Old Surehand II. Karl May
Richtung ostwärts ging; ich wollte baldigst auf Salters treffen; darum stieg ich wieder auf und ritt weiter.
Nach einiger Zeit dachte ich, aus gewissen Anzeichen schließen zu müssen, daß diese Gegend nicht so unbesucht sei, wie ich vorher geglaubt hatte. Einzelne zerknickte Halme, an den Zweigen gebrochene Aestchen, hier und da ein wie von einem menschlichen Fuße zu Mehl zertretenes Steinchen ließen vermuten, daß hier irgend ein Nachkomme des ersten Menschenpaares vorüber gekommen sei. Darum war ich auch nur erstaunt, nicht aber erschrocken, als ich später, den Fluß wieder erreichend, hart am Ufer desselben ein mit jungen Tabaks- und Maispflanzen bestecktes Feld bemerkte. Jenseits desselben erhob sich ein niedriges Blockhaus mit einer hohen, aber sehr beschädigten Fenz um den ziemlich beträchtlichen Vorplatz.
Also eine Farm hier am Nescutunga-Creek! Wer hätte das denken sollen! Hinter der Fenz rieb sich ein alter, spitzhüftiger Gaul den Kopf an dem leeren Futtertroge, und außerhalb derselben erblickte ich einen jungen Menschen, welcher beschäftigt war, eine schadhafte Stelle der Umzäunung auszubessern.
Er schien über mein Erscheinen zu erschrecken, blieb aber stehen, bis ich bei ihm anhielt.
»Good morning!« grüßte ich ihn. »Darf ich erfahren, wie der Besitzer dieses Hauses heißt?«
Er strich sich mit der Hand durch das dichte blonde Haar, betrachtete mich forschend mit den prächtigen, germanisch blauen Augen und antwortete:
»Rollins heißt er, Sir.«
»Du bist der Sohn?«
Ich nannte ihn »Du«, weil er wohl kaum mehr als sechzehn Jahre zählte, obgleich sein kräftig entwickelter Körper gleichsam auf ein höheres Alter deutete. Er antwortete:
»Ja, der Stiefsohn.«
»Ist dein Vater daheim?«
»Seht Euch um! Da ist er.«
Er deutete nach der engen, niedrigen Thür, aus welcher soeben ein Mann trat, welcher sich bücken mußte, um oben nicht anzustoßen. Er war sehr lang, sehr hager und schmalbrüstig, und zwischen den wenigen Haaren seines dünnen Vollbartes blickte die Gesichtshaut wie gegerbtes Leder hervor. Seine Yankeephysiognomie verfinsterte sich, als er mich sah. Er hatte ein altes Gewehr und eine Hacke in den Händen und legte beides nicht weg, als er langsam auf mich zutrat. Er richtete den stechenden Blick feindselig auf mich und erkundigte sich mit heiser klingender Stimme:
»Was wollt Ihr hier!?«
»Zunächst will ich Euch fragen, Master Rollins, ob nicht vielleicht gestern oder vorgestern ein Mann bei Euch vorgesprochen hat, der sich Salters nannte und irgend einen Auftrag zurückgelassen hat.«
Da antwortete der Sohn schnell:
»Das war gestern früh, Sir. Dieser Salters war —«
Er konnte nicht weiter sprechen. Sein Vater stieß ihm den Gewehrkolben in die Seite, daß der arme Junge wimmernd gegen die Fenz taumelte, und rief zornig:
»Willst du schweigen, Kröte! Wir haben keine Lust, einen jeden Landstreicher zu bedienen!« Und zu mir gewendet, fuhr er fort: »Macht Euch von dannen, Mann! Ich wohne weder für Euch, noch für Euren Salters hier!«
Das war einfach grob. Ich hatte meine eigne Hinterwaldsmanier, solche Leute zu behandeln. Ich stieg gemütlich vom Pferde, band es an die Fenz und sagte:
»Diesesmal werdet Ihr doch eine Ausnahme machen müssen, Master Rollins. Mein Pferd geht lahm, und ich werde hier bei Euch bleiben, bis es geheilt ist.«
Er trat einen Schritt zurück, maß mich mit zornblitzenden Augen vom Kopfe bis zu den Füßen herab und schrie:
»Seid Ihr toll? Mein Haus ist kein Boardinghaus, und wer sich hier breit machen will, dem brenne ich sehr einfach eine Ladung Schrot auf den Pelz. Zounds! Da ist ja auch dieser miserable Indsman wieder! Warte, Bursche, dich will ich forträuchern!« ich folgte schnell mit meinem Blicke dem seinigen, welcher bei den letzten Worten auf ein nicht sehr entferntes Buschwerk gerichtet war. Von dorther kam ein junger Indianer herbeigeschritten. Rollins erhob das Gewehr und legte auf ihn an. Er drückte gerade in demselben Augenblicke ab, in welchem ich ihm den Lauf zur Seite schlug. Der Schuß krachte, ging aber fehl.
»Hund! Du vergreifst dich an mir?« brüllte mich der Yankee an. »Da, nimm das dafür!«
Er drehte schnell das Gewehr um und holte zum Kolbenhiebe aus. Die Hacke hatte er vorher, um schießen zu können, weggelegt. Ich stieß ihm die Faust unter den erhobenen Arm und schleuderte ihn so kräftig gegen die Fenz, daß sie unter ihm zusammenbrach. Die Büchse entfiel ihm und ich griff sie auf, ehe er sich wieder erhoben hatte. Er riß im Aufstehen das Messer aus der Scheide und gurgelte mit vor Zorn erstickter Stimme:
»Mir das! Auf meinem Grund und Boden! Das kostet Blut und Leben!«
Ich hatte ebenso schnell meinen Revolver in der Hand, hielt ihm denselben entgegen und antwortete:
»Ihr meint wohl Euer Blut und Leben? Steckt sofort das Messer ein! Meine Kugel ist schneller als Eure Klinge, Mann!«
Er ließ den bereits erhobenen Arm sinken und hielt die Augen nicht gegen mich, sondern nach der andern Ecke des Blockhauses gerichtet. Dort hielt ein Reiter, welcher unbemerkt von uns herbeigekommen war und mir lachend zurief:
»Schon bei der Arbeit, alter Bursche? Recht so! Schlage den Kerl nieder; er hat es verdient. Aber gieb ihm keine Kugel, denn einen Schuß Pulvers ist er nicht wert.«
Dieser Reiter war Will Salters. Er kam vollends herbei, gab mir die Hand und fuhr fort:
»Welcome, Kamerad! Wenn es nach diesem Scurvy fellow gegangen wäre, hättest du mich nicht wiedergefunden. Ich schätze, er hat dich grad so empfangen, wie gestern mich. Dafür erhielt er einige Nasenstüber, für welche er mir eine Kugel nachschickte, die aber höflicher war als er; sie wich mir weit zur Seite aus. Ich wollte dich hier bei ihm erwarten, durfte aber nicht, sagte jedoch seinem Sohne, daß ich heut‘ zurückkehren würde, um zu sehen, ob der Mann bei besserer Laune sei. Wenn es dir recht ist, geben wir ihm eine Lektion im Umgange mit unsersgleichen. Ich will mich einstweilen seiner Persönlichkeit versichern!«
Er stieg ab. Da raffte Rollins die Hacke vom Boden auf und floh in weiten Sprüngen davon. Wir blickten ihm verwundert nach. Sein Verhalten war befremdend. Erst rücksichtslose Grobheit und nun feige Flucht! Wir kamen nicht dazu, eine Bemerkung darüber zu machen, denn aus der Thür, hinter welcher sie bisher ängstlich versteckt gewesen war, trat jetzt eine Frau. Sie hatte Rollins hinter den Büschen verschwinden sehen und sagte, froh aufatmend:
»Gott sei Dank! Ich glaubte schon, es werde zum Blutvergießen kommen. Er ist betrunken. Er hat während der ganzen Nacht phantasiert und dann die letzte Flasche Brandy ausgetrunken!«
»Ihr seid seine Frau?« fragte ich.
»Ja. Ich hoffe, daß ich es nicht zu entgelten habe, Mesch‘schurs! Ich kann ja nichts dafür.«
»Das wollen wir glauben. Fast möchte man annehmen, daß Euer Mann geistig gestört sei.«
»Das ist er leider auch. O Gott, ihr glaubt gar nicht, wie unglücklich ich bin! Er bildet sich ein, daß ein Schatz hier in der Nähe vergraben liege. Den will er heben. Kein andrer soll ihn finden, und darum duldet er keinen Menschen in dieser Gegend. Hier dieser junge Indsman ist schon seit vier Tagen hier. Er konnte nicht weiter, weil er sich den Fuß vertreten hat, und wollte bei uns bleiben, bis er wieder richtig laufen kann; aber Rollins jagte ihn fort. Nun muß der arme Teufel im Freien kampieren.«
Sie deutete auf den Indianer, welcher herbei gekommen war. Es war alles so schnell geschehen, daß ich ihn noch nicht wieder hatte beachten können.
Er mochte achtzehn Jahre alt sein. Sein Anzug war aus mit Gehirn gegerbter Hirschhaut gefertigt und an den Nähten ausgefranst. Diese Fransen waren nicht mit Menschenhaaren geschmückt; er hatte also noch keinen Feind getötet. Sein Kopf war unbedeckt. Seine Waffen bestanden aus einem Messer und Bogen mit Köcher. Er durfte wohl noch kein Feuergewehr tragen. Um den Hals trug er eine messingene Kette, an welcher das Rohr einer Friedenspfeife hing; der Kopf derselben fehlte. Das war das Zeichen, daß er sich auf der Wallfahrt nach den heiligen Steinbrüchen befand, aus welchen die Indianer den Pfeifenthon beziehen.