Im Lande des Mahdi II. Karl May
bei mir habe; später aber kann ich euch zerquetschen, wie man Würmer mit dem Fuße zertritt!«
Die Soldaten ließen ein zorniges Murmeln hören; er aber kehrte sich nicht daran und fuhr fort:
»Indem ihr einem Christen gegen diese Moslemin dient, verleugnet ihr den Propheten. Habt ihr ein Recht, diese Rechtgläubigen gefangen zu halten? Wenn sie Sklaven gefangen haben, wo steht denn im Kuran, daß der Sklavenhandel verboten ist?«
Seine Absicht war, die Asaker gegen mich aufzuwiegeln, und er glaubte vielleicht, daß ihm dies gelingen werde. Ich hatte gar nicht nötig, ihn durch Zwischenreden in der Ausführung dieses Vorhabens zu hindern, denn Ben Nil, welcher das Wort nun einmal für die andern ergriffen hatte, antwortete ihm:
»Du kennst die Lage der Sache nicht. Ibn Asl, der Sohn dieses alten Fakirs, hat die Beni Fessarah überfallen, viele von ihnen getötet und die jungen Frauen und Töchter davongeführt, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Wir aber haben sie ihm abgenommen und wieder in ihre Heimat geleitet. Aus Zorn und Rache darüber hat er uns seinen Vater mit diesen Männern entgegengesandt. Sie sollten uns hier auflauern und ermorden; dem Effendi aber sollten die Zunge und auch die Hände abgeschnitten werden. Ist es erlaubt, Rechtgläubige zu rauben und zu Sklaven zu machen?«
»Nein,« gestand der Fakir.
»Sind die Beni Fessarah Rechtgläubige oder Giaurs?«
»Rechtgläubige.«
»So hat sich Ibn Asl also einer Todsünde schuldig gemacht, und diese Menschen hier sind seine Mitschuldigen. Sie müssen dafür bestraft werden, gar nicht davon zu sprechen, daß sie Mörder sind, da sie das beabsichtigten, was ich dir mitgeteilt habe.«
Diese Mitteilung des Jünglings verfehlte ihren Eindruck nicht. Der Fakir el Fukara wendete sich an den alten Fakir Abd Asl und fragte:
»Ist das wirklich so, wie ich es jetzt gehört habe?«
»Man mag uns beweisen, daß wir diese Asaker töten wollten,« antwortete der Gefragte. »Es ist eine schändliche Lüge!«
»Leugne es nicht!« herrschte ich ihn an. »Ich habe es mit meinen Ohren gehört. Ich lag, um euch auszukundschaften, hinter dem Gesträuch, vor welchem du mit deinem angeblichen Dschelabi im Gespräch saßest.«
»Du hast dich geirrt,« meinte der Fakir el Fukara zu mir.
Ach habe richtig gehört, und es sind auch noch andere Beweise vorhanden.«
»Welche? Ich muß sie hören.«
»Du mußt? Wer hat dich zum Richter über mich gesetzt? Ich muß bloß das, was ich will, und meinen Willen werde ich dir sofort mitteilen. Ich will nämlich, daß du dich nicht weiter um diese Angelegenheit bekümmerst. Du hast dir in derselben die Hände schon so verbrannt, daß ich dir rate, dich vom Feuer fern zu halten. Du bist hier, ohne mich zu kennen, aufgetreten wie ein Gebieter. Ziehe deines Weges weiter oder lagere dich zu uns an den Brunnen, mir ist beides recht; aber sobald du fortfährst, dich in meine Obliegenheiten zu mischen, werde ich dir beweisen, daß ich infolge meiner Vollmachten der augenblickliche Gebieter an diesem Brunnen bin.«
»Wie willst du das beweisen?«
»Indem ich dich nicht länger dulde, sondern dich fortjage. Und nun kein weiteres Wort darüber! Tritt zurück! Du magst bei den Asakern lagern, bei den Gefangenen aber hast du nichts zu schaffen.«
Er sah es mir wohl an, daß ich Widerspruch nun wirklich nicht mehr dulden würde, und gehorchte; aber der Ingrimm lag wie eine wetterdrohende Wolke auf seinem Gesichte. Er sattelte sein Kamel ab und ließ es laufen, damit es weiden möge. Dann holte er sich Mundvorrat und einen Schöpfbecher aus der Satteltasche und ließ sich an dem Wasser nieder, um sein Abendbrot zu sich zu nehmen. Vorher aber holte er sein Abendgebet nach, welches er versäumt hatte, da zwischen seiner Ankunft und jetzt die Sonne untergegangen und also die Zeit des Mogreb, des vorgeschriebenen ersten Abendgebetes unbenützt verflossen war. Auch die Asaker beteten, da sie die gleiche Versäumnis begangen hatten.
Es waren vier Feuer angebrannt worden. Auf dem Raume zwischen denselben lagen die Gefangenen in voller Beleuchtung, damit wir die Bewegungen jedes einzelnen von ihnen leicht sehen konnten, und um diese herum bildeten die Asaker eine Kette, welche wieder von unsern an den Vorderbeinen gefesselten und in einem Kreise liegenden Kamelen eingefaßt wurde.
Auch ich setzte mich an den Brunnen, um zu essen. Ben Nil und der Fessarah-Führer gesellten sich zu mir. Der Fakir el Fukara saß so wenig entfernt von uns, daß er unser Gespräch hören und verstehen konnte. Ich hatte keine Veranlassung, heimlich gegen ihn zu thun; er hätte sonst vielleicht gar geglaubt, ich scheue oder fürchte mich vor ihm. Ich vermutete, daß Ben Nil nun die Gelegenheit ergreifen werde, seine Forderung in Betreff des alten Abd Asl wieder vorzubringen, und richtig, kaum hatte ich den letzten Bissen in den Mund geschoben, so sagte er:
»Effendi, ich mußte die Mahlzeit ehren; nun du aber fertig bist, hoffe ich, daß ich sprechen darf. Du hast mir den alten Fakir versprochen.«
»So ganz endgültig, wie du zu meinen scheinst, doch wohl nicht.«
»Jawohl! Du wolltest etwas von ihm erfahren, und dann sollte ich ihn bestrafen dürfen.«
»Ich habe es aber noch nicht erfahren, und es hat noch Zeit.«
»Nein. Bedenke, daß du die Auskunft, welche du von ihm haben willst, zu spät bekommen könntest. Ich weiß, du willst nicht seinen Tod, und darum zögerst du.«
»Allah wird ihn strafen!«
»Ja, aber durch mich!«
»Sieh hin! Er ist ein Greis, ein schwacher, wehrloser Mann. Kannst du es über das Herz bringen, ihm das Messer in die Brust zu stoßen?«
»Er hat es über das Herz gebracht, dich und mich in den Brunnen einzusperren, damit wir untergehen sollten. Und heute wieder war er zu einem mehr als zwanzigfachen Mord bereit. Wenn du ihn begnadigst, versündigst du dich gegen Allah, der doch auch dein Gott ist.«
»Das ist richtig,« stimmte der Führer bei. »Auch ich schwebte in Todesgefahr, jeder der Asaker ebenso. Wir alle haben also das Recht, das Blut dieses Massenmörders zu fordern!«
»Richtig! So ist es! Ganz genau so!« ertönten da die zustimmenden Rufe der Asaker.
»Hörst du es, Effendi?« fragte der Führer. »Willst du uns allen unser gutes Recht verkümmern? Dann mußt du gewärtig sein, daß wir es uns nehmen.«
Daran hatte ich auch schon gedacht. Die Soldaten waren wütend auf die Gefangenen. Nur die Achtung, in welcher ich bei ihnen stand, hatte sie vermocht, meinem Befehle zu gehorchen und die Ueberrumpelten nur zu betäuben, anstatt sie zu töten. Ich konnte ihnen keine Garantie dafür bieten, daß die Schuldigen ihre Bestrafung in Chartum wirklich finden würden, und wenn sie gegen meinen Willen Rache nahmen, was konnte ich dagegen thun? Sie mit Gewalt, durch Drohungen abhalten? Da wäre es mit meiner Autorität sofort vorüber gewesen. Besser, ich opferte einen einzelnen, als daß viele unter den Rächerstreichen fielen, und dieser eine mußte natürlich der alte Fakir sein. Schon war ich halb entschlossen, ja zu sagen, da trat der älteste der Asaker zu mir heran und meldete:
»Effendi, ich bin von meinen Kameraden beauftragt worden, dir eine Bitte vorzulegen.«
»So sprich!«
»Sage vorher, ob wir dir gehorsam gewesen sind und ob du mit uns zufrieden bist!«
»Ich kann vor dem Reïs Effendina jedem einzelnen von euch ein gutes Zeugnis geben.«
»Ich danke dir! Ja, es ist wahr, daß wir stets thaten, was du fordertest, obgleich uns dein Wille sehr oft unbegreiflich war. Wir haben uns dann immer überzeugen müssen, daß du das Richtige getroffen hattest, und darum hast du dir unsere Ehrerbietung erworben. Einen Fehler aber haben wir an dir zu tadeln, wenn du uns das erlaubst. Du bist als Christ gegen unsere Feinde stets zu nachsichtig gewesen. Feinde muß man vernichten, um sich selbst zu erhalten. Ergreife ich heute meinen Todfeind und lasse ihn aus Barmherzigkeit wieder entwischen, so wird er morgen abermals über mich herfallen. Wir waren dem Tode geweiht; deine List und deine Umsicht haben uns gerettet; die Feinde sind in unsere Hand gegeben, aber du willst nicht, daß wir uns an ihnen vergreifen.