Durchs wilde Kurdistan. Karl May

Durchs wilde Kurdistan - Karl May


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möchte ich sehen!«

      »Was? Du glaubst das nicht! Wie bin ich da zum Beispiel um meine Nase gekommen, welche ich nicht mehr habe! Das war nämlich bei einem Streite zwischen den Drusen und Maroniten des Dschebel Libanon. wir wurden hin geschickt, um Ruhe und Achtung der Gesetze zu erkämpfen. In einer dieser Schlachten schlug ich wie wütend um mich herum. Da holte ein Feind nach meinem Kopfe aus. Ich wollte ausweichen und trat zurück, und nun traf der Hieb statt meinen Kopf meine Na- – — ooh – aah – — was war das?«

      »Ja, was war das? Ein Kanonenschuß!«

      Halef hatte recht; es war ein Kanonenschuß, der den kleinen Buluk Emini um den Schluß seiner interessanten Erzählung gebracht hatte. Das war jedenfalls der Signalschuß, den unsere Artilleristen abgegeben hatten, um uns anzuzeigen, daß der Adjutant des Miralai von ihnen gefangen genommen worden sei. Die beiden Diener kamen sofort von oben herunter geeilt.

      »Sihdi, man schießt!« rief Halef, nach den Hähnen seiner Pistolen sehend.

      »Mit Kanonen!« fügte Ifra hinzu.

      »Schön! Holt die Tiere herein und schafft sie nach dem innern Hof!«

      »Auch meinen Esel?«

      »Ja. Dann schließt ihr die Tür!«

      Ich selbst holte den weißen Shawl und breitete ihn oben auf der Plattform aus. Dann ließ ich mir einige Decken kommen und legte mich in der Weise darauf, daß ich von unten nicht bemerkt werden konnte. Die beiden Diener nahmen später unweit von mir Platz.

      Es war mittlerweile so licht geworden, daß man ziemlich deutlich sehen konnte. Der Nebel wallte bereits im Tale auf; aber noch immer brannten die Lichter und Flammen des Heiligtums, ein Anblick, der dem Auge wehe zu tun begann.

      So vergingen fünf, ja zehn erwartungsvolle Minuten. Da hörte ich drüben am Abhange ein Pferd wiehern, noch eins, und dann antwortete ein drittes hüben von der andern Seite. Es war klar: die Truppen rückten zu gleicher Zeit an beiden Seiten in das Tal hernieder. Die Befehle des Miralai wurden mit großer Pünktlichkeit befolgt.

      »Sie kommen!« meinte Halef.

      »Ja, sie kommen!« bestätigte Ifra. »Herr, wenn sie uns nun für Dschesidi halten und auf uns schießen?«

      »Dann lässest du deinen Esel hinaus, an welchem sie dich sofort erkennen werden!«

      Kavallerie war jedenfalls nicht dabei; die Pferde, welche gewiehert hatten, waren Offizierspferde. Man hätte das Pferdegetrappel hören müssen. Nach und nach aber ließ sich ein Geräusch bemerken, das immer hörbarer wurde. Es war der Tritt vieler Menschen, die näher kamen.

      Endlich ertönten Stimmen von dem Grabmale her, und zwei Minuten später vernahmen wir den Marschschritt einer geschlossenen Kolonne. Ich erhob den Kopf und schaute hinab. Es waren vielleicht zweihundert Arnauten, prächtige Gestalten mit wilden Angesichtern, angeführt von einem Alai Emini und zwei Hauptleuten. Sie zogen in geschlossenen Gliedern das Tal hinab. Hinter ihnen kam aber eine Bande Baschi-Bozuk, die sich nach rechts und links zerstreute, um die unsichtbaren Bewohner des Tales aufzusuchen. Dann folgte eine kleine Kavalkade von lauter Offizieren: zwei Jüs Baschi, zwei Alai Emini[7], zwei Bimbaschi[8], ein Kaimakam[9], mehrere Kol Agassi[10] und an der Spitze der Truppe ein langer, hagerer Mensch, mit einem außerordentlich grob zugehackten Gesichte, in der reichen, von Gold strotzenden Uniform eines Regimentskommandeurs.

      »Das ist der Miralai Omar Amed!« meinte Ifra in achtungsvollem Tone.

      »Wer ist der Zivilist an seiner Seite?« fragte ich.

      An der Seite des Obersten nämlich ritt ein Mann, dessen Züge höchst auffällig waren. Ich weiß, daß man einen Menschen nicht mit einem Wesen aus dem Tierreiche vergleichen soll; aber es gibt wirklich menschliche Physiognomien, welche ganz unwillkürlich an bestimmte Tiere erinnern. Ich habe Gesichter gesehen, die etwas Affen-, Bullenbeißer- und Katzenartiges hatten; ich habe bei gewissen Gesichtsschnitten sofort an einen Ochsen, einen Esel, eine Eule, ein Wiesel, ein Rüsseltier oder einen Fuchs oder Bären denken müssen. Mag man nun Phrenolog und Physiognomiker sein oder nicht, man wird doch bald bemerken, daß auch die Haltung, der Gang, die Ausdrucksweise, das ganze Tun und Treiben eines solchen Menschen eine gewisse Aehnlichkeit mit der Art und Weise des Tieres besitzt, an das man durch die Physiognomie erinnert wurde. Das Gesicht des Mannes nun, den ich jetzt sah, hatte etwas Raubvogelähnliches; es war ganz das eines Stößers.

      »Es ist der Makredsch[11] von Mossul, der Vertraute des Mutessarif,« antwortete der Buluk Emini.

      Was wollte, oder was sollte dieser Makredsch mit den Truppen hier? Ich konnte meinen Vermutungen darüber nicht nachhängen, denn jetzt ertönte plötzlich ein Kanonenschuß und noch einer. Ein wirres Heulen, Schreien und Rufen erscholl, und dann hörte ich ein Stampfen, als ob viele Menschen im Galoppe herbei gesprungen kamen. Die Kavalkade hatte grad unter meinem Beobachtungsposten angehalten.

      »Was war das?« rief der Miralai.

      »Zwei Kanonenschüsse!« antwortete der Makredsch.

      »Sehr richtig!« bemerkte der Oberst spöttisch. »Ein Offizier wäre wohl schwerlich auf diese Antwort gekommen. Aber, Allah, was ist das!«

      Die Arnauten, welche soeben erst vorüber marschiert waren, kamen in größter Unordnung und schreiend zurückgeflohen; vier unter ihnen blutig und zerfetzt, alle aber von höchstem Schreck ergriffen.

      »Halt!« donnerte der Oberst. »Was ist geschehen?«

      »Man hat mit Kartätschen auf uns geschossen. Der Alai Emini ist tot und ebenso einer der Hauptleute; der andere liegt verwundet dort.«

      »Allah onlari boza-uz – Allah vernichte sie! Auf ihre eigenen Leute zu feuern! Ich lasse sie alle tot peitschen. Nasir Agassi, reite vor und kläre diese Hunde auf!«

      Dieser Befehl war an einen der Kol Agassi gerichtet, die sich in seinem Gefolge befanden. Es war derselbe, den ich am Bache von Baadri überrascht und dem ich dann wieder zu seiner Freiheit verholfen hatte. Er gab seinem Pferde die Sporen, kehrte aber in kürzester Zeit wieder zurück.

      »Herr, es sind nicht die Unserigen, sondern es sind Dschesidi, welche geschossen haben. Sie ließen mich herankommen und riefen es mir zu.«

      »Wo sind unsere Geschütze?«

      »Die befinden sich in ihren Händen; mit ihnen haben sie geschossen; sie haben die Geschütze heute nacht dem Jüs Baschi abgenommen.«

      Der Oberst stieß einen fürchterlichen Fluch hervor.

      »Dieser Halunke soll es mir büßen! Wo ist er?«

      »Gefangen mit allen seinen Leuten.«

      »Gefangen? Mit allen? Also ohne sich gewehrt zu haben!«

      Er stieß seinem Pferde vor Wut die Sporen so in die Weichen, daß es kerzengerade empor stieg, dann fragte er weiter:

      »Wo sind die Dschesidi, die Teufelsmänner, diese Giaurs unter den Giaurs? Ich wollte sie fangen, peitschen, töten, aber keiner läßt sich sehen! Sind sie verschwunden? Man wird sie finden. Vorher aber holt mir die Geschütze zurück! Die von Diarbekir haben sich geschlossen. Vorwärts mit ihnen, und dann die Hunde von Kjerkjuk hinterher!«

      Der Kol Agassi sprengte zurück, und sofort setzten sich die Infanteristen von Diarbekir in Bewegung. Der Oberst ging mit seinem Stab zur Seite. Sie marschierten an ihm vorüber. Weiter konnte ich nichts sehen, da das Tal eine Wendung machte; aber kaum war eine Minute vorüber, so dröhnte ein Kanonenschuß, ein zweiter, dritter und vierter, und dann erfolgte ganz dieselbe Szene wie vorher: die Verschonten und Leichtverwundeten kamen zurückgeflohen, indem sie die Toten und Schwerverwundeten hinter sich ließen. Der Oberst ritt mitten unter sie hinein und züchtigte sie mit der flachen Klinge seines Säbels.

      »Steht, ihr Feiglinge; steht, sonst schicke ich euch mit eigener Hand in die Dschehennah! Agassi, die Dragoner herunter!«

      Der


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<p>7</p>

Regimentsquartiermeister oder Rang-Major.

<p>8</p>

Major oder Bataillonschef.

<p>9</p>

Oberstleutnant.

<p>10</p>

Stabsoffizier, Adjutant.

<p>11</p>

Vorsteher des Gerichtshofes.