Durchs wilde Kurdistan. Karl May
wird nun aus dem Feste?« fragte ich Ali Bey. »Die Osmanly können noch mehrere Tage lang da unten verweilen müssen, und eine so lange Zeit dürften die Dschesidi doch nicht warten wollen.«
»Ich werde ihnen ein Fest geben, welches größer ist, als sie erwartet haben,« antwortete er. »Weißt du den Weg nach dem Tale Idiz noch genau?«
»Ja.«
»Du hast Zeit. Reite hin, und hole Mir Scheik Khan mit den Scheiks und Kawals herbei. Wir wollen sehen, ob sich die Ueberreste des Pir Kamek finden lassen, und sie im Tale Idiz begraben.«
Das war allerdings ein Gedanke, welcher bei den Dschesidi zünden mußte, und mir war es außerordentlich lieb, bei dem Begräbnisse eines Dschesidi gegenwärtig sein zu können. Ich nahm nur Halef mit, den Buluk Emini aber ließ ich zurück.
Zwar hatte ich gesagt, daß der Weg nach dem Tale Idiz mir bekannt sei, aber ich war ja nicht von Scheik Adi, sondern von Baadri aus dorthin gekommen. Jedenfalls glaubte der Bey, daß ich mit dem Sohne Seleks über Scheik Adi geritten sei, und ich klärte ihn nicht auf, weil es mir Vergnügen machte, zu sehen, ob ich das Tal finden werde, ohne den Weg zu kennen. In der Richtung konnte ich mich nicht irren, und die Spuren der Dschesidi vom Tage vorher mußten mich ja ganz genau führen. Ich ritt also an der Kante des Tales hin, bis ich oberhalb des Heiligtums anlangte. Bis hierher kam ich an zahlreichen Dschesidi vorüber, die den Abhang eng besetzt hielten; dann aber wandte ich mich links in den Wald hinein. Einem geübten Auge war es selbst vom Pferde herab nicht schwer, die Spur zu erkennen. Wir folgten ihr und langten bald an der Stelle an, an der ich mit meinem Dolmetscher hinabgestiegen war. Hier stand eine Wache, die den Auftrag hatte, jeden Unberufenen abzuweisen. Wir stiegen von den Pferden und ließen sie oben.
Als wir die Steilung hinunterkletterten, bot sich uns ein seltsamer, lebensvoller Anblick dar. Tausende von Frauen und Kindern hatten sich in den malerischsten Stellungen dort unten gelagert. Pferde grasten; Rinder weideten; Schafe und Ziegen kletterten an den Felsen herum; aber kein Laut war zu hören, denn ein Jeder redete leise, damit das Versteck ja nicht durch einen unvorsichtigen Laut verraten werde. Am Wasser saß Mir Scheik Khan mit seinen Priestern. Sie empfingen mich mit großer Freude; denn sie hatten bisher nur erfahren, daß der Angriff des Feindes allerdings mißlungen sei, aber einen ausführlichen Bericht hatten sie noch nicht erhalten. »Ist das Heiligtum erhalten?« Das war die erste Frage, die der Khan an mich richtete.
»Das Heiligtum ist unversehrt, und ebenso alle anderen Gebäude.«
»Wir hörten das Schießen. Ist viel Blut geflossen?«
»Nur das der Osmanly.«
»Und die Unsrigen?«
»Ich habe nicht gehört, daß einer während des Kampfes verletzt worden sei. Zwei allerdings sind tot, doch starben sie nicht im Streite.«
»Wer ist es?« »Der Sarradsch[16] Hefi aus Baazoni und – —«
»Hefi aus Baazoni? Ein frommer, fleißiger und tapferer Mann. Nicht im Kampfe? Wie starb er denn?«
»Der Bey sandte ihn als Parlamentär zu den Osmanly, und sie erschossen ihn. Ich mußte zusehen, ohne ihn retten zu können.«
Die Priester neigten die Häupter, falteten die Hände und schwiegen. Nur Mir Scheik Khan sagte mit ernster, tiefer Stimme:
»Er ist verwandelt. El Schems wird ihm hier nicht mehr leuchten, aber er wandelt unter den Strahlen einer höheren Sonne in einem Lande, wo wir ihn wiedersehen werden. Dort gibt es weder Tod noch Grab, weder Schmerz noch Kummer; dort ist ewig Licht und Wonne; denn er ist bei Gott!«
Diese Art und Weise, die Nachricht von dem Tode eines Freundes hinzunehmen, war ergreifend. Nicht ein böses Wort traf die Mörder. Diese Priester trauerten, aber sie gönnten dem Toten seine Verwandlung. Einer solchen Ergebenheit ist der Islam niemals fähig; sie konnte nur eine Folge der christlichen Ideen und Anschauungen sein, welche die Dschesidi aufgenommen und fest gehalten haben.
»Und wer ist der Andere?« fragte nun der Khan.
»Du wirst erschrecken!«
»Ein Mann erschrickt nie vor dem Tode, denn der Tod ist der Freund des Menschen, das Ende der Sünde und der Anfang der Seligkeit. Wer ist es?«
»Pir Kamek.«
Sie zuckten dennoch alle wie unter einem plötzlichen Schmerze, aber keiner sagte ein Wort. Auch jetzt sprach Mir Scheik Khan zuerst wieder:
»Ewlija dejischtirmis – der Heilige ist verwandelt. Chüda bujurdi – Gott hat es gewollt! Erzähle uns seinen Tod!«
Ich berichtete so ausführlich, als ich nur konnte. Sie hörten alle tief ergriffen zu, und dann bat der Khan:
»Brüder, laßt uns seiner gedenken!«
Sie senkten die Köpfe tief herab. Beteten sie? Ich weiß es nicht; aber ich sah, daß die Augen mehrerer sich befeuchteten und daß ihre Rührung wohl eine wahre und herzliche war.
Man hat behauptet, daß nur der Deutsche das besitze, was man »Gemüt« nennt. Wenn dies wahr sein sollte, so waren diese Dschesidi den Deutschen sehr ähnlich. Wie wollte ich es ihnen gönnen, wenn die göttliche Milde und Klarheit des Christentums die Schatten ihrer Täler erleuchten und die Spitzen ihrer Berge vergolden dürfte!
Erst nach einer längeren Weile wich ihre Andacht der gewöhnlichen Stimmung, so daß ich wieder zu ihnen reden konnte:
»Nun sendet mich Ali Bey, um euch zu ihm zu holen. Er will es versuchen, ob die Ueberreste des Heiligen noch zu finden sind, damit sie in diesem Falle heute noch begraben werden.«
»Ja, das ist eine wichtige Aufgabe, welche wir zu lösen haben. Die Gebeine des Pir dürfen nicht da ruhen, wo diejenigen des Miralai liegen!«
»Ich befürchte sehr, daß wir nicht Gebeine, sondern nur Asche finden werden!«
»So laßt uns eilen!«
Wir brachen auf, das heißt, sämtliche Priester und Kawals; die Fakirs aber blieben zur Beaufsichtigung von Idiz zurück. Als wir oberhalb Scheik Adi bei dem Zelte des Bey anlangten, sprach dieser mit einem Mann, den er an den Kaimakam mit der Frage gesendet hatte, ob die Türken den Priestern der Dschesidi erlauben würden, den Scheiterhaufen zu untersuchen. Der Offizier hatte bejahend geantwortet und nur die Bedingung ausgesprochen, daß die betreffenden Personen keine Waffen bei sich führen sollten.
Ali Bey konnte die Scheiks nicht begleiten, da er stets anderweit zur Disposition sein mußte. Ich bat, mich anschließen zu dürfen, und das wurde mir gern gestattet. Fast hätte man die Hauptsache vergessen: ein Gefäß, welches die Asche des Heiligen aufnehmen sollte. Auf eine darauf bezügliche Frage zeigte der Bey, daß er auch bereits an diesen Umstand gedacht habe.
»Mir Scheik Khan, du weißt, daß der berühmte Töpfer Rassat in Baazoni meinem Vater Hussein Bey eine Urne machte, die einst seinen Staub aufnehmen soll, wenn es Zeit ist, ihn aus dem Grabe zu entfernen, damit er nicht mit dem Mehle des Sarges vermengt und verunreinigt werde. Diese Urne ist ein Meisterstück des berühmten Töpfers und wohl wert, die Ueberreste des Heiligen aufzunehmen. Sie steht in meinem Hause zu Baadri, und ich habe bereits Boten ausgesandt, sie herbeizuholen. Sie wird ankommen, noch ehe ihr am Scheiterhaufen eure Arbeit beendet habt.«
Dies war genügend, und so setzte sich die Prozession nach niederwärts in Bewegung. Wir kamen bei der Batterie vorüber und langten an dem Orte an, wo der »Heilige« sich und seinen Feind der Rache geopfert hatte. Wir sahen einen Aschenhügel, aus dem die halb verbrannten Stummel starker Hölzer hervorragten. Vor demselben lag die Leiche des erschossenen Parlamentärs. Die Hitze des Feuers hatte wohl seine Kleider, nicht aber seinen Körper zerstört. Er wurde entfernt, eine Arbeit, bei der unsere Geruchsnerven nicht wenig zu leiden hatten.
Die Asche war erkaltet. Die nahe liegenden Häuser lieferten die nötigen Werkzeuge, und nun begann man eine vorsichtige, nur Zoll für Zoll fortschreitende Wegräumung der Aschendecke. Diese Abräumung mußte so sorglich vorgenommen werden, daß sie eine sehr lange Zeit in Anspruch nahm, während welcher ein Dschesidi mit einem Maultiere anlangte, auf dessen Rücken die Urne befestigt war. Ihre Form glich über dem
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Sattelmacher.