Das Vermaechtnis des Inka. Karl May

Das Vermaechtnis des Inka - Karl May


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habe nämlich einen sehr triftigen Grund zu dieser Erkundigung, Señor. Es ist ein Neffe bei mir zu Besuch, welcher nur auf eine günstige Gelegenheit wartet, um über die Anden nach Lima zu gehen.«

      »Wie alt?«

      »Sechzehn Jahre.«

      »Dann soll er lieber hier bleiben!«

      »Er muß hinüber. Er wäre schon längst fort, wenn ich einen tüchtigen und zuverlässigen Sendador (Wegweiser, Pfadfinder) gefunden hätte, dem ich den Knaben anvertrauen kann. Uebrigens ist er für seine Jahre körperlich und geistig sehr gut entwickelt.«

      »Aber, Señor, bedenken Sie die Gefahren, welche des Reisenden auf diesem Wege lauern!«

      »Ich habe es bedacht. Diese Gefahren werden desto geringer, je zuverlässiger und erfahrener die Reisenden sind. Sie wollen über die Anden. Fast möchte ich eine Frage aussprechen und eine Bitte an dieselbe knüpfen.«

      Er sah den Vater Jaguar erwartungsvoll an und fügte, als dieser schweigend vor sich niederblickte, hinzu:

      »Natürlich würde ich eine solche Gefälligkeit so reichlich honorieren, wie meine Mittel es mir erlauben.«

      Hammer schüttelte leise den Kopf, indem er antwortete:

      »So etwas läßt sich nicht honorieren. Ich bin als Yerbatero (Theesucher) im Gran Chaco, als Gambusino (Goldsucher) in Peru, als Chinchillero (Pelzjäger auf Chinchillas) in den Anden und als Cascarillero (Chinarindensammler) in Brasilien herumgestiegen. Meine Gefährten haben mich überall begleitet. Gefahren fürchten wir nicht, denn wir sind ihnen gewachsen, nämlich solange wir uns unter uns befinden. Die Gegenwart eines andern aber, zumal eines unerwachsenen, also unerfahrenen Begleiters würde uns nicht nur unsrer innern, sondern infolgedessen auch unsrer äußern Sicherheit berauben, so daß wir kaum im stande sein möchten, das Vertrauen, welches man in uns zu setzen hätte, zu rechtfertigen.«

      »Sie sprechen, wie ein vorsichtiger und ehrenwerter Mann sprechen muß, Señor; aber so unerfahren, wie Sie meinen, ist mein Antonio nicht. Er reitet und schießt ausgezeichnet und ist schon zweimal über die Anden herüber in Bolivia gewesen, die Seereise von Peru hierher gar nicht gerechnet. Er ist kräftig, ausdauernd, unternehmend und anspruchslos, so daß er Entbehrungen und Anstrengungen nicht sehr achtet. Da ist er ja. Sehen Sie ihn sich an, und sprechen Sie mit ihm, Señor! Seine Eltern sind auch Deutsche. Ich denke, dieser letztere Umstand wird geeignet sein, als Fürsprache bei Ihnen zu gelten. Komm her, Antonio! Dieser Señor will nach Peru hinüber. Möchtest du mit ihm gehen?«

      . »Mit keinem so gern wie mit ihm!« antwortete der Knabe sofort und in freudigem Tone.

      Er war wirklich ein ungewöhnlich starker und auch hübscher junge. Sein von der Sonne bräunlich gefärbtes Gesicht hatte charakteristische Züge, welche auf selbständiges Denken und Handeln schließen ließen. Sein Haar war dunkel, aber das Blau seiner Augen und der ehrliche, offene Blick derselben ließen die germanische Abstammung deutlich erkennen. Er selbst schien dem Vater Jaguar ebenso sehr wie seine Antwort zu gefallen, denn dieser streckte ihm die Hand entgegen, zog ihn näher zu sich heran, strich ihm liebkosend über den Kopf und sagte:

      »Also gern würden Sie mitgehen? Aber die Anstrengungen, das lange Reiten?«

      »O, das halte ich nicht nur aus, sondern ich habe es sogar sehr gern.«

      »Und der Weg durch den fürchterlichen Gran Chaco, die Jaguare und die Indianer?«

      »Die fürchte ich nicht. Ich weiß mein Gewehr und mein Messer zu führen,« antwortete der Knabe, indem seine Augen blitzten und seine Wangen sich röteten.

      »So! Also mutig ist man. Was hat man denn sonst gelernt, mein verwegener junger Señor?«

      Bei dieser Frage bemächtigte sich des Jünglings eine kleine, sichtbare Verlegenheit; er antwortete aber, sie schnell überwindend:

      »Ich weiß gar wohl, Señor, daß die Knaben meines Alters drüben in Deutschland schneller vorwärts schreiten und ihre Ziele leichter erreichen als wir, da sie bessere Schulen und Lehrer haben. Aber ich besuche das Institut für Kunst und Gewerbe, da ich der Nachfolger meines Onkels werden soll; Vater hält mir und dem Bruder einen deutschen Hauslehrer, und später werde ich eine deutsche Universität besuchen. Wollen Sie mich examinieren, so will ich sehr gern antworten.«

      »Das will mir wohl gefallen, denn so spricht keiner, welcher der Letzte auf der Schulbank ist. Zum Examinator bin ich nicht berufen; aber für den Ritt über die Pampas und die Anden würden Sie wohl gute Lehrer an uns haben. Und ein Deutscher sind Sie? Aber freilich wohl nur der Abstammung nach?«

      »Nein, Señor, sondern mit meinem ganzen Herzen. Ich bin nicht drüben geboren, halte aber doch das schöne Deutschland für mein Vaterland. Um ein Deutscher und zwar ein ganzer Deutscher zu sein, braucht man nicht drüben zu wohnen, denn Alldeutschland ist an jedem Orte, da wo die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt.«

      Er hatte dies aus vollstem Herzen gesagt. Der kleine, rote Privatgelehrte sprang begeistert auf, breitete die Arme aus und rief:

      »Ja, wo des Deutschen Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt! Das Lied ist gedichtet von Ernst Moritz Arndt, am 26. Dezember 1769 in Schoritz auf Rügen geboren und am 29. Januar 1860 in Bonn gestorben. Komponiert wurde es von vielen Tonsetzern. Meine Lieblingsmelodie ist diejenige von Heinrich Marschner, für vierstimmigen Männerchor in C dur gesetzt. Ich bin Mitglied des Jüterbogker Gesangvereins “Deutsche Lyra” und singe ersten Baß, vom großen As bis zum eingestrichenen e hinauf und habe bei Konzerten die Noten auszugeben, da ich Bücherwart des Vereins bin. Hurra! “Was ist des Deutschen Vaterland? Allüberall wird es genannt. O Gott vom Himmel sieh darein: Der ganze Erdkreis wird’s noch sein!” So ungefähr wird’s wohl lauten, denn auswendig kann ich es nicht, da es keine vorsündflutliche Ausgrabung ist.«

      Die Begeisterung des Kleinen nahm sich höchst possierlich aus, und doch war sie sehr ernsthaft gemeint. Der Vater Jaguar nickte dem Knaben freundlich zu und sagte:

      »Recht So, mein lieber Señorito! (Kleiner Herr, Herrchen). Es geht auch älteren Leuten, als Sie sind, das Herz auf, wenn vom heiligen Vaterlande die Rede ist. Sie scheinen ein braver Knabe zu sein, und so will ich es mir überlegen,

      ob es möglich sein wird, den Wunsch Ihres Oheims zu erfüllen.«

      »Thun Sie es, Señor, thun Sie es!« bat der Knabe. »Ich werde Ihnen gern gehorchen und mich in alles schicken.«

      »Ja, thun Sie es!« bat auch der Bankier. »Sie erweisen mir damit einen großen, sehr großen Dienst.«

      »Es kommt nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Gefährten an,« antwortete der Vater Jaguar. »Wir werden uns besprechen. Bange dürfen Sie um den Knaben nicht sein, denn von Santa Fe aus, wo der Ritt beginnen würde, sind wir vierundzwanzig Mann, von denen kein einziger sich vor dem Schlimmsten fürchtet. Freilich würde die Reise anders, besonders langsamer, vor sich gehen, als Sie sich denken. Ihren Neffen glücklich hinüberzubringen, das kann für uns nur nebensächlich sein, da wir andre Aufgaben zu lösen haben, die sich nicht aufschieben lassen. Eine Abteilung von uns wird im Gran Chaco bleiben, um dort Thee zu sammeln.«

      »lm Gran Chaco?« fragte da der kleine Gelehrte. »Gibt es dort nicht auch Versteinerungen, Señor Hammer?«

      »Erst recht! Mehr als anderswo! In der Pampa hat man schon überall gesucht, im Chaco aber nicht, weil sich wegen der dortigen Indianer kein Forscher hingetraute.«

      »So ist der Boden dort noch jungfräulich in dieser Beziehung?«

      »Ja. Ich weiß Orte, an denen man nur nachzugraben braucht, um ausgezeichnete Funde zu machen.«

      »Hurra! Da lasse ich Pampa Pampa sein, und gehe mit nach dem Gran Chaco! Einen solchen Vorteil, lateinisch Fructus und auch Commodum genannt, darf ich mir unmöglich entgehen lassen!«

      »Nicht so rasch, mein Lieber! Von Buenos Ayres bis in den wilden Chaco kommt man nicht so leicht, wie von Jüterbogk nach Berlin. Und dort gibt’s auch keine deutschen Männergesangvereine. Sie könnten leicht mit Ihrem schönen ersten Baß den Todesgesang anstimmen müssen.«

      »Wenn auch! Geben mir die Indianer


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