest es? Warum? Ich dachte es nicht!«
»So scheine ich deine Hanneh besser zu kennen als du. Sie will nicht, wie andere Frauen des Orientes, nur die willenlose Spielpuppe ihres Mannes sein, die er vor andern Leuten nicht