Old Surehand II. Karl May
zu erzählen, was er durch die Presse veröffentlichen will; das werdet ihr einsehen, Gent‘s.«
Er wollte augenscheinlich noch mehr gebeten sein; dies geschah denn auch, und so erklärte er:
»Well, wir sind heut einmal so schön beim Erzählen, und so sollt ihr die Geschichte hören, genau so, wie sie sich zugetragen hat.«
Mutter Thick kam jetzt bei mir vorüber und flüsterte mir zu:
»Dank, Sir, daß Ihr vorhin den Krawall vermieden habt! Mit der jetzigen Erzählung werdet Ihr zufrieden sein. Er schreibt Bücher, und erzählt so schön, oh so schön!«
Na, da war ich denn doch neugierig, was dieser Mann für eine Geschichte aus den einfachen Thatsachen machen würde.
Er setzte sich in Positur und begann im Tone eines geübten und gewandten Erzählers:
»Es war im Hafen von Sacramento, in welchem sich ein Bild von den lebhaftesten Farbentönen entwickelte. Die Menge, welche sich geschäftig über den Quai ergoß oder lungernd umhertrieb, schien nicht aus den Bewohnern eines besonderen Distriktes oder gar einer einzelnen Stadt zu bestehen, sondern glich eher einem Karneval, der die Repräsentanten aller Nationen für kurze Zeit vereinigt hat.
Hier stand eine Gruppe magerer Yankees in dem unvermeidlichen schwarzen Fracke, den hohen Cylinderhut weit nach hinten auf den Kopf gedrückt, die Hände in den Taschen und goldene Uhrketten, Tuchnadeln, Hemdknöpfchen und Berloques eingehakt. Dazwischen drängte sich ein kleiner Schwarm Chinesen herum in ihren blauen Kattunjacken und weiten, weißen Hosen, die langen Zöpfe wohl gepflegt und geflochten. Südseeinsulaner waren da, die scheu, verlegen und verwundert auf dem fremden Boden einhergingen und, wenn ihnen etwas nach ihren Begriffen gar zu Absonderliches in die Augen sprang, die Köpfe leise flüsternd zusammensteckten. Mexikaner stolzierten umher mit ihren an der Seite bis oben hin aufgeschlitzten und mit silbernen Knöpfen besetzten Sammethosen, und den kurzen, ebenso garnierten Jacken, den breitrandigen Wachstuchhut auf dem Kopfe. Californier mit ihren langen, in den prachtvollsten Farben gewebten Ponchos, die ihnen fast bis an die Knöchel herabreichten; schwarze Ladys und Gentlemen, nach tausend Wohlgerüchen duftend und in dein überzeugendsten Putze steckend, ernste Indsmen, die mit gravitätischem Schritte durch die Menge stiegen; gemütliche Deutsche, Engländer mit Cotelettenbärten und riesigen Zwickern auf der Nase, bewegliche, kleine Franzosen, zankend, erzählend, rufend und auf das lebhafteste gestikulierend, rothaarige Irländer, nach Aquardiente[5], duftend; Chilenen in ihren kurzen Ponchos; Trappers, Squatters, Backwoodsmen in ihren ledernen Jagdhemden, die lange Büchse noch auf der Schulter, wie sie gerade über das Felsengebirge gekommen waren; Mestizen und Mulatten in allen Farbenstufen und Schattierungen, und dazwischen die aus den Minen oft mit schweren Beuteln von Gold zurückgekehrten Goldwäscher in den phantastischsten Kostümen, die man sich nur zu denken vermag, in ihren Kleidern auf das entsetzlichste abgerissen, mit geflickten Hosen, Röcken, Westen und Jacken, mit zerrissenen Stiefeln, aus denen die nackten, strumpflosen Zehen hervorblickten, und Hüten, die monatelang am Tage der Sonne und dem Regen getrotzt und dann des Nachts als Kopfkissen gedient hatten. Und in den kleinen Gruppen standen dabei die Eingeborenen des Landes, die eigentlichen, rechtmäßigen Herren des Bodens und doch vielleicht die einzigen vollständig Besitzlosen in der ganzen Masse, die ihr Leben jetzt durch Tagelohn kärglich fristen mußten.
Und dieser bunten Völkermischung schlossen sich allerlei respektgebietende glänzende Gestalten an: amerikanische und englische Seeleute mit breiten Schultern, riesigen Fäusten und herausforderndem Blicke, und eine Anzahl spanischer Marineoffiziere, die in ihren blitzenden, goldgestickten Uniformen von San Francisco herbeigekommen waren, um sich das geschäftige Treiben in der Nähe der Golddistrikte einmal anzusehen.
Fast hätte man sagen können:
»Wer zählt die Völker, nennt die Namen!«
Und was hatte all die Ingredienzien der vielgestaltigen anthropologischen Mixtur herbeigetrieben? Nichts anderes als – das Gold.
Die Ansiedelung von Oberkalifornien, welche im Jahre 1768 von Mexiko aus geschah, hatte das Land unter die weltlich-geistliche Herrschaft der Missionäre gebracht. Die Jesuiten waren treffliche Oekonomen und errichteten an vielen geeigneten Orten Klöster und Missionen zur Ausübung ihrer Propaganda.
Als die Herrschaft der Priester durch die mexikanische Centralregierung im Jahre 1823 gestürzt wurde, weigerten sich die Missionäre zum großen Teile, diese Regierung anzuerkennen, und verließen das Land. Die wenigen, welche blieben, hatten ihren Einfluß verloren, fristeten ein kümmerliches Leben und verschwanden auch nach und nach.
Nicht weit von Sacramento lag ein mehrere Stockwerke hohes, mächtiges Gebäude, welches einen großen Hof umschloß, dessen nach der Stadt zu gelegene Seite von der altertümlichen, aus ungebrannten Backsteinen aufgeführten Kirche begrenzt wurde.
Das Gebäude war die Mission »Santa Lucia«, deren ganze, kasernenartige Räumlichkeiten in der letzten Zeit nur von drei Personen bewohnt waren: einem alten, ehrwürdigen Geistlichen, seiner noch älteren Wirtschafterin und einem Deutschen, welcher eigentlich Karl Werner hieß, von denen, die mit ihm verkehrten, aber nach seinem Vornamen nicht anders als Sennor Carlos genannt wurde, und das Faktotum des Pfarrers war.
Da wurden die Goldfelder Kaliforniens entdeckt, und die Nachricht von den in den Bergen liegenden fabelhaften Schätzen rief eine Einwanderung hervor, welche zunächst aus dem benachbarten Mexiko und den Vereinigten Staaten ihre Scharen herübersandte, bald aber mit den Kindern aller Weltteile das Land überschwemmte. Den zunächst herbeieilenden Abkömmlingen der alten spanischen Conquistadoren folgten Sandwich-Insulaner, dann Australier und Europäer, und selbst Chinesen und Kulis schwärmten herüber, um ihren Teil von dem Golde zu holen und reiche Leute zu werden.
San Francisco war der Hauptsammelpunkt der Fremden, von wo aus sie —weiter nach Norden oder in das Innere des Landes gingen. Sacramento war einer der hervorragendsten Nebenpunkte.
Natürlich führte nicht jeder ein Zelt oder eine sonstige Wohnung mit sich. Die Zahl der Menschen wuchs von Tag zu Tag, und da die einsetzenden Regen ein Lagern im Freien nicht gestatteten, so wurde alles, was zur Herberge dienen konnte, in Anspruch genommen.
Auch die alte Mission »Santa Lucia« erlitt ein solches Schicksal, welches mit ihrer ursprünglichen Bestimmung wenig Aehnlichkeit hatte.
Ein Franzose aus dem Elsaß errichtete unten in einem der Flügel eine Brauerei, mauerte einen riesigen Kessel ein und fing an, ein Getränk zu kochen, welches er die Verwegenheit hatte, Bier zu nennen. In der vorderen Flanke, gerade neben der Kirche, setzte sich ein Amerikaner fest und errichtete eine Restauration, wobei er es für außerordentlich zweckmäßig fand, einen Teil des Kirchenschiffes in einen Tanzsalon umzuwandeln, in dem allwöchentlich einige »Reels, Hornpipers« oder Fandangos abgehalten werden konnten. Dadurch wurde ein unternehmender Irishman aufmerksam gemacht, an die andere Seite der Kirche eine Branntweinkneipe setzen zu lassen.
Von dem untern Teile des andern Seitenflügels nahm ein Engländer Besitz, der sich mit einem schlauen New-Hamshiremann vereinigte, Chinesen herbeizuschaffen, ein Geschäft, bei dem sich die beiden Gentlemen, wie sich bald zeigte, sehr gut standen. So ging es fort, und nicht lange dauerte es, so war die alte Mission außer dem obersten Bodenraume des einen Flügels vollständig in Anspruch genommen.
Der alte Pfarrer konnte nichts dagegen thun. Anfangs hatte er, nicht imstande, Gewalt anzuwenden, eine Anzahl Prozesse angestrengt, um die Lästigen aus dem frommen Hause abzuhalten, aber nur zu bald sollte er die traurigen Folgen kennen lernen, denn er fiel dadurch einer ganzen Schar von Geirn in die Hände, die alle Zahlung von ihm wollten, ohne daß sie aber das geringste für ihn ausgerichtet hätten.
Dadurch wurde ihm die heilige »Santa Lucia« verleidet, und eines schönen Morgens war er mitsamt seiner Wirtschafterin spurlos verschwunden. Es hatte auch niemand Lust, nach ihm zu forschen, und so blieb von den ursprünglichen Bewohnern nur Sennor Carlos zurück, der mit seiner Frau und Anitta, seiner Tochter, ein paar kleine Stuben des Erdgeschosses neben der Brauerei bewohnte.
Aber auch der Bodenraum sollte einen Besitzer finden. Angeblich von Buenos-Ayres war ein Mann nach Sacramento gekommen, der aus Cincinnati stammte und sich Doktor White titulierte; ob
5
Schnaps.