Am Jenseits. Karl May

Am Jenseits - Karl May


Скачать книгу
Wohin?«

      »Nach Mekka.«

      »Ohne mich?!«

      »Ja. Er hielt dich für tot und hatte dich schon eingescharrt. Als er mit seinen Leuten fortgeritten war, nahm ich dich aus dem Grabe und fand, daß du noch lebtest. »

      »Tot? Begraben schon?« fragte er entsetzt. »Allah sei mir gnädig! El Ghani weiß doch, daß ich stets sehr bald wieder zu mir zurückkehre!«

      Mit diesen Worten hatte er mir sein Geheimnis schon halb verraten, ohne es in seiner Aufregung zu bemerken; die andere Hälfte dachte ich mir hinzu. Darum fragte, wie man sich auszudrücken pflegt, ich ihn grad auf den Kopf:

      »Wie lange pflegtest du in solchen Fällen gewöhnlich nicht bei dir zu sein?«

      »Nur einige Stunden«, antwortete er prompt.

      »Du wußtest dann, wo du gewesen warst?«

      »Ja, ganz genau.«

      »Und dieses Mal hat es länger als zwei volle Tage gedauert. Es handelte sich auch nicht bloß um den bei dir üblichen Zustand, sondern du warst scheintot. Die Anstrengungen des langen Rittes und die Entbehrung des Wassers, der Einfluß deiner Nervenkrankheit, die ich allerdings nicht wie du als den ,Beweis der höchsten geistigen Gesundheit‘ bezeichne, und dazu der Umstand, daß du ein außerordentlich starker, mit Tabak durch und durch vergifteter Raucher zu sein und darum sehr wenig zu essen scheinst, diese und vielleicht auch noch andere Gründe, welche ich nicht kenne, haben zusammengewirkt, den Zustand herbeizuführen, den wir als scheintot bezeichnen.«

      »Scheintot!« sagte er. »Zwei volle Tage habe ich gelegen! Solltest du recht haben. Es wäre entsetzlich gewesen, wenn ich begraben worden wäre, ohne wirklich tot zu sein! Scheintot! Es gibt ja überhaupt keinen wirklichen Tod, denn das, was ihr so nennt, das ist eben nichts anderes als scheinbarer Tod. Es ist das Ablegendes irdischen Kleides, welches wir unter dem Namen ,Körper‘ hier getragen haben, aber niemals wieder tragen werden. Dieser Körper bleibt zurück, um sich in seine Grundbestandteile wieder aufzulösen, die Seele aber, die in ihn gekleidet war, wird auf ewig frei von ihm, der sie beengte.«

      Diese Weise, sich auszudrücken, machte mich stutzig. Er sprach da nicht wie ein frommer, gläubiger Muhammedaner; darum konnte ich es nicht unterlassen, einzufallen:

      »Damit befindest du dich mit den Lehren Muhammeds und allen Auslegungen des Kuran in direktem Widerspruch.«

      »Nein«, antwortete er. »Bedenke, daß der Prophet und seine Nachfolger nicht nüchterne Abendländer, sondern Orientalen waren und als solche die Gewohnheit hatten, sich nicht streng treffend, sondern bildlich auszudrücken! Wenn Hadschi Halef dich den größten Gelehrten des Morgen und des Abendlandes nennt, so habe ich das nicht wörtlich, sondern nur in dem Sinne zu nehmen, daß du mehr gelernt hast und mehr weißt als viele andere gewöhnliche Gelehrten. Sogar die christliche Bibel hat man von diesem Gesichtspunkte aus zu lesen und zu beurteilen, weil die Verfasser der in ihr enthaltenen Bücher auch Orientalen waren.«

      »Damit leugnest du also, daß diese Bücher von dem Geiste Gottes eingegeben worden sind?«

      »Nein; aber er hat durch orientalische Zungen gesprochen, falls die Annahme dieser Eingebung nämlich nicht eine irrtümliche ist. Gottes Geist kann natürlich nicht ein spezifisch morgenländischer sein.«

      »So nennst du es also bildlich gemeint, daß die Elemente die aufgelösten und zerstreuten Körperteile bei der Auferstehung nicht zurückgeben werden? Daß der Auferstehende seine Gebeine von der Erde, sein Blut von dem Wasser, sein Fleisch und sein Haar von der Pflanze und sein Leben von dem Feuer zurückerhalte?«

      »Das ist eine altpersische Lehre, du kennst also den Parsismus?« fragte er erstaunt. »Warum nimmst du dein Beispiel nicht aus der Bibel, von weicher wir doch sprechen? Doch« fuhr er schnell fort »ich vergesse, daß du ja gar nichts aus ihr beweisen kannst, weil sie dir unbekannt ist!«

      Da fuhr ich fort:

      »Ich weiß, daß sie von der Auferstehung des Fleisches spricht.«

      Stellen anzugeben, glaubte ich, unterlassen zu müssen, weil es verheimlicht werden sollte, daß ich Christ war. Zu meiner Verwunderung antwortete er mir:

      »Der Apostel Paulus sagt: Es wird gesäet ein irdischer Leib, und auferstehen wird ein geistiger Leib; gibt es einen irdischen Leib, so gibt es auch einen geistigen Leib.

      Jetzt war die Reihe, zu erstaunen, an mir. Dieser Muhammedaner kannte die Briefe an die Korinther! Er fuhr gleich fort:

      »Durch das Zusammenwirken der Seele und des Leibes in diesem Leben bildet sich ein zweiter, für uns unsichtbarer Leib, welcher, für uns unbemerkbar, die Poren des irdischen durchdringt und die Verbindung zwischen ihm und der Seele herstellt; er entsteht aus den unwägbaren Stoffen des sterblichen Leibes und geht nicht mit diesem verloren, sondern begleitet die Seele in die Ewigkeit. Dieser für unser Auge nicht erkennbare Leib ist es, welchen der Apostel, also auch die Bibel meint, wenn von der Kijahma des Leibes die Rede ist.«

      »Das war so ungefähr die Ansicht des Abu en Nasranija (Kirchenvater) Origenes.«

      Jetzt wunderte wieder er sich über mich.

      »Du kennst Origenes?« rief er aus. »So bist du ja noch unterrichteter, als ich dachte! So wirst du mich also vielleicht verstehen, wenn ich sage, daß ich den Tod nicht fürchte, weil er nichts weiter ist als die Ablegung des groben Kleides, weiches hier die Seele und den geistigen Leib zu schützen hatte. Beide bedürfen nach dem Tode dieses Schutzes nicht mehr. Freilich ist das Ablegen dieses groben Leibes, also der Tod, nicht so leicht und so schmerzlos wie das Entfernen eines gewöhnlichen Gewandes, und darum erschrak ich vorhin, als du sagtest, daß ich scheintot gewesen sei. Ich kann nicht glauben, daß dies richtig ist, sondern nehme vielmehr an, daß du dich geirrt hast. Mein Körper ist es gewöhnt, von der Seele zeitweilig verlassen zu werden, und wenn sie in diesem Falle zwei Tage abwesend gewesen ist, also viel länger als es sonst der Fall zu sein pflegte, so darf man dies doch noch nicht als Scheintod bezeichnen, von weichem es nur ein kleiner Schritt ins Grab hinunter ist.«

      Bei dieser Äußerung, die geeignet war, unser um die Errettung des Müned‘schi wohlerworbenes Verdienst zu schmälern, nahm Halef das Wort. Der letzte Teil des Gespräches hatte ihm schon nicht gefallen, und nun er glaubte, um den Dank, welchen er beanspruchte, gebracht werden zu sollen, fuhr er in beinahe zornigem Tone auf:

      »Noch ein Schritt? Also denkst du, dich noch außerhalb desselben befunden zu haben? Du lagst ja schon drin, vollständig drin im Grabe, und es war auch schon fast ganz zugeworfen; nur dein Gesicht war noch frei! Wenn deine Seele die üble Angewohnheit hat, den Körper öfters zu verlassen, um neugierig in der Weit herumspazieren zu gehen, so kann ich nichts dagegen haben, denn sie ist nicht meine Seele, welcher ich solche Unbedachtsamkeiten freilich nicht gestatten würde, denn wenn sie einmal den Rückweg verlieren oder gar vielleicht vergessen sollte, wem sie angehört, so irrt sie dann als unernährte, gattenlose Witwe im Weltall herum, und ich liege da, ohne zu wissen, wo ich sie zu suchen habe und wen ich nach ihr schicken soll! Daß mir das, und warum es mir im höchsten Grade unangenehm sein würde, das brauche ich dir wohl nicht erst lange zu erklären! Es will doch jeder vernünftige Mensch im faktischen Besitze seiner rechtmäßigen Seele sein, ohne ihr gestatten zu müssen, mit freundlichem Lächeln wie die Frauen und Töchter des Abendlandes auf den Eisenbahnen herumzufahren. Beliebt es dir, von dieser vorsichtigen Behandlung der Bewohnerin deines Körpers eine Ausnahme zu machen, so habe ich, wie bereits gesagt, nichts dagegen einzuwenden, zumal du uns mitgeteilt hast, daß sie bisher stets schon nach kurzer Zeit und pünktlich wieder zurückgekehrt ist, obwohl für eine leichtsinnige Seele auch das schon vollständig genügt, verschiedene Allotria und sonstige Dinge zu treiben, die ihr eigentlich verboten sind. Aber bedenklich, höchst bedenklich wird die Sache, wenn sie auf einmal anfängt, gleich zwei volle Tage wegzubleiben! Das ist doch unbedingt gegen den inzwischen leblosen Körper eine Rücksichtslosigkeit, die er sich unmöglich gefallen lassen kann, zumal es ihm in seiner Pflichttreue und Ordnungsliebe niemals eingefallen ist, auch einmal ohne sie spazieren zu gehen und sie einsam und ohne Subsistenzmittel zu Hause sitzen zu lassen! Daß du dir auch das gefallen lassen willst, nun, ich kann es ja nicht ändern, sondern nur sagen, daß ich an deiner Stelle sehr energische


Скачать книгу