Durchs wilde Kurdistan. Karl May
vier Männer traten zum Feuer herbei; ich konnte jedes ihrer Worte vernehmen.
»Nun, so rede!« gebot der Hauptmann.
»Laß uns frei! Wir werden dich bezahlen.«
»Habt ihr Geld?«
»Wir haben Geld.«
»Wißt ihr es nicht, daß dieses Geld bereits mir gehört? Alles, was ihr bei euch führt, ist unser.«
»Du wirst es nie finden. Wir kommen von Mekka her, und wer eine solche Reise macht, der weiß sein Geld zu verbergen.«
»Ich werde es finden!«
»Du wirst es nicht finden, selbst wenn du uns tötest und alles ganz genau durchsuchen lässest. Die Teufelsanbeter haben sehr gute Mittel, ihr Geld unsichtbar zu machen.«
»Allah ist allwissend!«
»Aber du bist nicht Allah!«
»Ich darf euch nicht freilassen.«
»Warum?«
»Ihr würdet uns verraten.«
»Verraten? Wie so?«
»Seht ihr nicht, daß wir hier sind, um einen Kriegszug zu unternehmen?«
»Wir werden dich nicht verraten.«
»Aber ihr wollt nach Scheik Adi gehen!«
»Sollen wir nicht?«
»Nein.«
»So sende uns, wohin es dir beliebt!«
»Wolltet ihr nach Baaweiza gehen und dort zwei Tage warten?«
»Wir wollen es.«
»Wie viel wollt ihr uns für eure Freiheit zahlen?«
»Wie viel verlangst du?«
»Fünfzehntausend Piaster[6] für jeden.«
»Herr, wir sind sehr arme Pilger. So viel haben wir nicht bei uns!«
»Wie viel habt ihr?«
»Fünfhundert Piaster können wir dir vielleicht geben.«
»Fünfhundert? Kerl, ihr wollt uns betrügen!«
»Vielleicht bringen wir auch sechshundert zusammen.«
»Ihr gebt zwölftausend Piaster und keinen Para weniger. Das schwöre ich euch bei Mohammed. Und wollt ihr nicht, so lasse ich euch so lange prügeln, bis ihr sie gebt. Ihr habt gesagt, daß ihr Mittel besitzt, euer Geld unsichtbar zu machen; ihr habt also viel bei euch, und ich habe das Mittel, eure Piaster wieder sichtbar zu machen!«
Halef tat, als erschrecke er.
»Herr, tust du es wirklich nicht billiger?«
»Nein.«
»So müssen wir es dir geben!«
»Ihr Schurken, jetzt sehe ich, daß ihr viel Geld bei euch habt! Nun werdet ihr nicht für zwölftausend Piaster frei, sondern ihr müßt das geben, was ich zuerst verlangte, nämlich fünfzehntausend.«
»Verzeihe, Herr, das ist zu wenig!«
Der Hauptmann sah den kleinen Hadschi Halef ganz erstaunt an.
»Wie meinst du das, Kerl?«
»Ich meine, daß ein jeder von uns mehr wert ist, als fünfzehntausend Piaster. Erlaube, daß wir dir fünfzigtausend geben!«
»Mensch, bist du verrückt?«
»Oder hunderttausend!«
Der Bäckermeister-Jüs Baschi blies ganz ratlos die Backen auf, blickte dem Leutnant in das hagere Gesicht und fragte ihn:
»Leutnant, was sagst du?«
Dieser hatte den Mund offen und gestand freimütig:
»Nichts, ganz und gar nichts! «
»Ich auch nichts! Diese Menschen müssen ungeheuer reich sein!«
Dann wandte er sich wieder zu Halef:
»Wo habt ihr das Geld?«
»Mußt du es wissen?«
»Ja.«
»Wir haben einen bei uns, der für uns bezahlt. Du kannst ihn aber nicht sehen.«
»Allah beschütze uns! Du meinst den Teufel!«
»Soll er kommen?«
»Nein, nein, niemals! Ich bin kein Dschesidi, ich verstehe nicht, mit ihm zu reden! Ich würde tot sein vor Schreck!«
»Du wirst nicht erschrecken, denn dieser Scheïtan kommt in der Gestalt eines Menschen. Da ist er schon!«
Ich hatte mich hinter dem Baume erhoben, und mit zwei schnellen Schritten stand ich vor den beiden Offizieren. Sie fuhren entsetzt auseinander, der eine nach rechts und der andere nach links. Da ihnen aber meine Gestalt doch nicht ganz und gar schrecklich vorkommen mochte, so blieben sie stehen und starrten mich wortlos an.
»Jüs Baschi,« redete ich sie an, »ich habe alles gehört, was ihr heute abend gesprochen habt. Ihr sagtet, Scheik Adi sei ein böses Nest!«
Ein schwerer Atemzug erscholl als einzige Antwort.
»Ihr sagtet, Allah möge dort die Leute zerhacken und zerquetschen.«
»Oh, oh!« ertönte es.
»Ihr sagtet ferner, ihr wolltet die Bösewichter, die Buben, die Unreinen, die Unverschämten, die Hunde niederschießen und große Beute machen!«
Der Mülasim war halb tot vor Angst, und der Jüs Baschi konnte nichts als stöhnen.
»Ihr wolltet dann befördert werden und Tabak aus Schiras rauchen!«
»Er weiß alles!« brachte der dicke Hauptmann angstvoll hervor.
»Ja, ich weiß alles. Ich werde euch befördern. Weißt du, wohin?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nach Scheik Adi, zu den Unreinen und Unverschämten, die ihr töten wolltet. Jetzt sage ich zu euch das, was ihr vorhin zu diesen beiden Männern sagtet: Ihr seid meine Gefangenen!«
Die Soldaten konnten sich den Vorgang nicht erklären; sie standen in einem dichten Knäuel beisammen. Der Wink, den ich bei meinen letzten Worten gab, genügte. Die Dschesidi brachen hervor und umringten sie. Nicht ein einziger dachte daran, Widerstand zu leisten. Alle waren ganz verblüfft. Die Offiziere aber ahnten nun doch den wahren Sachverhalt und griffen in den Gürtel.
»Halt, keine Gegenwehr!« ermahnte ich sie, indem ich den Revolver zog. »Wer zur Waffe greift, wird augenblicklich niedergeschossen!«
»Wer bist du?« fragte der Hauptmann.
Er schwitzte förmlich. Der brave Fallstaff dauerte mich einigermaßen, und die Don Quixote-Gestalt neben ihm gleichfalls. Um ihre Beförderung war es nun geschehen.
»Ich bin euer Freund und wünsche deshalb, daß ihr nicht von den Dschesidi niedergeschossen werdet. Gebt eure Waffen ab!«
»Aber wir brauchen sie doch!«
»Wozu?«
»Wir müssen damit die Geschütze verteidigen!«
Dieser beispiellosen Naivität war nicht zu widerstehen, ich mußte laut auflachen. Dann beruhigte ich sie:
»Seid ohne Sorgen; wir werden die Kanonen behüten!«
Es ward zwar noch einiges hin und her gesprochen, dann aber streckten sie doch die Waffen.
»Was werdet ihr mit uns tun?« fragte jetzt der besorgte Jüs Baschi.
»Das kommt ganz auf euer Verhalten an. Vielleicht werdet ihr getötet, vielleicht aber auch erlangt ihr Gnade, wenn ihr gehorsam seid.«
»Was sollen wir tun?«
»Zunächst meine Fragen der Wahrheit gemäß beantworten.«
»Frage!«
»Kommen noch mehr Truppen hinter euch?«
»Nein.«
»Ihr
6
Dreitausend Mark ungefähr.