Der Oelprinz. Karl May
Er sprach nämlich einmal mit mir über die ungeheuern Gold- und Silberreichtümer von Arizona und Nevada und erwähnte dabei, daß er sofort dorthin aufbrechen werde, sobald er erfahre, daß einer seiner früheren Gefährten sich dorthin wenden wolle. Er steht nämlich mit ihnen im Briefwechsel. Da er nun so plötzlich und ohne auf mich zu warten abgereist ist, vermute ich, daß er von einem Freunde, wahrscheinlich von Old Shatterhand, eine solche Nachricht empfangen hat.«
»Und daraufhin, also nur daraufhin, haben Sie diese weite Reise gemacht?«
»Ja, ich bin sicher, ihn hier zu treffen.«
»Heigh-ho! Für diese Sicherheit gebe ich Ihnen nicht einen Pfennig. Meinen Sie denn, man treffe sich hier hüben so leicht, wie man sich drüben in der Heimat so zwischen Klotzsche und Zitzschewig findet?«
»Warum nicht? Land ist Land, gleichviel, ob es Sachsen oder Arizona heißt. Warum soll man sich in dem einen schwerer begegnen als in dem andern?«
»Welche Frage! Erstens handelt es sich darum, daß Arizona und Nevada je zwanzigmal größer sind als Sachsen und dann kommen auch die Verhältnisse in Betracht. Haben Sie eine Ahnung davon, wie viele und welche Indianerstämme hier wohnen?«
»Die gehen mich doch nichts an!«
»Kennen Sie die Unwegsamkeit des Landes, die wilden Schluchten und Canons, die Oede der Bergregion, die Trostlosigkeit der Wüsten, besonders derjenigen, welche zwischen Kalifornien, Nevada und Arizona liegt?«
»Geht mich auch nichts an!«
»Verstehen Sie die Sprachen der Indianer, der hiesigen Weißen?«
»Brauche ich nicht! Meine Sprache ist die Musik.«
»Aber der wilde Indianer wird ganz und gar nicht musikalisch mit Ihnen sprechen und verfahren! Wie es scheint, wissen Sie gar nicht, welchen Gefahren Sie sich aussetzen, wenn Sie den Hobblefrank aufsuchen wollen.«
»Gefahren? Ich habe Ihnen bereits gesagt, wie ich darüber denke. Ein Jünger der Kunst, ein Sohn der Musen hat keine Gefahren zu fürchten. Er steht so hoch über dem gewöhnlichen Leben wie die Violine über dem Rumpelbasse; er lebt und atmet den Aether himmlischer Akkorde und hat mit irdischen Dissonanzen nichts zu schaffen.«
»Well! So lassen Sie sich einmal von einem Indsman den Skalp über die Ohren ziehen, und sagen Sie mir dann, welche himmlischen Akkorde Sie dabei vernommen haben! Hier zu Lande gibt es nur eine Musik, und das ist diese hier.«
Er schlug bei diesen Worten mit der Hand an sein Gewehr und fuhr dann fort:
»Dieses musikalische Instrument gibt die Töne an, nach denen in Arizona und Nevada getanzt wird, und – —«
»Getanzt – — – Pfui!« unterbrach ihn der Kantor. »Wer hat vom Tanzen gesprochen, oder wer wird überhaupt davon sprechen! Ein Künstler niemals! Das Tanzen ist eine hastige und immerwährende Veränderung des festen Standpunktes, durch welche man in unästhetischen Schweiß gerät.«
»Dann will ich wünschen, daß Sie hier nicht in die Lage kommen, ganz gegen Ihren künstlerischen Willen den Schwerpunkt und mit ihm noch einiges andre, vielleicht gar das Leben zu verlieren. Leider steht schon jetzt zu befürchten, daß Sie sehr bald gezwungen sein werden, einen Hopser zu tanzen, bei welchem es wohl kaum ohne Schweiß abgehen wird.«
»Ich? Fällt mir nicht ein!«
»Oho! Sie müssen!«
»Wer wollte oder könnte mich zwingen?«
»Die Herren, welche da hinter uns vor der Schnapsschenke saßen.«
»Wieso?«
»Das werde ich Ihnen später erklären.«
»Warum nicht jetzt?«
»Weil ich es andern auch noch sagen muß und ein Ding nicht gern zweimal thue, wenn es nicht nötig ist, und weil wir jetzt da angekommen sind, wohin wir wollten, wenn ich mich nicht irre.«
Sie hatten das Dorf verlassen und befanden sich nun hinter demselben an der Straße, welche nach der Hauptstadt führt. Während dieses ganzen Weges und Gespräches hatte der Kantor seine eigentümlichen Pendelbewegungen auf dem Pferde fortgesetzt. Bald den Oberkörper nach vorn, bald nach hinten biegend, hatte er die Beine und Füße mit den Bügeln in die entgegengesetzte Richtung geschoben, was dem kleinen Sam Hawkens, wie sein lustiges Augenblinzeln zeigte, nicht wenig Spaß zu machen schien. Jetzt sahen sie die vier großen, schweren Auswandererwagen vor sich stehen. Die Insassen derselben waren ausgestiegen und hatten die Ochsen ausgespannt, welche das nicht allzu reich sprossende Gras abweideten.
Die Wagen waren in der Weise aufgefahren, daß sie eng neben einander standen, mit den Deichseln alle nach einer Seite, nach Süden gerichtet, ein großer Fehler in jener Gegend, wo es der Indianer und des herumvagierenden weißen Gesindels wegen stets geraten ist, eine sogenannte Wagenburg zu bilden. Die Insassen waren ausgestiegen und bewegten sich in geschäftiger Weise auf dem Platze umher. Zwei Frauen suchten nach dornigem Akaziengestrüpp, dem einzigen Holze, das es hier zu einem Feuer gab; zwei andre hantierten mit Töpfen, in denen das Essen gekocht werden sollte; einige Kinder halfen dabei. Zwei Männer schafften in Eimern Wasser herbei; ein dritter untersuchte die Wagenräder; diese drei waren noch ziemlich jung. Ein vierter, welcher gewiß die Fünfzig überschritten hatte, aber noch bei vollen Manneskräften und sehr robust und stark gebaut war, stand inmitten dieses Treibens, um dasselbe zu bewachen und von Zeit zu Zeit mit heller Stimme und in kurzen Worten einen Befehl auszusprechen. Er schien also der Anführer dieser Auswanderer zu sein. Als er die beiden Ankömmlinge bemerkte, rief er dem einen derselben entgegen.
»Wo bleiben Sie denn nun wieder einmal, Herr Kantor? Man ist in steter Sorge um Sie und – —«
»Bitte, bitte, Herr Schmidt,« unterbrach ihn der Angeredete; »Herr Kantor emeritus, wie ich Ihnen schon hundertmal gesagt habe. Es ist wahrhaftig nur der Vollständigkeit wegen und weil ich mir kein Amt anmaßen darf, welches ich nicht mehr bekleide.«
Dabei hielt er sein Pferd an und stieg von demselben herunter, aber wie! Er nahm erst das rechte Bein empor, um links herunter zu kommen; das schien ihm aber zu gefährlich zu sein; darum zog er nun den linken Fuß aus dem Bügel, um zu versuchen, rechts auf die Erde zu kommen, was für ihn aber wahrscheinlich ebenso bedenklich war. Darum stemmte er beide Hände auf den Sattelknopf, lüpfte sich empor und schob sich nach hinten, so daß er auf die Kruppe des Pferdes zu sitzen kam. Von da aus retirierte er langsam immer weiter rückwärts und rutschte endlich beim Schwanze herunter. Das Tier war lammfromm und ermüdet und ließ diese sehr seltsame und lächerliche Prozedur ruhig vor sich gehen. Die Emigranten hatten diesem »Abrutsche« schon sehr oft beigewohnt, weshalb er auf sie keinen Eindruck machte; dem guten Sam Hawkens aber war so etwas noch nicht vorgekommen, und so mußte er sich große Mühe geben, nicht laut aufzulachen.
»Ach was, Emeritus!« antwortete Schmidt in kräftiger Weise, die ihm eigen zu sein schien. »Für uns sind Sie noch immer der Herr Kantor. Haben Sie sich emeritieren lassen, so ist das Ihre Sache, aber kein Grund für uns, dieses ewige Fremdwort immer wiederzukauen. Warum bleiben Sie immer zurück? Man hat nur stets auf Sie aufzupassen!«
»Piano, piano, lieber Schmidt! Ich höre Sie sehr gut, auch wenn Sie nicht so schreien. Es kam mir ein musikalischer Gedanke. Ich glaube nämlich, daß man bei einer Ouverture, wenn das Cello im Orchester fehlt, die Stimme desselben auch der dritten Trompete übergeben kann. Nicht?«
»Uebergeben Sie sie meinetwegen der großen Paukentrommel! Ich weiß wohl, daß ein Wagen geschmiert werden muß, wenn er gut laufen soll, aber nicht, was in einer Ouverture getrompetet werden muß. Was haben Sie uns denn da für einen Hanswurst mitgebracht?«
Bei diesen Worten deutete er auf Sam Hawkens. Der Kantor antwortete, ohne ihm das kräftige und wohl auch beleidigende Wort zu verweisen:
»Dieser Herr ist – — ist – — heißt – — hm, das weiß ich selbst noch nicht. Ich traf ihn im Dorfe und fragte ihn nach Ihnen; da ist er so freundlich gewesen, mich heraus zu Ihnen zu modulieren. Die Hauptsache ist, daß er auch ein Sachse ist.«
»Ein – — Sachse?« fragte Schmidt im Tone des Erstaunens, indem er Sam vom