Der beiden Quitzows letzte Fahrten. Karl May

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Morgen graut.«

      Langsamen Schrittes begab er sich über das Eis, und nur kurze Weile, nachdem er drüben angelangt war, folgte ihm Uchtenhagen. An dem bezeichneten Orte trafen sie zusammen, und der Letztere sah nun mit lebhafter Spannung dem Kommenden entgegen. Er hatte vor, an der Seite eines einzigen Mannes, auf dessen Treue er noch nicht einmal sicher bauen konnte, in die Mitte einer Schaar von Strauchdieben einzudringen, um seinen Bruder zu finden, der ganz gewiß unter einer scharfen Bewachung stand. Dieses Unternehmen war nicht nur ein schwieriges, sondern es war auch mit den mannigfaltigsten Gefahren verbunden; doch ging er mit freudigem Muthe daran; das Romantische des Abenteuers sprach ihn an, und es galt ja nicht nur eine theure Seele, sondern auch noch Andere zu erretten, denen er seine Hilfe versprochen hatte.

      »Was haben wir jetzt zu beginnen?« fragte er.

      »Das werdet Ihr gleich sehen! Ich bin der Vertraute des »Schwarzen« gewesen und kenne die Wege und Schliche besser als selbst der »Reiter«, dem die Mannen jetzt an seiner Stelle gehorchen müssen. Darum – —«

      »Wer war der »Schwarze«, und wer ist der »Reiter«?« unterbrach ihn Karl.

      »Habt Ihr noch niemals etwas von dem »schwarzen Dietrich« gehört?«

      »O ja; also den meinst Du?«

      »Den und keinen Andern. Wer er war, das weiß ich nicht und keiner von uns. Er kam und ging, ohne daß wir wußten, woher und wohin; aber wenn er kam, so gab es stets einen guten Streich. Er hatte verschiedene Orte, wo er mit seinen Gesellen hauste, hier, an der Spree, im Zotzen und sonst noch weiter, aber hier ist er am liebsten gewesen, und hier sind auch die Gewölbe, in denen er die Reichthümer verwahrt hält, welche er den Rittern, Städten und Leuten abgenommen hat, gegen welche wir auf der Lauer gelegen haben. Lange Zeit ist er nicht hier gewesen, aber er hat uns seine Rückkehr verheißen und den Mann zum Anführer gesetzt, welcher auf seinem Pferde und mit einer brennenden Leuchte unter dem Mantel die Bewohner der Gegend zu fürchten macht. Der »Schwarze« bleibt diesem zu lange aus, und nun hat er die Gesetze vernichtet, welche früher unter uns herrschten, und treibt gewöhnlichen Straßenraub, der mir und vielen Anderen ein Gräuel ist. Auch nach den Schätzen hat er geforscht, deren Versteck nur ich allein kenne, und weil ich ihm denselben nicht verrathen mochte, so ist er mir zuwider gewesen in Allem, bis ich mit meinen Freunden den Entschluß faßte, fortzugehen. Das ist ihm verrathen worden, und so hat er uns binden und in den Brunnen werfen lassen, in welchem wir Hungers sterben sollten. Dabei aber wurde ich doch vor den Uebrigen geschont, weil er hoffte, ich würde ihm das Versteck entdecken, um dem Tode zu entgehen; allein ich wäre lieber zehnmal gestorben, als daß ich desselben auch nur mit einem einzigen Worte erwähnt hätte.«

      »So giebt es hier im Walde wohl Höhlen, in denen Ihr wohnet?«

      »Nicht in Höhlen, sondern in einer Ruine wohnen wir, die in dem weiten Umkreise so verrufen ist, daß sich Niemand in ihre Nähe wagt. Früher, als es noch Heiden hier gegeben hat, haben die Christen einen Einfall gemacht und nach einem großen Siege begonnen, ein mächtiges Kloster zu bauen, von welchem aus das ganze Land bekehrt werden sollte; sie wurden aber wieder vertrieben, und der Bau, welcher kaum zur Hälfte fertig war, ist liegen geblieben und nach und nach in Trümmer zerfallen. In ihnen hausen die Geister der Erschlagenen, wie das Volk hier meint, und sie werden gemieden von Jedermann. Daher sind wir in unserm Treiben nie gestört worden, da wir uns jeder That in der Nähe enthielten, bis der »Schwarze« ging und der »Reiter« an seine Stelle trat. Dieser schont der Nachbarn nicht mehr, und so muß die Zeit kommen, in welcher man unserm Aufenthalte nachspürt, ihn entdeckt und an uns Rache für unser Thun und Treiben nimmt.«

      »Und wo ist die Ruine?«

      »Sie beginnt gleich hier in der Nähe. Die Priester, welche den Ort bestimmten, an dem das Kloster stehen sollte, haben sich das schönste Plätzchen im weiten Umkreise ausgewählt, nämlich hier auf der Landzunge, wo man in beschaulicher Abgeschlossenheit Gott dienen und die Schönheiten seiner Natur genießen und doch zu Land und Wasser in Verbindung bleiben konnte mit der übrigen Welt. Wenige Schritte von uns zieht sich die Clausurmauer hin, welche ein gar großes Viereck bildet, welches die Mönche ohne besondere Erlaubniß nicht überschreiten sollten. Dann kommen die eingefallenen Gebäude, das Refectorium, der Conventsaal, die Kirche, eine Reihe von Zellen, welche zusammen einen Hof umschließen, der von einem noch ziemlich erhaltenen Bogengange eingefaßt ist.«

      »Und in all’ diesen Räumen habt Ihr Euer Lager aufgeschlagen?«

      »Nein, denn das wäre ja die offenbarste Unvorsichtigkeit, vielmehr könntet Ihr dort suchen, so viel Ihr nur immer wolltet, Ihr würdet doch nicht die geringste Spur von uns entdecken. Die Ruinen bieten der unterirdischen Räume, als da sind Keller und Gewölbe, so viele und so gut verborgene, daß man lange suchen müßte, um unsern Aufenthalt zu entdecken, zumal wir uns große Mühe gegeben und viel gebaut haben, damit wir nicht allein sicher, sondern auch behaglich wohnen könnten. An gewissen Stellen der Mauer sind Wachen aufgestellt, deren scharfen Sinnen das Nahen keines Fremden entgeht, und es ist ein günstiger Zufall, daß Ihr nicht von ihnen bemerkt worden seid. Vielleicht hat Euer Bruder den Leuten so viel Mühe gemacht, daß selbst die Wachen zu seiner Ueberwältigung herbeigerufen werden mußten. Da ich aber Alles genau weiß und kenne, so werden wir ungesehen und ungehört hindurchkommen. Doch zuvor erlaubt, daß ich den Meinen ein wenig Nahrung bringe, damit sie im Stande sind, uns zu folgen, wenn wir den Ort verlassen!«

      »Diese Forderung will mir gar wenig behagen. Die Sorge um den Bruder peinigt mich dermaßen, daß es mir schwer würde, zu warten, bis Ihr wiederkehrt. Und wenn man Euch bei der Ausführung Eures Vorhabens ergreift, so geht mir nicht nur Eure Hilfe verloren, sondern Ihr bringt Euch und die Euren in größeres Unglück, denn je zuvor.«

      »Tragt um mich keine Sorge! Und wenn sie mich erblickten und Alle nach mir fahndeten, so würde es ihnen doch nicht gelingen, meiner habhaft zu werden. Nur ein einziges Mal hat man mich überraschen können, da ich nicht ahnte, daß wir verrathen seien; jetzt aber, da ich meine Lage kenne, hat es um mich keine Noth. Zudem bedarf ich selbst auch der Erquickung und werde Euch dann besser dienen können als jetzt, wo ich todesmatt bin von dem vielen und unfreiwilligen Fasten.«

      »So gehe hin; ich werde Dich hier erwarten!«

      »Kommt mit mir bis über die Mauer, da werde ich Euch ein Oertlein zeigen, an dem Ihr sicher harren könnt, bis ich wiederkehre.

      Mit diesen Worten schritt er vorsichtig vorwärts. Karl folgte ihm. Es war, wie Jobst gesagt hatte: sie kamen schon nach wenigen Schritten an eine hohe und breite Mauer, welche aber an einigen Stellen so verwittert oder gar eingefallen war, daß es mit Benutzung der weitklaffenden Steinfugen sehr leicht war, sie zu überklettern. Dies thaten sie, und drüben angekommen, eilte Jobst nach einer raschen und sorgfältigen Umschau rasch auf einen Trümmerhaufen zu, welcher an einer Ecke der Kirchenseite zu bemerken war. Dort angekommen, packte er einen großen Quaderstein, welcher sich gegen andere lehnte, und gab sich alle Mühe, ihn auf die Seite zu schieben.

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