Durch das Land der Skipetaren. Karl May

Durch das Land der Skipetaren - Karl May


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hörte ich mit ziemlicher Deutlichkeit ein lautes Rascheln. Auch Osko vernahm es, denn er fragte mich:

      »Hörst du, daß sie da jenseits durch die Büsche brechen, Effendi?«

      »Nach dem Geräusch zu urteilen, ist es im höchsten Fall wenig über hundert Schritte von hier, und da ich annehmen möchte, daß sich unter den Bäumen kein Strauchwerk befindet, so kann der Ring, welchen der Baumwuchs um die Bergkuppe bildet, nach dieser Seite hin gar nicht bedeutend sein. Das haben sie gewußt und darum richteten sie die Flucht dorthin.«

      »Wie können sie das wissen? Sie sind doch selbst hier fremd!«

      »Manach el Barscha ist schon oft hier gewesen, und der alte Mübarek befindet sich ja bei ihnen.«

      Ich ging nun zur Hütte und riß eine Dachstange, welche brennend herabhing, gänzlich los. Da das Holz derselben sehr harzig war, brannte sie wie eine Fackel. Mit dieser Leuchte verfolgte ich die Richtung, welche die Flüchtlinge eingeschlagen zu haben schienen. Meine drei Begleiter schlossen sich mir an, indem sie die Gewehre schußfertig hielten.

      Das Prasseln des Feuers hatte mich doch irre gemacht. Die Breite des von Bäumen bestandenen Areales war hier nicht so groß, wie ich gedacht hatte. Wir erreichten schon nach kurzer Zeit die außerhalb desselben beginnenden Büsche und sahen auch ganz deutlich die Stelle, an welcher sich die Flüchtlinge den Weg durch dieselben gebahnt hatten.

      Wir folgten ihm und gelangten in demselben Moment ins Freie, als meine Fackel verlöschte.

      Da hörten wir unter uns das Wiehern eines Pferdes, und gleich darauf erscholl lautes Pferdegetrappel durch die Nacht.

      »Odschurola chowardalar – lebt wohl, ihr Schurken!« rief eine laute Stimme zu uns herauf. »Kyzartsiz jaryn dejil o bir gün dschehennemde – ihr bratet übermorgen in der Hölle!«

      Das war sehr deutlich gesagt. Wenn ich noch nicht gewußt hätte, daß man uns auflauern wolle, so hätte ich es nun erraten. Sehr klug waren diese Leute denn doch nicht.

      Mein kleiner Halef war höchlichst ergrimmt über diese Beleidigung. Er legte beide Hände an den Mund und brüllte mit aller Kraft seiner Stimme in das nächtliche Dunkel hinein:

      »Ata binin schejtanile, jutylyn nenesinadan – reitet zum Teufel, und werdet gefressen von seiner Großmutter! Koschyniz bana kambur üzerinde, on kerre jokarija hem jirmi kerre aschagha – lauft mir nach dem Buckel, zehnmal hinauf und zwanzigmal hinab!«

      Er hatte sich in einen solchen Zorn hineingeredet, daß er ihnen noch nachrief:

      »Siz haidudlar, öldürüdschülar, kundakdschylar, derisini tschykarmakdschilar, dar adschadschy ipleri – ihr Räuber, ihr Mörder, ihr Mordbrenner, ihr Schinder, ihr Galgenstricke ihr!«

      Ein lautes Hohngelächter erscholl als Antwort herauf. Ganz atemlos vor Redeanstrengung fragte mich der Kleine:

      »Herr, habe ich es ihnen nicht fein gesteckt? Habe ich es ihnen nicht deutlich gesagt?«

      »Ja, so fein, daß sie dich auslachten, wie du ja gehört hast.«

      »Sie haben keine Bildung. Sie wissen sich nicht zu benehmen. Sie haben keine Ahnung von dem Gesetze der Höflichkeit und von den Regeln der guten Sitten. Man muß selbst seinen Feind anständig behandeln, und mit schönen, wohlklingenden Komplimenten besiegen.«

      »Ja, das hast du eben jetzt bewiesen, lieber Halef. Die Komplimente, die du ihnen nachgerufen hast, waren niedlich.«

      »Das war nicht ich, sondern der Zorn. Hätte ich selbst gesprochen, so wäre ich höflich gewesen. Nun sind sie fort. Was ist zu tun?«

      »Jetzt gar nichts. Wir stehen nun wieder grad so da, wie vor unserer Ankunft hier in Ostromdscha. Unsere Feinde sind vor uns; sie sind frei und haben sich sogar noch um einen Mann vermehrt. Jetzt kann die Jagd von neuem beginnen, und wer weiß, ob wir jemals wieder so günstige Gelegenheiten bekommen, wie hier.«

      »Recht hast du, Sihdi. Diesen Kodscha Bascha sollte man an den Galgen hängen!«

      »Er hat sie nicht nur frei gelassen, sondern ihnen auch ihre Pferde wieder gegeben.«

      »Meinst du?«

      »Selbstverständlich! Du hast doch gehört, daß sie Pferde hatten? Die haben für sie bereit gestanden.«

      »Er wird es leugnen.«

      »Seine Lügen nützen ihm nichts. Ich habe ihm ein Stück aus dem Kaftan gerissen, und es befindet sich in meiner Tasche.«

      »Was aber willst du mit ihm machen? Hast du Gewalt über ihn?«

      »Leider nicht.«

      »Nun, so nehme ich die Sache in die Hand.«

      »Was willst du tun?«

      »Das wird sich finden.«

      »Keine neue Uebereilung, Halef!«

      »Sei unbesorgt, Sihdi! Ich werde mich nicht übereilen, sondern die Sache in der größten Ruhe und Gemächlichkeit erledigen. Müssen wir jetzt nicht nach der Hütte zurückkehren?«

      »Ja. Vielleicht ist da noch etwas zu retten.«

      Es wurde uns nicht schwer, den Weg, den wir nun kannten, trotz der Dunkelheit zurückzufinden.

      Die Wohnung des Mübarek mußte viele das Feuer nährende Stoffe enthalten haben, denn die Flamme stieg sehr hoch empor. Es waren unterdessen Leute angekommen, welche der weithin sichtbare Brand herbeigelockt hatte.

      Eben als wir unter den Bäumen hervortraten, kam von der andern Seite, wo der Weg mündete, der Kodscha Bascha herbeigelaufen. Dieser Titel ist übrigens ein sehr eigentümlicher für einen Stadtrichter oder Bürgermeister, denn er bedeutet, wörtlich übersetzt: »Oberhaupt der Ehemänner«. Als dieses Oberhaupt uns erblickte, erhob er den Arm, deutete auf uns und rief:

      »Ergreift sie! Haltet sie fest! Sie sind die Brandstifter!«

      Ich war über diese Frechheit mehr erstaunt als erzürnt. Der Mensch besaß eine geradezu verblüffende Unverschämtheit. Die Anwesenden, welche alle wußten, wie ich ihm heute mitgespielt hatte, beeilten sich natürlich gar nicht, seinen Befehl auszuführen.

      »Habt ihr‘s gehört?« fuhr er sie an. »Ergreifen sollt ihr die Brandstifter!«

      Da geschah etwas, dessen er sich wohl schwerlich versehen hatte. Der kleine Halef trat nämlich auf ihn zu und fragte:

      »Ne mi iz sewgülüm – was sind wir, mein Liebling?«

      »Harakadschilarsiz – Brandstifter seid ihr,« antwortete er.

      »Du irrst, Kodscha Bascha. Wir sind etwas ganz anderes. Wir sind Gerber, und um dir das anschaulich zu machen, werden wir dir jetzt ein wenig das Fell gerben, nicht das ganze Fell, denn dazu haben wir keine Zeit, sondern nur denjenigen Teil, über dessen Festigkeit du dich dann königlich freuen wirst, da du ihn zum Sitzen brauchst. Osko, Omar, kommt herbei!«

      Die beiden Genannten ließen sich das nicht zweimal sagen. Zwar warfen sie zunächst einen fragenden Blick auf mich, um zu erfahren, wie ich mich zu der Absicht des streitbaren Kleinen verhalten werde; aber da ich weder dafür noch dagegen sprach, sondern mich ganz neutral verhielt, so packten sie den alten Wackelkopf mit kräftigen Armen und legten ihn auf den Boden nieder.

      Er merkte, was da vorgehen solle, und erhob ein angstvolles Geschrei.

      »Allah, Allah!« rief er. »Was wollt ihr tun? Wollt ihr euch an der göttlichen und menschlichen Obrigkeit vergreifen? Allah wird euch vernichten, und der Padischah wird euch in alle seine Kerker stecken. Man wird euch die Köpfe abschlagen und dann eure Leiber an den Toren aller Städte und Dörfer aushängen!«

      »Schweig!« befahl ihm Halef. »Der Prophet hat seinen Anhängern geboten, jedes Schicksal geduldig hinzunehmen, weil es im Buch des Lebens verzeichnet steht. Gestern habe ich darin gelesen, daß du Hiebe bekommen sollst, und weil ich ein gläubiger Sohn des Propheten bin, so werde ich dafür sorgen, daß dieses schöne Kismet an dir in Erfüllung geht. Legt ihn auf den Bauch, wenn er überhaupt einen hat, und haltet ihn fest!«

      Osko und Omar befolgten pünktlich diesen Befehl. Zwar wendete


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