Die Juweleninsel. Karl May

Die Juweleninsel - Karl May


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der Aufseher vor der Thür, um seinen Pflegling draußen zu erwarten.

      »Was bist Du?« frug der Inspektor gerade so wie vorher der Arzt.

      »Schiffer.«

      »Schiffer, also kräftig.« Er blätterte dabei in einigen Papieren herum. »Hier finde ich, daß Du vom Arzte zwei Pfund Brod erhalten hast; da mußt Du auch arbeiten können. Gesund bist Du?«

      »Ja.«

      »Hast Du vielleicht außer Deinem Berufe nebenbei ein Handwerk betrieben?«

      »Nein,« antwortete er niesend und sich dann die Augen wischend.

      »Aber im Winter, wo der Fischfang und die Schifffahrt feiert, was hast Du da gethan?«

      »Hm,« räusperte sich der Gefangene verlegen, während der Schreiber, welcher an einem Seitentische beschäftigt war, der Scene mit Spannung folgte.

      »Ach so, ich verstehe! Nichts hast Du gemacht. Gespielt, was?«

      »Blos Abends,« entschuldigte sich Hartig.

      »Und am Tage?«

      »Geschlafen.«

      »Schön! Das heißt also, Du hast vom Abend bis an den Morgen gespielt und dann den Tag verschlafen. Hast Du Weib und Kinder?«

      »Ja.«

      »Also Familie, und ein so lüderliches Leben! Scheinst mir ein sauberer Kerl zu sein! Ich werde Dir eine Arbeit geben, bei der Du mir nicht so leicht einschlafen sollst. Das sage ich Dir: das Pensum ist sehr schwer, bringst Du es aber nicht, so hilft Dir Deine doppelte Brodration nichts; ich gebe Dir Kostentziehung, und zwar genug!«

      Der gute Inspektor war wirklich in Rage gekommen, auch mit dem Schreiber schien dies der Fall zu sein. Er erhob sich und trat näher.

      »Und auch unordentlich ist er,« meinte er, der seinen Vorgesetzten sehr gut kennen mußte, um diese Theilnahme am Gespräche zu wagen. »Dieser Knopf ist auf, und das Halstuch guckt hinten über den Kragen in die Höhe. Die Herren Aufseher sehen nicht darauf. Ich habe nur immer nachzubessern, damit die Leute anständig vor dem Herrn Inspektor erscheinen!«

      Dabei knöpfte er ihm die aufgesprungene Jacke zu und nestelte emsig an dem Halstuche herum. Dann trat er wieder zurück und setzte sich mit zufriedener Miene nieder.

      »Richtig ist es,« meinte der Inspektor. »Wenn ein Zuwachs kommt, muß ihn mein Schreiber immer in das Geschicke richten. Ich werde mich beschweren. Also, was geben wir Dir für Arbeit?« Er sann eine Weile nach und meinte dann zu seinem Schreiber:

      »Notiren Sie ihn unter die Schmiede, und besorgen Sie das Uebrige. Ich habe mich zu beeilen, daß ich den Zug nicht versäume. Du aber kannst jetzt gehen!«

      Hartig verließ das Gemach und wurde von seinem Aufseher in seine Zelle zurückgeführt. Er blieb dort nicht lange allein, denn bald wurde wieder geöffnet und der Aufseher trat in Begleitung des Anstaltskoches herein.

      »Also dies ist der Mann?« frug der letztere, den Gefangenen musternd.

      »Ja, er hat ungeheures Glück,« antwortete der Aufseher. »Wird mit zwanzig Tagen Kostentziehung eingeliefert und bekommt doppeltes Brod und Beschäftigung in der Küche, während andere sich Jahre lang zu einem solchen Posten melden und immer wieder abgewiesen werden. Ich bin neugierig, wie der Herr Direktor die Kostentziehung mit der Küchenarbeit und der Brodration zusammenreimen wird.«

      »Das ist nicht unsere Sache,« meinte der Koch. »Es liegt hier jedenfalls ein Versehen vor, ich aber habe mich nach der Notiz des Herrn Arbeitsinspektors zu richten und diesem hier zu sagen, daß er morgen früh in der Küche antreten wird. Besorgen Sie ihm eine weiße Schürze und eine Küchenmütze.«

      Unterdessen stand der Schreiber des Arbeitsinspektors an seinem Fenster und blickte hinaus auf den Hof. Er war allein, denn sein Vorgesetzter hatte die Anstalt verlassen, um seiner vorhin gethanen Aeußerung nach eine Reise zu unternehmen. Der Schreiber schien von einer peinigenden Unruhe erfüllt zu sein, und immer wieder zog er den Zettel hervor, welchen er unter dem Halstuche des Zuganges herausgenommen hatte. Dieser war in französischer Sprache verfaßt und lautete zu deutsch:

      »Endlich ist es Zeit, wie mich Raumburg benachrichtigt. Warte in Deiner Expedition auf uns.«

      Da kam ein einzelner Züchtling ohne Begleitung eines Aufsehers über den Hof. Es war der Schreiber des Oberarztes. Er trat ein. Beide kannten einander sehr gut. Der eine war Direktor und der andere Oberarzt einer Irrenanstalt gewesen und hatten sich derartiger Vergehen schuldig gemacht, daß sie sich jetzt für lebenslang im Zuchthause befanden.

      »Der Inspektor fort?« frug der dicke frühere Irrenhausdirektor.

      »Ja,« antwortete sein früherer Untergebener. »Woher weißt Du, daß er verreisen will?«

      »Er war am Vormittage beim Doktor und sagte es diesem. Bist Du bereit?«

      »Natürlich. Ich wage das Leben, wenn es sein muß. Aber wie?«

      »Weiß es selbst noch nicht. Raumburg schrieb mir heute, daß ich um die jetzige Zeit bei Dir sein solle.«

      »Er kommt also auch?«

      »Jedenfalls.«

      »Wie gut, daß die zur ersten Disziplinarklasse Gehörigen die Erlaubniß haben, ohne Beaufsichtigung ihrer Arbeit nachgehen zu können. Wenn man mich hier bei Dir sieht, können wir sagen, daß wir uns über irgend eine Schreiberei zu besprechen haben. Hast Du den Ueberbringer der Zeilen belohnt?«

      »Ja. Ich habe ihm doppeltes Brod geschrieben.«

      »Dachte mir, daß dies nur von Dir käme.«

      »Und Du?«

      »Ich habe mir den Spaß gemacht, ihn unter die Küchenarbeiter zu schreiben. Wir gehen fort, und ich habe keine Unannehmlichkeit davon. Doch schau, da kommt Raumburg!«

      Der Züchtling Nummer Zwei kam über den Hof herüber und in das Zimmer.

      »Gut, daß Sie schon beisammen sind! Sie haben meine Bemerkung erhalten?«

      »Ja.«

      »Sie gehen mit?«

      »Versteht sich! Aber welche Vorbereitungen haben Sie getroffen?«

      »Ich noch gar keine, aber wir werden draußen erwartet.«

      »Von wem?«

      »Das möchte ich jetzt noch verschweigen. Im Gasthofe des nächsten Dorfes hat sich ein Kutscher einquartirt, der seine Pferde stets angeschirrt bereit hält. Eine Minute nach unserem Eintreffen dort kann es fortgehen.«

      »Das wäre ganz gut. Aber wie kommen wir aus der Anstalt?«

      »Sehr einfach: als Aufseher verkleidet. Da hält uns der Posten nicht an.«

      »Alle Teufel, das ist verwegen! Am hellen lichten Tage ganz gemüthlich hinauszuspazieren! Aber die Kleider?«

      »Bekommen wir bei dem Thorhabenden.«

      »Wird sich hüten!«

      »Freiwillig gibt er sie natürlich nicht her. Wir nehmen sie ihm.«

      »Dann gibt es einen Kampf, welcher Lärmen verursachen wird.«

      »Das werde ich schon zu vermeiden wissen. jeder Aufseher, welcher von zu Hause kommt und die Anstalt betritt, hat Mütze und Kapot beim Thorhabenden abzulegen. Diese Sachen werden in die Garderobe gehängt, welche sich neben der Wachtstube befindet. Das ist genug für uns, denn wir brauchen ja jeder nur Kapot und Mütze, um ganz sicher für Aufseher gehalten zu werden.«

      »Man wird uns aber dennoch erkennen.«

      »Warum?«

      »Wir sind rasirt, wie jeder Gefangene, und sämmtliche Aufseher tragen Bärte.«

      »Ich habe mich vorgesehen. Bei meiner Arbeit kommen mir die größten Bärte, die ich abschneiden muß, in die Hände. Ich habe die Haare zu den schönsten falschen Bärten verarbeitet. Hier probiren Sie einmal!«

      Er zog ein Papierpaket unter der Jacke hervor und öffnete es. Die drei Bärte, welche es enthielt, paßten ganz genau,


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