Durch das Land der Skipetaren. Karl May

Durch das Land der Skipetaren - Karl May


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durch die Reihen der Anwesenden.

      »Ist das auch wirklich wahr, Effendi? Ich bin der Ernährer einer Familie. Wenn ich sterbe, so wird nur Allah für sie sorgen.«

      »Du stirbst nicht. Ich verspreche es dir beim Barte des Propheten.«

      »Wenn du das sagst, so will ich es versuchen, Herr.«

      »Schieße getrost!«

      Ich hatte Toma, den Boten, scharf beobachtet. Er kam jetzt ganz nahe herbei und wendete kein Auge von mir. Der Schütze legte auf mich an. Er stand nur zehn oder elf Schritte von mir entfernt. Aber er senkte das Gewehr noch einmal und sagte:

      »Ich habe noch nie auf einen Menschen gezielt. Herr, – du verzeihst mir doch, wenn ich dich treffe?«

      »Ich werde dir nichts zu verzeihen haben, denn du triffst mich nicht.«

      »Aber wenn dennoch?«

      »So darfst du dir keine Vorwürfe machen, denn ich habe es dir ja befohlen.«

      Ich erhob die rechte Hand, ließ aber dabei heimlich die bleierne Kugel in den Aermel rollen, zeigte hierauf die leere Hand und sagte:

      »Mit dieser Hand werde ich die Kugel auffangen. Also ich zähle. Bei »drei« kannst du abdrücken.«

      Ich ließ den Arm sinken und fing dabei die aus dem Aermel rollende Kugel mit der hohlen Hand wieder auf. Es gab kein Auge, welches nicht auf mich gerichtet war.

      »Eins – zwei – drei!«

      Der Schuß krachte. Ich griff mit der Hand nach vorn, der Gewehrmündung entgegen, als ob ich die abgeschossene Kugel auffangen wollte, und hielt dann die bereitgehaltene Kugel zwischen Daumen und Mittelfinger empor.

      »Hier hast du sie. Oder nimm du sie, Toma! Betrachte sie, ob es nicht dieselbe ist, welche in den Lauf gestoßen worden ist.«

      Natürlich sah sie derselben ganz und gar ähnlich. Der Bote stand mit weit offenem Mund da und starrte mich an, gleichsam als wäre ich ein Gespenst. Die Wirkung auf die übrigen Leute war geringer. Man hatte wohl bis zum letzten Augenblick gezweifelt; nun aber war das vermeintliche Wunder dennoch geschehen. Die Kugel wurde weiter gegeben. Als der Schütze sie zurück erhielt, sagte ich so laut, daß alle es hören könnten:

      »Jetzt lade sie abermals in den Lauf und ziele nach dem Brett.«

      Er tat es und schoß. Die Kugel schlug natürlich ein Loch in das Brett.

      »Siehst du, ein solches Loch hätte ich nun in der Brust, wenn ich nicht kugelfest wäre. Jetzt magst du ganz nach Belieben auch auf meine drei Gefährten schießen.«

      Daß die Kugel beim zweiten Male die gewöhnliche Wirkung hatte, obgleich ich vorher nicht getroffen worden war, ja sie aufgefangen hatte, das brachte die schlichten Leute in ungeheure Aufregung. Sie kamen herbei, um meine Hand zu betrachten, und konnten nicht genug Worte finden, ihr Erstaunen darüber auszudrücken, daß auch nicht die mindeste Spur einer Beschädigung an derselben zu sehen war.

      »Allah onun ile – Allah ist mit ihm!« hörte ich einen sagen.

      »Scheïtan sahibi – er hat den Teufel!« entgegnete ein anderer.

      »Wie kann der Teufel ihm beistehen, da er den Kuran verspeist? Nein, Allah ist groß!«

      Es wurden die verschiedensten Meinungen ausgetauscht, indessen ich dem Schützen drei Kugeln gab und Halef, Osko und Omar an den Schuppen postierte.

      Vielleicht hatten diese drei vorher dem Experiment doch nicht getraut. Nachdem dasselbe mir aber nichts geschadet hatte, waren sie ohne Furcht bereit, auf sich schießen zu lassen. Nur die Finte mit dem Auffangen der Kugel mußten sie selbstverständlich unterlassen, da dieselbe ihnen wohl kaum gelungen wäre. Das wollte ich lieber selbst besorgen. Ich stellte mich neben sie hin und griff beim Losdrücken in die Luft, um dann allemal eine Bleikugel zurückzugeben, mit welcher hierauf die Probe gemacht wurde, daß sie durch das Brett schlage.

      Als auch die drei Gefährten ihre Kugelfestigkeit bewiesen hatten, erhob sich ein Beifallssturm, der gar nicht zu beschreiben ist. Die Leute drängten sich an uns heran, um uns zu betasten, zu betrachten, zu befragen. Es hätte mehrere Tage bedurft, um alle die Erkundigungen zu beantworten, welche an uns gerichtet wurden. Um dem Andrang zu entgehen, retirierten wir uns in die Stube.

      Von dort aus betrachtete ich Toma, den Botenmann. Er hatte seinen Unglauben vollständig aufgegeben, das merkte ich an seinen heftigen, begeisterten Gebärden, mit welchen er jenen Personen, die ferner gestanden hatten, den Vorgang anschaulich zu machen suchte. Ich winkte meinen Hadschi zu mir, zeigte ihm den Boten und sagte:

      »Laß ihn nicht aus dem Auge. Und wenn er geht, so folge ihm unbemerkt nach, um ihn zu beobachten.«

      »Warum, Sihdi?«

      »Ich habe ihn im Verdacht, von den Aladschy beauftragt worden zu sein, uns zu belauern.«

      »Ah! Darum also zogst du das eine Auge zusammen, als du ihn betrachtet hast. Ich habe sogleich gedacht, daß du ihm nicht traust. Aber was kann er uns schaden?«

      »Er wird den beiden Skipetaren melden, daß wir zur Mittagszeit von hier abreisen.«

      »Er sagte doch, daß er nicht reitet.«

      »Er hat gelogen, verlaß dich darauf. Wenn er jetzt heimkehrt, so gehst du zur Stadt hinaus und versteckst dich irgendwo an der Straße, welche nach Radowitsch führt. Wenn er vorüber ist, meldest du es mir.«

      »Und wenn er nicht kommt?«

      »Nun, so kehrst du nach ungefähr zwei Stunden zurück. Es ist anzunehmen, daß er dann nicht reiten wird.«

      Nun, erkundigte ich mich nach einem Frisier- und Barbierladen und begab mich dorthin, um mir Haar und Bart stutzen zu lassen. Der Besitzer des Ladens hatte unser Wunder auch gesehen. Im Orient bilden die Stuben der Barbiere einen beliebten Versammlungsort für alle Neuigkeitskrämer; daher war ich gar nicht überrascht, als ich die Stube voll von Menschen fand.

      Diese guten Leute lauerten auf jede meiner Bewegungen und verhielten sich, solange der Barbier an mir herumschnitt, tief schweigend.

      Einer von ihnen, welcher hinter mir saß, langte immer vor, um die Haarspitzen zu erwischen, welche herunterfielen, bis der Barbier, nachdem seine grimmigen Blicke nichts gefruchtet hatten, ihm einen leidlich kräftigen Fußtritt versetzte und ausrief:

      »Dieb! Was hier herabfällt, ist mein Eigentum. Bestiehl mich nicht!«

      Auf dem Rückweg trat ich in den Laden eines Strumpfwarenhändlers und auch eines Brillenhändlers. Bei dem ersteren kaufte ich ein Paar lange Strümpfe, welche bis zum Oberschenkel hinauf reichten, und beim letzteren eine Brille mit blauen Schutzgläsern.

      In einem dritten Laden erwarb ich mir ein grünes Turbantuch, wie nur die Abkömmlinge des Propheten es tragen dürfen. Somit hatte ich alles, was ich brauchte.

      Ich war über eine Stunde fort gewesen. Als ich heimkehrte, war Halef schon wieder da.

      »Sihdi, du hattest recht,« meldete er mir. »Der Kerl ist fort.«

      »Wann?«

      »Nur einige Minuten später, nachdem er nach Hause gekommen war.«

      »Also war er schon vorher bereit dazu.«

      »Jedenfalls, denn er hätte seine Tiere satteln müssen.«

      »Was für Tiere waren bei ihm?«

      »Er ritt ein Maultier und führte hinter sich vier beladene Esel, von denen jeder an den Schwanz des vorherigen, der vorderste aber an den Schwanz des Maultieres gebunden war.«

      »Ritt er langsam?«

      »Nein. Er tat, als ob er Eile habe.«

      »Er will seine Botschaft möglichst schnell an den Mann bringen. Nun, uns soll das nichts schaden. Ich reite jetzt weiter, und ihr Andern verlaßt Ostromdscha um Mittag.«

      »Und bleibt es bei dem, was du mir vor dem Schlafen gesagt hast?«

      »Natürlich.«

      »Ich reite den Rih?«

      »Ja, und ich


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