Am Stillen Ozean. Karl May

Am Stillen Ozean - Karl May


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sah mich mit offenem Munde und unsäglich erstaunter Miene an.

      »Da – hi – nüber – ? Hört, Charley, einer von uns beiden ist verrückt, entweder Ihr oder ich; doch will ich Euch offen gestehen, daß ich meine Sinne vollständig im Kurse habe. Will der Mensch da nach Backbord hinab und segelt gradewegs nach Steuerbord hinauf!«

      Ich mußte lachen.

      »Sagt einmal, Kapt’n, was Ihr da unten im Backbord wollt?«

      »Ziegen schießen, was denn anderes?«

      »Well! So versucht es einmal. Ich zahle Euch zehn Dollars für jede, die sich von Euch schießen läßt!«

      »Ihr wollt doch nicht etwa sagen, daß ich nicht zu schießen verstehe!«

      »Nein, aber ich will sagen, daß sie Euch direkt im Winde haben.«

      »Im Winde? Charley, nehmt mir’s nicht übel, aber hier hört Eure Natur – und Suppenforscherei vollständig auf! Was soll eine Ziege vom Winde verstehen? Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich diese Mauer hier nicht mit emporklettere. Macht, was Ihr wollt; ich aber werde nicht mit zerbrochenem Halse an Bord zurückkehren!«

      Er wandte sich wirklich nach Backbord und stampfte und dampfte hustend und pustend davon. Ich mußte mich sputen, wenn ich mir die Jagd nicht verderben lassen wollte. Uebrigens hätte ich ihn gar nicht von mir gelassen, wenn ich nicht gemeint hätte, aus seinem Verhalten Nutzen zu ziehen.

      Ich klimmte schnell empor und erreichte den Grat, hinter welchem die Höhe schroff in ein Seitenthal abfiel. Den Stock als Stütze und Balancier gebrauchend, rutschte und fuhr ich Mehr, als ich ging, hinab und eilte dann links weiter, bis wo die Schlucht in das Thal mündete, nach welchem sich mein guter Frick Turnerstick gewandt hatte. Hier lehnte ich mich hinter einen Felsen und wartete, den Henrystutzen in der Hand, welchen ich statt der Büchse mitgenommen hatte.

      Ich brauchte nicht lange zu warten, denn kaum stand ich zwei Minuten hier, so kamen sie angaloppiert in eiliger Flucht, alle die Ziegen, von denen der tapfere Kapitän auf jeden Schuß zwei hatte treffen wollen. Das Hauptthal machte kurz vor mir eine Biegung: die Tiere konnten mich nicht sehen und liefen mir gerade in das Feuer. Zwei, drei, fünf, sechs Schüsse, dann waren sie vorüber, und sechs Tiere lagen am Boden. Eben wollte ich vortreten, als ich etwas heftig ächzen und schnauben hörte. Es kam förmlich wie eine Lokomotive angepufft und blieb erstaunt vor den getroffenen Ziegen halten. Es war der Kapitän.

      »Tausend Geißen! Was ist das? Wer hat diese Gemsen geschossen?« rief er.

      Ich trat, herzlich lachend, hervor.

      »Ich, wenn Ihr nichts dagegen habt, Sir!«

      »Ihr? Charley, Ihr? Wie kommt Ihr hierher?«

      Der gute Frick riß vor Erstaunen den Mund auf, als wenn er alle seine »tausend Geißen« auf einmal verschlingen wolle.

      »Da oben von der Mauer herunter. Ich versprach Euch für jede Ziege, die sich von Euch schießen lassen würde, zehn Dollars. Wie viel habe ich zu bezahlen?«

      Er machte ein höchst verlegenes und verdrießliches Gesicht.

      »Ja, Charley, dieses Viehzeug ist mir wahrhaftig durchgebrannt, ehe ich nur dazu kommen konnte, die Piratenflagge aufzuhissen. Da habe ich alle Leinwand aufgezogen und bin ihnen nachgesegelt, daß meine Lunge bläst, wie der Teifun gestern. Wie will ich da vor Anker gehen, Atem holen, das Gewehr vom Rücken bringen, zielen, losdrücken, schießen und treffen können! Ihr dürft von einem wackeren Seemanne nicht sechsmal mehr verlangen, als ein anderer zu leisten vermag!«

      »Habe ich verlangt, daß Ihr sechsunddreißig Ziegen schießen sollt?«

      »Sechsunddreißig? Wie kommt Ihr auf diese Nummer?«

      »Hier liegen meine sechs; sechsmal mehr habt Ihr gesagt, und sechsmal sechs ist sechsunddreißig.«

      »Hm, die Rechnung stimmt,« antwortete er, erst sein Gewehr und dann meine Ziegen ansehend. »Hört, Charley, sollten diese Kreaturen wirklich etwas vom Winde verstehen?«

      »Natürlich. Sie haben einen ausgezeichneten Geruchssinn, und außerdem werden sie Euch wohl gehört und gesehen haben, denn groß und breit genug seid Ihr ja, und Eure Lunge hörte ich schon achtzig Schritte weit.«

      »Hört, Charley, soll ich etwa wegen einer Ziege ersticken? Fällt mir gar nicht ein! Wer meine Lunge nicht vertragen kann, der – der – — «

      Er war so ärgerlich, daß er einen Nebensatz angefangen hatte, ohne den Hauptsatz finden zu können. Ich lachte herzlich und reichte ihm die Hand hinüber.

      »Grämt Euch nicht, Sir! Wir haben hier sechs feiste Tiere, und mehr brauchen wir nicht für heute.«

      »So? Meint Ihr?« funkelte er mich an. »Und was werden sie auf dem Schiffe dazu sagen? Master Charley hat alles geschossen, und der Kapt’n nichts, gar nichts. Ich will auf der Stelle gekielholt sein, wenn ich eher gehe, als bis ich auch meine sechs geschossen habe, hört Ihr’s? Sechs, wenigstens sechs! Ich weiß nun, daß diese Tiere den Wind verstehen, und werde mich danach verhalten. Geht Ihr mit, oder bleibt Ihr da?«

      »Natürlich gehe ich mit, doch werde ich Euch bitten, vorher noch ein wenig zu warten.«

      »Warum? Ich habe keine Zeit, sonst läuft das Viehzeug immer weiter fort, und ich komme ihm all mein’ Lebtage nicht nach!«

      Ich konnte nicht umhin, ich mußte wieder laut auflachen.

      »Glaubt Ihr denn wirklich, daß Ihr diese Ziegen einholen könnet? Helft mir, diese sechs unter die Zweige zu bringen und mit einigen Steinen zu beschweren, und dann werden wir ja einen Ort finden, wo Ihr zum Schusse kommen könnet!«

      Wir brachten auf diese Weise die Beute einstweilen in Sicherheit und wandten uns dann einer andern Höhe zu, von welcher aus wir das unter uns liegende Terrain beobachten konnten. Dieser Weg wurde dem Kapitän wieder außerordentlich schwer. Er stöhnte mich an:

      »Halt, Charley! Ich laviere in die Kreuz und Quere und komme doch nicht weiter. Gebt mit Euern Bambus!«

      »Sollte ich ihn nicht über Bord werfen?«

      »Habe ich mich etwa, so wie Ihr, auf allen Breiten herumgedrückt, um Land und Leute kennen zu lernen, he? Kann ich also wissen, wie alles gemacht werden muß? Wie man einen Dreimaster in einen Hafen bugsiert, das kenne ich ganz genau; auf welche Weise aber ein Kapitän zur See diesen unkultivierten Felsen in die Zähne zu beißen hat, das habe ich noch nicht gesehen. Also, alle Mann an Deck und weiter mit der Fahrt!«

      Jetzt ging es mit Hilfe des Bergstockes leichter und schneller vorwärts. Wir kamen oben an und bemerkten jenseits unten im Thale eine zahlreiche Herde, welche ruhig graste. Der Kapitän wollte, wie vorhin, gerade auf die Tiere zu. Ich hielt ihn zurück.

      »Halt, Mr. Turnerstick; auf diese Weise vertreibt Ihr sie wieder. Steigt hier rechts hinab; da ist der Weg sehr leicht, und stellt Euch dort unter jenen Kiri-Holzbaum. Ich gehe links hinunter und treib’ Euch die Ziegen gerade in den Schuß.«

      »Well, so lasse ich es mir gefallen. Macht, daß Ihr hinunter kommt; ich muß in fünf Minuten sechs haben!«

      »Mit zwei Kugeln?«

      »Pshaw! Ich schieße allemal ihrer drei durch und durch!«

      »Wird schwierig sein! Wollt Ihr nicht lieber meinen Henry-Stutzen nehmen? Ich habe ihn wieder geladen, und er hat fünfundzwanzig Schüsse, welche Ihr abgeben könnet, ohne laden zu müssen.«

      »Das ist ja ganz außerordentlich profitabel! Gebt her, und zeigt mir, wie mit dem Dinge umzugehen ist!«

      Ich erklärte ihm die Konstruktion; dann eilte er, nachdem er mir die Sonntagsbüchse eingehändigt hatte, von dannen. Es war wirklich urkomisch, seine breite Gestalt an dem Bergstocke mit weit gespreizten Seemannsschritten hinabwiegen und balancieren zu sehen.

      Ich war viel eher zur Stelle, als er. Sobald ich ihn unter dem Kiri wußte, pirschte ich mich auf die Tiere zu und drückte auf etwa achtzig Schritte zweimal los. Beim ersten Schusse stürzte das Tier im Feuer, der zweite aber hatte, da ich des Gewehres nicht sicher war, weniger gut getroffen; die Ziege


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