In den Schluchten des Balkan. Karl May

In den Schluchten des Balkan - Karl May


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leuchtete hinab. Der Span brannte so düster, daß ich nur mit Mühe bemerken konnte, daß der Keller über Mannestiefe hatte.

      Eine Treppe oder Leiter sah ich nicht. Doch sobald der Schein des Lichtes hinabfiel, ließ sich unten ein sehr deutliches Stöhnen vernehmen.

      »Kün aschaghda – wer ist da unten?« fragte ich laut.

      Ein doppeltes Stöhnen antwortete. Das klang gefährlich. Ich konnte nicht ewig nach einer Leiter suchen. Ich nahm den brennenden Span in die eine und die andern Späne in die zweite Hand und sprang hinab.

      Ich trat mit den Füßen auf einen unten liegenden Gegenstand und stürzte hin. Das Licht erlosch. Aber in einigen Sekunden hatte ich den Span wieder angebrannt und leuchtete umher.

      Ich befand mich in einem viereckigen, kellerartigen Loch und erkannte in dem Gegenstand, auf den ich gesprungen war, eine Leiter. Da unten lagen Holzkohlen neben allerlei Gerümpel, und beides, die Kohlen und das Holzgerümpel, bewegte sich.

      Ich fand ein für den Span bestimmtes Loch, steckte ihn hinein und begann die Kohlen zur Seite zu räumen. Meine Hände trafen auf eine menschliche Gestalt, welche ich hervorzog. Es war ein Mann, an Händen und Füßen gebunden; der Kopf war fest in ein Tuch eingewickelt.

      Rasch löste ich den Knoten des Tuches, und nun kam ein blauschwarzes Gesicht zum Vorschein, welchem ich bei der mangelhaften Beleuchtung nicht anmerken konnte, ob diese Färbung eine Folge von Ruß und Kohlen oder des nahe gewesenen Erstickungstodes sei. Der Mann holte tief und keuchend Atem, starrte mich mit weit hervorgetretenen, blutunterlaufenen Augen an und stöhnte dann:

      »Ha, zu Hilfe! Habe Gnade, Gnade!«

      »Sei ruhig; ich bin dein Freund!« antwortete ich, »ich bringe dir Rettung!«

      »Rette vorher geschwind mein Weib!« stieß er hervor.

      Der brave arme Kerl dachte mehr an seine Frau als an sich.

      »Wo ist sie?«

      »Dort!«

      Er konnte mit seinen gefesselten Händen keine Bewegung machen; aber sein Blick war voll Angst auf einen zweiten Kohlenhaufen gerichtet, welcher mit dem erwähnten Gerümpel belastet war.

      Ich räumte dasselbe weg und zog die Frau hervor, welche ganz ebenso wie ihr Mann gebunden war. Als ich das Tuch von ihrem Gesicht entfernt hatte, bemerkte ich einen dicken Schaum vor ihrem Mund. Sie war dem Ersticken nahe gewesen.

      »Zu Hilfe, zu Hilfe!« erklang es gurgelnd.

      Ihr Körper bewegte sich in krampfhaften Zuckungen. Ich schnitt mit dem Messer die Stricke durch. Sie warf die Arme wie eine Ertrinkende um sich, stampfte mit den Füßen und schnappte nach Luft.

      Diese Bewegungen waren dem Atmen förderlich. Ein heiserer Schrei entrang sich ihrer Brust, und dann schöpfte sie in einem langen, langen Zuge den entbehrten Odem.

      Nun schnitt ich auch die Fesseln ihres Mannes durch. Er hatte nicht so viel gelitten wie sie und richtete sich sofort empor. Während ich einen neuen Span ansteckte, rief er aus:

      »O Gott! Wir waren dem Tode nahe! Ich danke dir; ich danke dir!«

      Dann kniete er zu seiner Frau nieder, die zum Erbarmen schluchzte.

      »Still, still; weine nicht!« bat er sie. »Wir sind frei!«

      Er nahm sie in die Arme und küßte ihr die Tränen von den Wangen. Sie umschlang ihn und schluchzte weiter. Ohne mich jetzt zu beachten, sprach er ihr beruhigend zu, bis ihr leiser und leiser werdendes Weinen ganz aufgehört hatte. Dann richtete er sie auf und wendete sich wieder zu mir, da ich unterdessen beschäftigt gewesen war, das Licht mittels neu aufgesteckter Späne zu unterhalten.

      »Herr,« sagte er, »du bist unser Befreier, unser Retter. Wie sollen wir dir danken! Wer bist du, und wie ist es dir gelungen, uns zu finden?«

      »Das sind mehrere Fragen,« antwortete ich, »die ich euch oben beantworten werde. Kann deine Frau jetzt wieder gehen?«

      »Ja, sie wird es können.«

      »So laß uns nach oben steigen, ich darf nicht zu lange unten sein.«

      »Hast du Gefährten oben?«

      »Nein. Aber ich erwarte einen Reiter, den ich nicht hier vorüberlassen darf.«

      »So wollen wir hinauf; dann können wir weiter sprechen!«

      Ich lehnte die Leiter an und wir stiegen hinauf, die Frau allerdings mit sichtlicher Anstrengung. Ich hatte ein Lager bemerkt, welches sich in der größeren Abteilung befand, und riet ihr, sich von der gehabten Aufregung auszuruhen. Sie war so angegriffen, daß sie, ohne mir zu antworten, sich sogleich niederlegte.

      Er beruhigte sie abermals durch einige Worte und streckte mir dann die Hand entgegen.

      »Sei willkommen!« sagte er. »Allah hat dich gesandt. Darf ich erfahren, wer du bist?«

      »Ich habe jetzt keine Zeit zu vielen Worten. Sage du mir aber, wie du heißest?«

      »Man nennt mich Schimin.«

      »So bist du der Bruder von Jafiz, dem Gärtner?«

      »Ja.«

      »Das ist gut! Ich habe dich gesucht. Mache schnell Feuer in deiner Schmiede!«

      Er blickte mich überrascht an und fragte:

      »Hast du eine dringende Arbeit für mich?«

      »Nein; aber dein Herdfeuer soll über die Straße leuchten.«

      »Warum?«

      »Damit der Reiter, von dem ich sprach, nicht vorüber kann, ohne von uns gesehen zu werden.«

      »Wer ist er?«

      »Nachher, nachher! Beeile dich!«

      Aus der kleinen Abteilung, in der sich die Kellertüre befand, die wir natürlich wieder zugemacht hatten, führte die Haustüre in das Freie. Sie war durch einen einfachen Holzriegel verschlossen. Wir schoben diesen zurück und traten hinaus. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete das an der Türe zur Schmiede hängende Vorlegeschloß. Bald brannte auf dem Herd ein Feuer, das seinen Schein weit in die Nacht hinaus warf. Das war es, was ich zunächst gewollt hatte.

      Während er sich mit dem Herd beschäftigt hatte, war ich hinter das Haus gegangen, um nach meinem Pferde zu sehen. Es befand sich noch in nächster Nähe des Hauses, und ich kehrte beruhigt zu dem Schmied zurück.

      »Da brennt das Feuer,« sagte er. »Was befiehlst du noch?«

      »Komm fort, aus dem Bereiche des Lichtscheines! Wir wollen uns hier neben die Türe setzen, wo es dunkel ist.«

      Ich hatte nämlich vorhin beim Rekognoszieren einen Holzklotz bemerkt, der in der Nähe der Türe lag und jedenfalls als Ruhebank diente. Dorthin zog ich den Mann. Wir setzten uns nebeneinander, und dann sagte ich:

      »Besprechen wir zunächst das Notwendige! Es wird – vielleicht sehr bald – ein Reiter hier vorüber kommen, mit dem ich zu reden habe, ohne daß er vorher meine Anwesenheit ahnen darf. Er wird höchst wahrscheinlich hier anhalten, um dir einige Fragen vorzulegen. Ich bitte dich, ihn so weit zu bringen, daß er absteigt und mit dir in das Haus tritt.«

      »Du bist mein Retter; ich werde tun, was du verlangst, auch ohne zu wissen, warum du es von mir forderst. Aber weißt du vielleicht, welche Fragen er aussprechen wird?«

      »Ja. Er wird fragen, ob hier drei Reiter vorüber gekommen sind.«

      »Drei Reiter?« fragte er rasch. »Wann?«

      »Wohl heute am Vormittag.«

      »Was für Reiter?«

      »Er fragt nach zwei weißen und einem dunklen Pferde. Sie haben aber unterwegs das letztere gegen einen Schimmel vertauscht.«

      »Also reiten sie drei Schimmel?«

      »Ja.«

      »Hascha – Gott behüte! Du meinst doch nicht etwa gar diesen Manach el Barscha aus Uskub?«

      Er war bei diesen Worten in plötzlicher Erregung von seinem Sitze aufgesprungen.


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