Waldröschen I. Die Tochter des Granden. Karl May

Waldröschen I. Die Tochter des Granden - Karl May


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Operation findet, ohne daß die Condesa darum weiß, bereits morgen früh acht Uhr statt. Ihr fürstliches Honorar erhalten Sie in meiner Wohnung in Manresa. Gute Nacht!« – »Gute Nacht!«

      Die beiden Männer schüttelten sich mit einer Höflichkeit die Hände, als ob jeder den anderen für einen vollkommenen Ehrenmann halte, dann schieden sie. Der Advokat suchte aber sein Zimmer nicht auf, sondern ließ sich bei der Stiftsdame melden, die ihm so eilig in das Vorzimmer entgegenkam, daß er erkannte, wie sehnsuchtsvoll er von ihr erwartet worden war. Sie zogen sich in das Boudoir der frommen Dame zurück, dessen Tür sie verriegelten, um vor einem jeden Lauscher sicher zu sein.

      Der Notar trug nicht die spanische Nationaltracht, sondern er war ganz schwarz in Frack und Pantalons gekleidet. Die Bewegungen seiner langen, hageren und weit nach vorn gebeugten Gestalt hatten etwas Schleichendes an sich, und die Züge seines scharfen, aus einer hohen, steifen Halsbinde hervorragenden Gesichts zeigten etwas Raubvogelartiges, daß es schwer hielt, diesen Mann nicht zu fürchten. Der Eindruck seines abstoßenden Gesichts wurde verstärkt durch den unsteten, lauernden Blick seiner Augen.

      Die Stiftsdame trug gewöhnlich ihr schwarzes Ordenskleid, jetzt aber hatte sie ein duftiges Negligé angelegt, das einer Tänzerin alle Ehre gemacht haben würde. Ihre Gestalt war stark und voll, und die Gesichtszüge der beinahe Fünfzigjährigen waren grob und unweiblich, wozu noch der unschöne Umstand kam, daß das eine ihrer Augen etwas schielte.

      »Willkommen, Señor«, meinte sie, indem sie sich mit widerlicher Koketterie in eine Samtottomane fallen ließ. »Ich habe lange auf Sie warten müssen. Wie steht es?« – »Sehr gut«, antwortete der Notar, indem er an ihrer Seite Platz nahm. »Der Chirurg ist auf meine Vorschläge eingegangen.« – »So hat Gott sein Herz gelenkt, damit wir die Früchte unserer langen Enthaltsamkeit endlich einmal genießen können. Wird der Schnitt tödlich sein?« – »Absolut.« – »So können wir es nicht ändern«, meinte sie mit einem frommen Augenaufschlag. »Es ist dem Grafen wohl zu gönnen, daß ihn der Herr von seinen Leiden erlöst. Aber wird die Condesa nicht abermals widerstreben?« – »Diesmal nicht, meine Liebe. Sie weiß nicht anders, als daß die Operation erst um elf Uhr vor sich gehen wird, während wir doch bereits um acht Uhr beginnen. Der Graf wird sein Leiden überstanden haben, wenn sie sich noch bei der Toilette befindet« – »Und Graf Alfonzo?« fragte sie mit einem sehr impertinenten Zwinkern ihrer schielenden Augen. – »Er ist ganz der Mann dazu, unser Meisterstück zu krönen.« – »Ja, es war ein Meisterstück von uns, ein Meisterstück, von dem diese böse Welt keine Ahnung hat und auch niemals eine haben wird. Wir hatten uns lieb, mein alter Gasparino, aber wir konnten uns nicht haben, denn ich war die Tochter eines stolzen Hidalgo, und du warst ein armer, brotloser Schlucker. Wir hätten unser Kind doch noch töten müssen, wenn du nicht auf den köstlichen Gedanken gekommen wärst, es an Stelle des kleinen Grafen Alfonzo mit dem Bruder des Grafen Emanuel nach Mexiko zu schicken. Nun sind wir die Eltern eines Grafen und werden bereits morgen über die Millionen der Familie Rodriganda gebieten. Komm, mache es dir bequem, und laß uns vergessen, daß ich nicht dein Weib werden konnte.«

      In einer sehr frühen Stunde des nächsten Tages verließ Condesa Rosa de Rodriganda ihre Gemächer, um einige Zeit im Park zu lustwandeln. Sie trug weder die beengende Pariser Kleidung, noch irgendeine spanische Nationaltracht; die Gewandung, die ihren schönen Körper umgab, war das Produkt einer sehr glücklichen Phantasieeingebung, eine sinnreiche Verschmelzung des duftig Maurischen mit dem gediegen Nordischen.

      Unter weiten, goldgestickten, weißseidenen Pantalons steckte ein zart gebildetes Füßchen in einem glänzenden Brokatschuh, dessen Länge keinesfalls über die berühmte und von den Frauen so heiß ersehnte Nummer Null hinauskam. Über diese Pantalons war ein faltiges, rostseidenes Röckchen geschürzt, dessen nach unten ausgeschnittenes Vorderteil den Schritt freigab und den herrlichen Gliederbau mehr ahnen als erblicken ließ. Dieses Röckchen wurde um die schlanke Taille von einem in Gold und Perlen reichverzierten Gürtel zusammengehalten, der die Weichheit und Rundung der Hüften trefflich hervorhob. Darüber schimmerte ein kurzer Rock von einer Farbe, die den duftenden Rosen von Schiras abgelauscht zu sein schien. Als Obergewand fiel von den Schultern ein oleanderblütenfarbiger Manteau, der am Boden eine wallende Schleppe bildete und der aus jenem schleierartigen, kostbaren Samt gearbeitet war, der nur von den zarten Fingern der Frauen von Derbidschan gewebt werden kann und zu dessen Anfertigung eine Arbeiterin für einen einzigen Meter ein Vierteljahr braucht. Dieser kostbare Manteau ließ die vollen, herrlichen Arme frei, deren Schnee durch den Perlmuttglanz der weiten Schorabakschleierärmel entzückend hindurchschimmerte. Und auf dem Kopf trug sie ein dunkles, polnisches Barett mit Kolibri- und Paradiesvogelfedern aufgeputzt, unter dem das dichte, rabenschwarze Haar in zwei langen, schweren Flechten fast bis über die Kniegegend herniedersank. Ein einziger, kostbarer Brillantring schmückte ihr zartes Kinderhändchen.

      Die Züge dieses unvergleichlich schönen Wesens ließen sich weder mit dem Pinsel, noch mit Worten wiedergeben. In ihnen sprach sich die unentweihte Unschuld des Kindes ebenso, wie das ungestillte Sehnen der reifen Jungfrau aus; in ihnen vereinigte sich die reine Unberührtheit einer Raffaelischen Madonna mit der verheißungsvollen Glut eines Frauenkopfes von Correggio. Und wer in die großen, von dunklen Wimpern beschatteten Augen blickte, die in einem vollen, tiefen Blau erglänzten, der mußte aus dem frappanten Kontrast dieses Blaus mit der Rabenschwärze des Haares ahnen, daß diese hinreißende Schönheit aus einer innigen Vermählung des maurischen Blutes mit dem westgotischen entstanden ist.

      Sternau hatte nicht schlafen können. Die Begegnung mit dem heißgeliebten Mädchen hatte sein Innerstes so aufgeregt, daß an Ruhe nicht zu denken war. Zwar kehrte er nach seinem Abschied von der Geliebten in seine Wohnung zurück, aber er wanderte während der ganzen Nacht in dem kleinen Stübchen auf und ab. Als er nach Anbruch des Tages bemerkte, daß sein Nachbar bereits munter sei, ging er zu diesem hinüber, um sich sein Maultier satteln zu lassen.

      Er bestieg dasselbe und unternahm einen Morgenritt, ohne Richtung und Ziel, nur, um seinen Gedanken und Gefühlen Raum zu geben. Endlich sah er Manresa vor sich und bog in die nach Rodriganda führende Straße ein, die er gestern gekommen war.

      Dort stand eine Venta, ein einsames Wirtshäuschen, vor dem ein gesatteltes Pferd angebunden war, ein Zeichen, daß sich schon ein Gast im Inneren befinde. Auch Sternau stieg ab. Er hatte seit gestern abend nichts zu sich genommen und wollte versuchen, ob er eine Tasse Kaffee erhalten könne. Als er eintrat, sah er einen nicht sehr fein gekleideten Herrn, vor dem ein chirurgisches Besteck lag, am Tisch sitzen. Es war, ohne daß Sternau es ahnte, der Manresaer Arzt, der bei der Operation des Grafen assistieren sollte.

      Der Wirt, der neben ihm saß, setzte, als er der Bestellung Sternaus Gehör gegeben hatte, das durch den letzteren unterbrochene Gespräch fort:

      »Also dem Grafen gilt Ihr Besuch, Señor Doktor?« – »Wie ich bereits sagte«, antwortete dieser. – »Wird es heute endlich zum Schnitt kommen?« – »Sicher.« – »Wann?« – »Schon um acht Uhr.« – »Aber die Condesa wird es wieder nicht zugeben!« – »Sie wird nicht gefragt. Es ist ihr gesagt worden, daß wir die Operation erst um elf Uhr beginnen.« – »Denken Sie, daß der arme Graf genesen wird?« – »Ja – und – nein – wer weiß es!«

      Jetzt erhielt Sternau seinen Kaffee. Er hatte genug gehört. Er trank schleunigst aus, bezahlte und verließ die Stube, ohne mit einem Wort erkennen zu lassen, wie sehr er sich für die kurze Unterhaltung interessierte. In gestrecktem Galopp ritt er heim und langte eine halbe Stunde vor acht Uhr dort an.

      Nachdem er sein Maultier dem Nachbarn wieder übergeben hatte, holte er seine Instrumente und eilte nach dem Schloß.

      Es trieb ihn zu der Parkpforte, an der er gestern abend von der Geliebten Abschied genommen hatte. Jene stand offen, und er trat ein, wandte sich mit raschen Schritten der Richtung nach dem Schloß zu, eilte durch einen langen Laubengang und wollte nun einen kleinen freigelassenen Platz betreten, als er plötzlich in höchster Überraschung haltmachte. Vor ihm stand – Rosetta.

      Sein erschrockenes Auge hing an ihr wie an dem Bild eines entzückenden Traums, aber sein Herz pochte wie unter einer unglückseligen Erkenntnis. Konnte diese Dame eine Gesellschafterin sein?

      »Rosetta!« rief er, die Hände halb verlangend, halb abwehrend nach der Herrlichen ausstreckend.


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