Im Lande des Mahdi I. Karl May
Wer vermietet drei Zimmer, ohne Bezahlung zu verlangen?«
»Wer? Ich, Effendi, ich!«
»Sie selbst? Besitzen Sie denn ein Haus in Kairo?«
»Nein; aber ich habe mir eins gemietet. Aus Geschäftsrücksichten und wegen der Vorbereitungen zur Reise war ich gezwungen, wenigstens drei Wochen in Kairo zu bleiben. Und weil ich den Harem meiner Schwester bei mir habe, konnte ich weder in einem Hotel noch in einem Privathause sein, welches noch von andern Leuten bewohnt wird; ich mußte mir also ein ganzes Haus mieten, was eine sehr schwere Aufgabe war. Endlich fand ich ein passendes Gebäude, zwei Straßen von hier. Der Besitzer ist ein sehr reicher Mann gewesen und hat seine ganze, prächtige Einrichtung zurückgelassen.«
»Und da haben Sie drei Zimmer übrig?«
»Noch mehr, wenn Sie wollen. Das Haus ist groß und weit, und ich bewohne es ganz allein; da giebt es Stuben, welche wir nie betreten. Es ist ein eigentümliches Gefühl, ein so weitläufiges Gebäude allein zu bewohnen; darum würden Sie mir einen wahren Gefallen erweisen, wenn Sie zu mir ziehen und auch an meinen einsamen Mahlzeiten teilnehmen wollten.«
»Hm! Dieser Vorschlag kommt mir nicht unannehmbar vor. Darf ich mir die betreffenden Zimmer einmal ansehen?«
»Ganz gern! Wenn es Ihnen recht ist, werden wir sofort aufbrechen. Junge, ich will bezahlen!«
Er rief diese letzten Worte nach hinten. Der Negerknabe steckte den Kopf zu der dort befindlichen Thüre herein und zog ihn wieder zurück. Er befürchtete eine nochmalige Wiederholung der Züchtigung und kam nicht, sondern schickte den Wirt. Der Dicke hatte für die Flasche Bier sieben Piaster, also über zwölf Groschen zu bezahlen; er murrte aber nicht über diesen Preis, sondern ließ dem Knaben noch einen Piaster Bakschisch einhändigen. Er schien ein Liebhaber des deutschen Gerstensaftes zu sein und meinte, daß wir dann, wenn ich die Wohnung angesehen hätte, wieder nach hier zurückkehren könnten.
Unterwegs erfuhr ich, daß er seine ganze freie Zeit in diesem Bierhause zuzubringen pflege, weil das Getränk ein ausgezeichnetes und der Verkehr vor dem Hause ein sehr unterhaltender sei. Die Straße verbreiterte sich nämlich dort auf eine kurze Strecke, was zur Folge hatte, daß der echt orientalisch laute Handel und Wandel sich besser entwickeln konnte. Man hatte von dem Bierhause aus einen sehr interessanten Blick auf das Treiben der bunten Masse; das mochte Murad Nassyr angezogen haben.
Wir kamen in die Gasse, in welcher er wohnte. Es war eine Sackgasse, wie es deren viele in Kairo giebt. Die Häuser derselben sahen gar nicht sehr einladend aus, was aber keineswegs auf das Innere schließen ließ. Es giebt Gebäude, welche auf der Straßenseite fast Ruinen gleichen und im Innern wahre Paläste sind. Der Orientale verheimlicht, ganz im Gegensatze zu dem Abendländer, alles, was sich auf seine Häuslichkeit und sein Familienleben bezieht. Das mag seine guten Seiten haben, läßt aber keine soziale Entwicklung, keinen bürgerlichen Zusammenhalt, kein gesellschaftliches Vorwärtsstreben aufkommen.
Viele Häuser waren ganz fensterlos. Wo es aber Fenster gab, da waren sie ganz unregelmäßig und scheinbar gedankenlos angebracht und dazu mit dicken Holzgittern versehen. Lange Fensterreihen mit blinkenden Glasscheiben, welche dem Außenlichte freien Zutritt gewähren, darf man im Oriente nicht suchen. Eine solche Fülle des Lichtes würde höchst störend wirken.
Das Gebäude, welches die Gasse abschloß, also querüber stand, war dasjenige, in welchem der Türke sich eingemietet hatte. Die Thüre war zwar sehr hoch, aber schmal. Ein Reiter konnte hindurch, mußte aber die Füße eng an den Leib des Pferdes legen, um nicht rechts und links anzustreifen. Sie war verschlossen; neben derselben hing an einer Schnur ein hölzerner Hammer, mit welchem Nassyr klopfte.
Erst nach längerer Zeit wurde geöffnet, und zwar von einem Menschen, über dessen Gestalt ich beinahe in Schreck geraten wäre. Indem er so vor mir unter der Thüre stand und mich mit neugierigen Augen musterte, war er um mehr als einen Kopf länger als ich; aber um so schmaler war sein Körper. Seine Brust war nur anderthalb Spannen breit; aber aus jedem Arme hätte ich, die Länge derselben gerechnet, zwei für mich machen können. In diesem Verhältnisse war sein Leib, war jedes Glied und auch das Gesicht gestaltet, lang, ewig lang, aber erschreckend schmal. Seine Nase war wenigstens sechs Zoll lang und dabei so scharf, daß man sie als Schnitzmesser hätte gebrauchen können. Das Gesicht war glatt rasiert. Auf dem Kopfe saß ein Turban von einer solchen Breite, wie ich sie selbst bei den Kurden, welche doch bekanntlich die breitesten Turbans tragen, nicht gesehen hatte. Vom Halse bis nach ganz unten, so daß man die Füße nicht sehen konnte, hing ein hemdartiger Talar von weißer Farbe herab; aber was für ein Weiß!
»Dieser Mann ist Selim, mein Haushofmeister,« sagte der Türke, indem er den langen, gespensterähnlichen Kerl zurück- und mich demselben nachschob. Wir traten ein, und der geisterhafte Selim verriegelte die Thüre hinter uns. Wir befanden uns in einem engen Hausgange, aber nicht in der Mitte, sondern auf der rechten Seite des Parterres, da die Thüre auf derselben angebracht war. Sämtliche Räume lagen also links von uns. Zunächst führte Nassyr mich hinaus in den Hof, dessen Einrichtung eine wirklich kostbare gewesen, jetzt aber sehr verfallen war. Wir gingen auf Marmor. In der Mitte des Hofes befand sich ein Bassin aus demselben Stoffe, aber ohne Wasser. Die vier Seiten wurden von dem Gebäude gebildet, welches den Hof rundum einschloß. Da standen ringsum Säulen, welche das obere Geschoß trugen und zwischen oder hinter denen ich die Thüren sah, welche in die Gemächer führten. Der Türke machte eine kreisförmige Bewegung mit der ausgestreckten Hand und sagte:
»Da liegt rings die ganze frühere Herrlichkeit. Hier hat es einen köstlichen Springbrunnen gegeben, welcher Kühle spendete, sich aber längst nicht mehr in Thätigkeit befindet. Denken Sie, wie viele Zimmer es hier giebt, oben und unten! Wer soll sie alle in Gebrauch nehmen!«
Er hatte türkisch gesprochen. Der Haushofmeister, welcher seitwärts von uns stand, verbeugte sich zustimmend und sagte arabisch: »Richtig, sehr richtig!«
Aber was für eine Verbeugung war das! Ich hatte noch nie eine solche gesehen und werde auch niemals wieder eine zu sehen bekommen, denn ein Haushofmeister Selim existiert nur einmal auf dieser Erde. Als er den Oberleib senkte, geschah das so plötzlich und mit solcher Gewalt, daß es schien, als ob derselbe von der Stellage der langen Beine ab- und zu Boden geschleudert werden solle. Dabei wackelte jedes Glied an dem Menschen. Er glich einer Espe oder Zitterpappel, durch deren Zweige und Blätter ein plötzlicher, starker Windstoß fährt. Dabei wurde der lange Kaftan in einer ganz eigenartigen, unbeschreiblichen Weise bewegt, ungefähr wie im Theater auf der Bühne das Tuch, mit dessen Hilfe die Wellenbewegung des Meeres dargestellt wird. Es war, als habe jede Rippe, jeder einzelne Knochen dieses Mannes sich aus dem Körperverbande gelöst und schieße nun auf eigene Rechnung allerlei Sprünge und Purzelbäume, welcher ausgelassenen Bewegung die betreffenden Stellen des Kaftans zu folgen hatten.
»Jetzt werde ich Ihnen auch den Garten zeigen,« fuhr der Türke fort. »Kommen Sie!«
Wir schritten über den Hof hinüber. Hinter mir hörte ich abermals ein »Richtig, sehr richtig!« und als ich mich umblickte, sah ich Selim in einer zweiten Verbeugung begriffen, welche so tief war, daß sein Leib mit den Beinen einen spitzen Winkel von sechzig Graden bildete.
Auf der anderen Seite des Hofes führte eine mit keiner Thüre versehene Maueröffnung in den Garten, der sehr groß war, natürlich im Verhältnisse zu dem Umstande, daß er mitten in der Stadt lag. Die drei anderen Seiten waren von einer doppelt manneshohen Mauer umgeben, welche an einigen Stellen altersschwache Breschen zeigten. Aber Grasplätze oder gar Blumen gab es nicht, sondern nur eine einzige Wildnis von allerlei Unkraut und Giftpflanzen, ein Bild des Orientes, wie es treffender gar nicht sein konnte.
»Das zeige ich Ihnen, damit Sie sich orientieren,« meinte Nassyr. »Nun sollen Sie Ihre Zimmer sehen.«
Wir kehrten in den Hof zurück. Dort stand Selim, auf uns wartend, noch immer an derselben Stelle und führte, als wir an ihm vorüberschritten, eine so waghalsige Verbeugung aus, daß mich die ernstliche Besorgnis überlief, seine überschlanke Taille werde sich aus der Hüfte drehen. Dann folgte er uns mit würdevollen Schritten, um uns die erste Thüre des Parterres zu öffnen, wobei er sich wieder so tief verneigte, daß die Spitze seiner Nase fast den Boden berührte.
Wir betraten