Der Schatz im Silbersee. Karl May
weil er noch andres und Besseres zu thun hatte. Oder hatte er vielleicht noch nicht genug gethan? Und weitererzählen werde ich nicht. Ihr könnt euch denken, daß mir das kein Vergnügen sein kann. Die fünf sind ausgelöscht, einer nach dem andern; der sechste und schlimmste ist mir entkommen. Er war Rafter und ist vielleicht noch bei diesem Geschäfte; darum bin ich auch Rafter geworden, weil ich denke, daß ich ihn auf diese Weise am sichersten einmal treffen kann. Und nun — — behold! Was für Personen sind denn das?«
Er sprang auf, und die andern folgten seinem Beispiele, denn soeben waren zwei in bunte Decken gehüllte Gestalten aus dem Dunkel des Waldes in den Lichtkreis des Feuers getreten. Es waren Indianer, ein alter und ein junger. Der erstere hob beruhigend die Hand und sagte: »Nicht Sorge haben, denn wir nicht Feinde sind! Arbeiten hier Rafters, welche schwarzen Tom kennen?«
»Ja, den kennen wir,« antwortete der alte Blenter.
»Er für euch fort, um zu holen Geld?«
»Ja, er soll kassieren und kann in einer Woche wieder bei uns sein.«
»Er noch eher kommen. Wir also bei richtige Leute, bei Rafters, welche wir suchen. Feuer klein machen, sonst weit sehen. Und auch leise sprechen, sonst weit gehört werden.«
Er warf die Decke ab, trat an das Feuer, riß die Brände auseinander, verlöschte sie und ließ nur einige weiterbrennen. Der junge Indianer half ihm dabei. Als das geschehen war, warf er einen Blick in den Kessel, setzte sich nieder und sagte: »Uns Stück Fleisch geben, denn wir weit geritten und nicht gegessen; großen Hunger haben.«
Sein so selbständiges Beginnen erregte natürlich das Erstaunen der Rafters. Der alte Missourier gab demselben Ausdruck, indem er fragte: »Aber, Mann, was fällt dir ein! Wagst dich zu uns heran, sogar des Nachts und obgleich du ein Roter bist! Und thust genau so, als ob dieser Platz nur dir gehörte!«
»Wir nichts wagen,« lautete die Antwort. »Roter Mann muß nicht sein schlechter Mann. Roter Mann sein guter Mann. Bleichgesicht wird das erfahren.«
»Aber wer bist du denn? Du gehörst jedenfalls nicht einem Flußlands- und Prairiestamme an. Nach deinem Aussehen muß ich vielmehr vermuten, daß du aus Neumexiko kommst und vielleicht ein Pueblo bist.«
»Komme aus Neumexiko, bin aber kein Pueblo. Bin Tonkawahäuptling, heiße »der große Bär«, und dies mein Sohn.«
»Was, »der große Bär«?« riefen mehrere Rafters überrascht, und der Missourier fügte hinzu. »So ist dieser Knabe also »der kleine Bär«?«
»So richtig!« nickte der Rote.
»Ja, das ist etwas andres. Die beiden Tonkawabären sind überall willkommen. Nehmt euch Fleisch und Met, ganz wie es euch beliebt und bleibt bei uns, solange es euch gefällt. Was aber führt euch denn in diese Gegend?«
»Wir kommen, um Rafters warnen.«
»Warum? Gibt es für uns eine Gefahr?«
»Große Gefahr.«
»Welche denn? Sprich!«
»Tonkawa erst essen und Pferde holen, dann reden.«
Er gab seinem Sohne einen Wink, worauf dieser sich entfernte, und nahm sich dann ein Stück Fleisch aus dem Kessel, welches er mit solcher Ruhe zu verzehren begann, als ob er sich daheim in seinem sichern Wigwam befände.
»Pferde habt ihr mit?« fragte der Alte. »Des Nachts hier im finstern Walde? Und dabei habt ihr uns gesucht und auch wirklich gefunden! Das ist wirklich eine Art Meisterstück von euch!«
»Tonkawa hat Augen und Ohren. Er weiß, daß Rafters stets wohnen am Wasser, am Fluß. Ihr sehr laut reden und großes Feuer brennen, welches wir sehen sehr weit und riechen noch weiter. Rafters sehr unvorsichtig, denn Feinde haben es leicht, sie zu finden.«
»Es gibt hier keine Feinde. Wir befinden uns ganz allein in dieser Gegend und sind auf alle Fälle stark genug, uns etwaiger Feinde zu erwehren.«
»Missouri-Blenter sich irren!«
»Wie, du kennst meinen Namen?«
»Tonkawa stehen lange Zeit da hinter Baum und hören, was Bleichgesichter sprechen; auch hören deinen Namen. Wenn Feinde nicht da, so nun doch kommen. Und wenn Rafters unvorsichtig, dann werden besiegt sogar von wenigen Feinden.«
Jetzt hörte man Hufschlag im weichen Boden. Der kleine Bär brachte zwei Pferde, band sie an einen Baum, nahm ein Stück Fleisch aus dem Kessel, und setzte sich neben seinen Vater, um zu essen. Dieser letztere hatte seine Portion verzehrt, schob das Messer in den Gürtel und sagte: »Nun Tonkawa sprechen, und Rafters dann wohl mit ihm Friedenspfeife rauchen. Der schwarze Tom hat viel Geld. Tramps kommen, ihm aufzulauern und es ihm abzunehmen.«
»Tramps? Hier am schwarzen Bärenflusse? Da wirst du dich wohl irren.«
»Tonkawa nicht irren, sondern genau wissen und es auch erzählen.«
Er berichtete in seinem gebrochenen Englisch das Erlebnis auf dem Steamer, war jedoch zu stolz, dabei über die Heldenthat seines Sohnes ein Wort zu erwähnen. Man hörte ihm natürlich mit der größten Spannung zu. Er erzählte auch, was nach der Flucht der Tramps geschehen war. Er hatte kurz nach ihnen mit seinem Sohne im kleinen Boote das Ufer des Arkansas erreicht und war da bis zum ersten Tagesgrauen liegen geblieben, da er des Nachts nicht der Fährte zu folgen vermochte. Diese war dann sehr deutlich gewesen und hatte, Fort Gibson vermeidend, zwischen dem Canadian und dem Red-fork nach Westen geführt, um dann wieder nach Norden einzulenken. Während einer der nächsten Nächte hatten die Tramps ein Dorf der Creekindianer überfallen, um sich Pferde zu verschaffen. Am Mittag des nächsten Tages waren die beiden Tonkawa wandernden Choctowkriegern begegnet, von denen sie sich zwei Pferde gekauft hatten. Doch war durch die beim Pferdehandel gebräuchlichen Zeremonien eine so lange Zeit in Anspruch genommen worden, daß die Tramps einen Vorsprung von einem ganzen Tag bekommen hatten. Sie waren dann über den Red-fork gegangen und über die offene Prairie nach dem schwarzen Bärenflusse geritten. Den Tonkawa war es gelungen, ihnen nahe zu kommen. Nun lagerten die Tramps auf einer kleinen Lichtung am Flußufer, und die Tonkawa hatten es für notwendig gehalten, zunächst die Rafters aufzusuchen, um diese zu benachrichtigen.
Die Wirkung dieser Erzählung ließ nicht auf sich warten. Man sprach nun nur noch im leisen Tone und löschte das Feuer ganz aus.
»Wie weit ist der Lagerplatz dieser Tramps von hier aus entfernt?« fragte der alte Missourier.
»So viel, was die Bleichgesichter eine halbe Stunde nennen.«
»Alle Wetter! Da können sie zwar unser Feuer nicht gesehen, aber doch den Rauch gerochen haben. Wir sind wirklich zu sicher gewesen. Und seit wann liegen sie dort?«
»Eine ganze Stunde vor Abend.«
»Dann haben sie gewiß auch nach uns gesucht. Weißt du nichts darüber?«
»Tonkawa nicht dürfen beobachten Tramps, weil noch heller Tag. Sogleich weiter, um Rafters zu warnen, denn — —«
Er hielt inne und lauschte. Dann fuhr er in noch viel leiserem Tone fort. »Großer Bär etwas sehen, eine Bewegung an Ecke von Haus. Still sitzen und nicht sprechen. Tonkawa fortkriechen und nachsehen.«
Er legte sich auf den Boden nieder und kroch, sein Gewehr zurücklassend, dem Hause zu. Die Rafters spitzten die Ohren. Es vergingen wohl zehn Minuten, dann ertönte ein schriller, kurzer Schrei, ein Schrei, den jeder Westmann kennt — der Todesschrei eines Menschen. Nach kurzer Zeit kehrte der Häuptling zurück.
»Ein Kundschafter der Tramps,« sagte er. »Tonkawa hat ihm das Messer gegeben, von hinten in das Herz getroffen. Wird nicht sagen können, was hier gesehen und gehört. Aber vielleicht noch ein zweiter da. Wird zurückkehren und melden. Drum schnell machen, wenn weiße Männer wollen vielleicht belauschen Tramps.«
»Das ist wahr,« stimmte der Missourier flüsternd ein. »Ich werde mitgehen und du wirst mich führen, da du den Ort kennst, an welchem sie lagern. Jetzt haben sie noch keine Ahnung davon, daß wir von ihrer Gegenwart wissen. Sie fühlen sich also sicher und werden über ihr Vorhaben sprechen. Wenn