Old Surehand II. Karl May
denn er sagte:
»Dank für Eure schöne Geschichte, Sir, und allen Respekt vor Euch, Mr. Kroner. Man weiß, was man von dem Coloradomann zu halten hat; aber sollte es doch keinen andern geben, der sich neben Euch stellen kann?«
»Wer könnte das sein?« fragte der Selbstbewußte.
»Winnetou zum Beispiel.«
»Pshaw! Das ist ein Indianer!«
»Old Firehand?«
»Habe es oft mit ihm aufgenommen!«
»Old Surehand?«
»Kann mich auch nicht irre machen.«
»Old Shatterhand?«
»Bin oft mit ihm geritten und habe nichts von ihm lernen können. Das sind alles Leute, an denen der Name das bedeutendste ist. Gerade Old Shatterhand hat in meinem Beisein manchen Fehler gemacht, den ich für unmöglich gehalten hätte. Er hat viel Körperkraft; das ist aber auch alles!«
Bei diesen Worten stand er auf und näherte sich meinem Tische. Er war kein übler Erzähler, und ich hatte ihm mit Interesse zugehört, obgleich ich mir das Meine dabei dachte. Diese Gedanken schienen sich meinem Gesichte aufgeprägt zu haben, denn er stellte sich jetzt breitspurig vor mich hin und fragte mich:
»Ich habe vorhin, als Ihr mit Mutter Thick spracht, gehört, daß Ihr ein Dutchman seid, Sir?«
Das Wort Dutchman wird den Deutschen gegenüber als Schimpfwort gebraucht; dennoch antwortete ich ruhig und gelassen:
»Nicht ein Dutchman, sondern ein German, Sir.«
»Das ist ein und dasselbe. Ich sage Dutchman und halte das für das richtige. Ihr habt, als ich erzählte, ein so zweifelhaftes Gesicht gemacht. Warum?«
»Interessiert Euch mein Gesicht?«
»Eigentlich ganz und gar nicht. Ihr habt kein Gesicht, dem ich sonst Beachtung schenken möchte; aber in diesem Falle ist es etwas anderes. Es sah grad so aus, als ob Ihr mir keinen Glauben schenktet. Ist‘s so oder nicht?«
»Liegt Euch so viel daran, zu wissen, was ich glaube?«
»Alberne Frage! Euer Gesicht galt mir, und da will ich unbedingt wissen, was es zu bedeuten hatte. Oder habt Ihr Angst, es mir zu sagen?«
»Angst? Nicht daß ich wüßte!«
»Nun also, heraus damit!«
Alle Gäste waren still, auch die an den entfernteren Tischen. Sie erwarteten eine Scene und horchten gespannt zu uns her. Ich antwortete lächelnd:
»Ich habe gar keinen Grund, damit zurückzuhalten, daß ich mich über einen sehr auffälligen Anachronismus gewundert habe, der in Eurer Erzählung vorgekommen ist.«
»Anachronismus? Was ist das? Redet doch so, daß man es verstehen kann!«
»Gut, also deutlich! Seit wann ist wohl vorn Petroleum im jetzigen Sinne die Rede gewesen?«
»Wer kann das wissen!«
»Ich, nämlich seit dem Jahre 1859. Und wann wurden in den Vereinigten Staaten die ersten Oelquellen entdeckt?«
»Das mögt Ihr Euch selbst beantworten!«
»Zwei Jahre vorher, also 1857. Nun sprecht Ihr von einem Oelbohrer jenseits des Coteaus, bei dem Lincoln gewesen sei, nachdem er kurz zuvor Lawyer geworden war. Wann aber ist er Lawyer geworden?«
»Laßt mich mit Euren dummen Fragen in Ruh!«
»Sie sind nicht so dumm, wie Ihr denkt, und gehören zu der Auskunft, die ich Euch geben soll. Lincoln etablierte sich nämlich im Jahre 1836 in Springfield als Lawyer, also über zwanzig Jahre vor der Entdeckung der ersten bedeutenden Oelquelle. Wie stimmt das mit Eurer Erzählung, Sir?«
»Ob es stimmt oder nicht, das ist mir gleichgültig!«
»Nun, so habt die Güte, gegen mein Gesicht ebenso gleichgültig zu sein!«
»Wollt Ihr sagen, daß Ihr das von dem Oelbrande nicht glaubt?« fragte er in drohendem Tone.
»O, daran hege ich nicht den geringsten Zweifel, nur ist der Ort und sind die Personen andere.«
»Wie so?«
»Old Shatterhand hat einen solchen Oelbrand erlebt, und zwar im Bluff von New-Venango[4]. Der Oelprinz hieß dort nicht Willmers, sondern Forster.«
»Das geht mich nichts an und ändert nichts an meinem Erlebnisse; es finden oft Oelbrände statt.«
»Bei denen die Umstände einander so ungeheuer ähnlich sind? Hm! Uebrigens kenne ich Tim Kroner, den Coloradomann, sehr genau.«
»Thunder-storm! Wollt Ihr etwa sagen, daß ich nicht Tim Kroner bin?«
»Es kann allerdings vorkommen, daß zwei Personen ganz gleiche Namen haben; aber der richtige und echte Coloradomann ist der, den ich kenne.«
»Da kennt ihn auch ein tüchtiger Kerl! Wenn Euch ein anderer als ich gesagt hat, er sei Tim Kroner, der Coloradomann, so hat er gelogen und war ein Schwindler. Das laßt Euch gesagt sein, sonst stopfe ich Euch den Mund mit dieser Klinge hier!«
Er zog sein Bowiemesser aus dem Gürtel. Sofort hatte ich meinen Revolver in der Hand, richtete den Lauf auf ihn und antwortete:
»Stoßt nur zu, wenn Ihr die Zeit dazu findet! Kugeln pflegen schneller als Messerklingen zu sein.«
Er stand einige Augenblicke da, ließ dann das Messer sinken und sagte in verächtlichem Tone:
»Pshaw! Tim Kroner hat es gar nicht nötig, etwas darauf zu geben, was so ein Kerl, wie Ihr seid, für Gesichter schneidet. Zieht also Fratzen, so viel Ihr wollt; ich habe nichts dagegen und bleibe wer ich bin!«
Er steckte das Messer wieder in den Gürtel und kehrte auf seinen Sitz zurück. Die Zuhörer hatten diesen friedlichen Ausgang nicht erwartet, kleideten aber ihre Enttäuschung nicht in Worte. Ich hätte ganz anders auftreten können, doch fiel es mir nicht ein, den Gästen eines Kost- und Logierhauses ein Schauspiel nach Art der Runners und Loafers zu bieten. Mochte man immer denken, ich fürchte mich vor diesem sogenannten Coloradomann!
Als er seinen Platz wieder eingenommen hatte, ließ er seinen Blick an der Tafel rundum gleiten und fragte:
»Wollt vielleicht auch ihr es bezweifeln, Mesch‘schurs, daß ich der echte Tim Kroner bin?«
Sie schüttelten die Köpfe, und einer der Gentlemen, der bis jetzt noch nicht gesprochen hatte, antwortete:
»Wir haben keinen Grund, es nicht zu glauben. Uebrigens kann ich zu dem Schlusse Eurer Erzählung eine Bemerkung machen, die Ihr vielleicht gern, vielleicht auch ungern hören werdet.«
»Welche?« »Ihr könnt den Kanada-Bill nicht erschießen.«
»Warum?«
»Weil er schon tot ist.«
»All devils! Er ist tot?«
»Yes.«
»Wißt Ihr das genau?«
»Sehr genau.«
»Wo ist er gestorben?«
»Auf der Mission Santa Lucia bei Sakramento.«
»An was? Doch nicht an einer Krankheit? Einen solchen Tod hätte der Halunke nicht verdient.«
»Oh, so billig ist er nicht weggekommen. Er hat sein Ende einem Manne zu verdanken, dessen Name vorhin genannt worden ist.«
»Welcher Name?«
»Old Shatterhand.«
»Was? Old Shatterhand hat ihm das Handwerk gelegt?«
»Ja.«
»Wie ist das geschehen, Sir?«
»Das ist eine interessante, höchst interessante Geschichte, die ich eigentlich hätte veröffentlichen sollen. Ich bin nämlich Litterat, Mesch‘schurs; ich sage das für diejenigen von euch, die das noch nicht wissen.«
»Erzählt es doch; erzählt‘s!«
4
Siehe »Winnetou« Bd. II, pag. 417.