Das Vermaechtnis des Inka. Karl May

Das Vermaechtnis des Inka - Karl May


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Zeit verloren werden. Morgen früh wäre es vielleicht schon zu spät. Er darf gar nicht bis vor die Polizei kommen. Wenn man erfahren könnte, welches Zimmer er bewohnt!«

      »Ich weiß es.«

      »Nun?«

      »Ich wartete, bis er in das Haus getreten war, und stieg dann über den Zaun in den Garten. Glücklicherweise hat die Quinta keine Höfe und Mauern; sie steht mitten im Garten, so daß man rund um sie gehen kann. Bald nachdem er in der Thür verschwunden war, wurde auf der hintern Seite des Hauses ein oberes Zimmer hell. Er hatte seine Lampe angebrannt.«

      »Das kann auch eine andre Person gewesen sein.«

      »Nein, denn er kam an das offene

      Fenster, um es zu verschließen. Ich sah ihn deutlich stehen.«

      »Wie viele Fenster hatte das Zimmer?«

      »Zwei.«

      »Ließ er die Rouleaux herab?«

      »Nein.«

      »Ob irgendwo eine Leiter in der Nähe ist?«

      »Auch daran habe ich gedacht und sah mich nach einer solchen um. In der Ecke des Gartens steht ein Baum, welcher verschnitten worden ist; die Leiter lehnte noch an demselben. Sie ist lang genug, um an das Fenster zu reichen.«

      »Schön, sehr schön! Leider aber können wir jetzt noch nicht an das Werk gehen. Es ist zu früh. Die Straßen sind noch zu belebt. Man könnte uns sehen.«

      »Wir müssen bis gegen Mitternacht warten.«

      »Aber ob er dann noch wach sein wird!«

      »Wach oder nicht, das bleibt sich gleich. Er darf den morgenden Tag nicht sehen. Ist er noch wach, so bekommt er durch das Fenster eine Kugel. Schläft er schon, so steigen wir ein. Jetzt aber wollen wir gehen. Es gefällt mir hier nicht.«

      Perillo bezahlte das Eis, welches er genossen hatte, und dann entfernten sich die beiden Menschen, welche so leichten Herzens bereit waren, ein Menschenleben zu zerstören, um die Entdeckung eines frühern Verbrechens zu verhüten.

      Die Straßen und öffentlichen Lokale waren heute länger belebt als sonst. Der Bewohner von Buenos Ayres ist häuslich gewöhnt und legt sich gewöhnlich zeitig schlafen; heut aber hatte es elf Uhr geschlagen, als der letzte der Gäste das Café de Paris verließ. Der deutsche Lohnkellner erhielt sein Tagessalär und konnte gehen. Draußen vor der Thür blieb er stehen. Es gab noch Passanten in den Straßen. Wenige Laternen brannten, denn im Kalender stand Vollmond. Es war anfangs Dezember, ein schöner, lauer Frühlingsabend. Der Kellner hatte noch nicht Lust, schlafen zu gehen. Ihm lag das neue Engagement im Sinne, und die Freude, einen deutschen Herrn gefunden zu haben, ließ keine Müdigkeit in ihm aufkommen. Er beschloß, noch einen Spaziergang zu unternehmen, und lenkte seine Schritte ganz unwillkürlich in diejenige Richtung, von welcher er wußte, daß Dr. Morgenstern in derselben wohne. Er kannte die Quinta, ohne sich aber vorzunehmen, sie jetzt aufzusuchen. Jedoch das Handeln des Menschen wird oft durch innere Vorgänge bestimmt, über welche er sich nicht selbst klar wird, und so kam es, daß der Deutsche plötzlich vor der Quinta stand und selbst ganz überrascht darüber war.

      Hier, fern vom Mittelpunkte des Verkehres, brannten keine Laternen mehr. Es war dunkel; nur die Sterne verbreiteten einen ungewissen Schimmer, bei welchem man einige Schritte weit zu sehen vermochte. Schon wollte er umkehren, als es ihm war, als ob er das Geräusch leise schleichender Schritte vernehme. Das kam ihm verdächtig vor. Warum so leise? Wer ein gutes Gewissen hat, kann fest auftreten. Er drückte sich eng an den Zaun und wartete.

      Ein Mensch kam drüben mitten auf der Straße, ging vorüber und blieb dann stehen; ein zweiter folgte und hielt bei dem ersten an. Sie sprachen leise miteinander, näherten sich dann dem Zaune und stiegen mit großer Gewandtheit über denselben in den Garten.

      »Also Diebe!« dachte der Deutsche. Aber was wollten sie stehlen? Nur Gartenfrüchte? Oder galt es gar vielleicht einen Einbruch bei dem reichen Bankier? Von Früchten konnte jetzt, im Frühjahre, keine Rede sein, das sagte er sich doch; also galt es einem wertvolleren Gegenstande. Er mußte folgen und schwang sich also auch so leise wie möglich über den Zaun. Jenseits desselben gab es Rasen, welcher die Schritte unhörbar machte. Er schlich zu der Villa hin und an der schmalen Seite derselben vorüber. Da sah er an der Ecke einen der Männer stehen und blieb halten, um ihn zu beobachten. Er sah, daß der Mensch nach einiger Zeit um die Ecke auf die hintere Seite des Hauses verschwand. Er bückte sich nieder und kroch auf den Händen und Füßen zu der Ecke hin. Da stand der Kerl und blickte nach zwei erleuchteten Fenstern des ersten Stockes empor. Und jetzt kam der zweite Gesell von der Seite herbeigeschlichen; er trug eine Leiter, welche so an die Mauer gelehnt wurde, daß ihr oberes Ende an den Stock des einen Fensters zu liegen kam.

      Was beabsichtigten diese Menschen eigentlich? Man bricht doch nicht in eine erleuchtete Wohnung ein? Sollte vielleicht nur ein Scherz oder etwas Aehnliches beabsichtigt werden? Dann wäre es Thorheit gewesen, Lärm zu schlagen. Doch hielt der Deutsche die Augen scharf auf die beiden Männer gerichtet. Jetzt stieg der eine derselben empor, während der andre die Leiter hielt. Oben angekommen, sah er in das Zimmer, kam dann einige Sprossen herab und raunte dem Untenstehenden einige Worte zu. Es schien dem Kellner, als ob der Sprecher einen leise metallisch glänzenden Gegenstand in der Hand halte. Dann gab es ein zweimaliges Knacken, wie wenn die Hähne einer Doppelpistole aufgezogen werden. Nun wurde ihm himmelangst; er schlich schnell näher. Noch flüsterten die beiden miteinander. Sie konnten ihn nicht sehen, weil er sich tief an der Erde bewegte. Er hörte die Worte:

      »Er sitzt und liest.«

      »In welcher Lage?«

      »Die linke Seite dem Fenster zugekehrt.«

      »Ist sein Gesicht frei?«

      »Ja. Er hat die andre Seite des Kopfes in die Hand gelegt.«

      »Dann schieße ihn in die Schläfe; das ist die sicherste Stelle.«

      Also um einen Mord handelte es sich! Der Kellner erschrak so, daß er sich für einige Augenblicke nicht zu bewegen vermochte. Und da stieg der Kerl wieder aufwärts und richtete den Lauf der Pistole, welche er in der Rechten hielt, in das Zimmer. Das gab dem Lauscher seine Beweglichkeit zurück. Er schrie laut auf, sprang zur Leiter, warf den Untenstehenden zur Seite und stieß sie um, so daß der Obenstehende, welcher soeben abdrückte, gerade beim Krachen des Schusses jäh zum Sturze kam. Der Kellner warf sich auf ihn, um ihn festzuhalten.

      »Laß los, Hund, sonst erschieße ich dich!« knirschte der Mörder.

      Der Schuß ging los, und der Deutsche fühlte einen stechenden Ruck im linken Arme. Er war getroffen worden und konnte den Menschen nicht mehr halten, welcher aufsprang und schnell in der Dunkelheit verschwand. Der andre war schon vorher davongerannt.

      Die beiden Schüsse hatten die Bewohner des Hauses geweckt. Es begann in demselben lebendig zu werden. Zugleich wurde droben in dem erleuchteten Zimmer eines der Fenster geöffnet; der Doktor steckte den Kopf heraus und rief:

      »Welcher Mordbube schießt denn da nach mir! Warum läßt man mich nicht ruhig lesen?«

      Da erschrak der Kellner von neuem und antwortete:

      »O jerum, jerum! Sind denn Sie’s, Herr Doktor, welcher umgebracht hat werden sollen?«

      »Wer ist denn da unten? Diese Stimme kommt mir bekannt vor.«

      »Ick bin es, ick, Fritze Kiesewetter, Herr Doktor.«

      »Fritze Kiesewetter? Mir ist ein Individuum dieses Namens noch nicht vorgekommen.«

      »O doch! Heute, im Café de Paris haben Sie mir kennen jelernt. Sie wollten mir wegen die Sündflutsknochen engagieren.«

      »Ah, der Kellner! Aber, Mensch, wie kommen Sie denn auf die Idee, nach mir zu schießen?«

      »Als wie ick? Dat ist stark! Da hört nun oft und manchmal allens auf! Ick soll es jewesen sind, der jeschossen hat?«

      »Wer denn? Oder sind Sie nicht allein?«

      »Ick bin janz allein, nach Schiller die einzige fühlende Larve hier in dem Jarden.«

      »Wohnen Sie denn hier im Hause?«

      »Auch


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