Waldröschen II. Der Schatz der Mixtekas. Karl May
Küche so überaus reich ist. Während des Essens wurden die Erlebnisse noch ausführlicher besprochen, als es bisher möglich gewesen war; dann bat der Haziendero, den Señores ihre Zimmer anweisen zu dürfen.
Die beiden Freunde wohnten nebeneinander. Es war dem Deutschen aber unmöglich, lange in dem engen Raum zu bleiben; er verließ ihn und suchte den Garten auf, wo er sich von Wohlgerüchen umduften ließ, bis er hinaustrat in das Freie, um die herrlichen mexikanischen Renner auf der Weide zu beobachten.
Indem er so an den Palisaden hinschlenderte und um eine Ecke bog, erhob sich plötzlich vor ihm eine Gestalt, deren frappantes Äußeres ihn zum Stehen brachte. Der hohe, starke Mann war vollständig in ungegerbtes Büffelleder gekleidet, so wie die Ciboleros sich zu tragen pflegen; auf dem Kopf saß ihm der obere Teil eines Bärenschädels, von dem einige Streifen Fell bis fast herab zur Erde schleiften. Aus dem breiten Ledergürtel guckten die Griffe von Messern und anderen Werkzeugen, von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte herüber hatte er einen fünffach geflochtenen Lasso um den Leib geschlungen, und an der Palisade lehnte eine jener alten, schmiedeeisernen Büchsen, wie sie vor hundert Jahren in Kentucky gemacht wurden und die ein gewöhnlicher Mann nicht zu handhaben vermag, so schwer sind sie.
»Wer bist du?« fragte Helmers im ersten Augenblick des Erstaunens. – »Ich bin Büffelstirn, der Indianer«, antwortete der Gefragte. – »Tecalto bist du? Mokaschimotak, der Cibolero?« – »Ja. Kennst du mich?« – »Ich sah dich noch nie, aber ich habe viel, sehr viel von dir gehört.« – »Wer bist du?« – »Mein Name ist Helmers, ich bin ein Deutscher.«
Das ernste Gesicht des Indianers klärte sich auf. Er war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt und konnte als eine Schönheit des indianischen Typus gelten.
»So bist du der Jäger, der Karja, meine Schwester, befreit hat?« – »Der Zufall war mir hold.« – »Nein, das war kein Zufall. Du hast dir die Pferde der Komantschen geholt und bist ihnen nachgeritten. Büffelstirn ist dir vielen Dank schuldig. Du bist so tapfer wie Matavase, der Fürst des Felsens, der auch ein Deutscher ist.« – »Kennst du die Deutschen?« – »Ich kenne einige. Sie werden von den Amerikanern Dutchmen genannt. Sie sind stark, tapfer und klug, wahr und treu. Ich habe gehört von einem von ihnen, den die Apachen und Komantschen Itintika, den Donnerpfeil, nennen.« – »Gesehen hast du ihn noch nicht?« fragte der Deutsche. – »Nein, er heißt der Donnerpfeil, weil er schnell und sicher ist wie der Pfeil und mächtig und schwer wie der Donner. Seine Büchse fehlt nie ihr Ziel, und sein Auge irrt auf keiner Spur. Ich habe viel von ihm gehört, ich habe ihn bisher noch nie gesehen, aber heute sehe ich ihn.« – »Wo?« fragte Helmers überrascht. – »Hier. Du bist es.« – »Ich? Woran erkennst du mich?« – »Siehe deine Wange an. Donnerpfeil hat einen Bowiemesserstich durch die Wange erhalten, das weiß ein jeder, der einmal von ihm gehört hat. Solche Erkennungszeichen merkt man sich. Habe ich richtig geraten oder nicht?«
Helmers nickte.
»Du hast recht. Man nennt mich allerdings Itintika, den Donnerpfeil.« – »So danke ich Wahkonta – Gott —, daß er mir erlaubt hat, mit dir zu sprechen. Du bist ein tapferer Mann, reiche mir deine Hand und sei mein Bruder.«
Sie schlugen ein, und Helmers sagte:
»So lange unsere Augen einander erblicken, soll Freundschaft sein zwischen mir und dir!«
Und der Indianer fügte hinzu:
»Meine Hand sei deine Hand und mein Fuß dein Fuß. Wehe deinem Feind, denn er ist auch der meinige, und wehe meinem Feind, da er auch der deinige ist. Ich bin du, und du bist ich, wir sind eins!«
Sie umarmten sich.
Dieser Büffelstirn war kein Indianer nach der Art der nördlichen Roten. Er war gesprächig und mitteilsam, und doch wohl trotzdem nicht minder furchtbar, als einer jener schweigsamen Wilden, die es für eine Schande halten, gleich einem Weib den Gefühlen des Herzens Worte zu verleihen.
»Du wohnst in der Hazienda?« fragte Helmers. – »Nein«, antwortete der Büffeljäger. »Wer mag wohnen und schlafen in der Luft, die zwischen Mauern gefangen ist. Ich wohne hier.«
Er deutete auf das Rasenstück, auf dem er stand.
»So hast du das beste Lager auf der ganzen Estanzia. Ich konnte es in der Stube nicht aushalten.« – »Auch Bärenherz, dein Freund, hat die Weide aufgesucht.« – »Er ist hier?« – »Ja. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und ihm gedankt. Wir sind Brüder geworden wie ich und du.« – »Wo ist er?« – »Er sitzt da drüben bei den Vaqueros, die von dem Überfall der Komantschen erzählen.« – »Laß uns zu ihnen gehen.«
Der Indianer ergriff seine schwere Büchse, warf sie auf die Schulter und führte den Deutschen.
5. Kapitel
Weit draußen, mitten zwischen halbwilden weidenden Pferdegruppen, saßen die rauhen Vaqueros an der Erde und erzählten sich die Abenteuer ihrer jungen Herrin, die sich sehr schnell herumgesprochen hatten. Bärenherz saß schweigsam dabei. Er sagte kein Wort dazu, obgleich er alles besser und wahrer hätte erzählen können. Die beiden kamen und setzten sich mit zu den anderen, die sich nicht stören ließen, obgleich nun auch der zweite Held der Erzählung zugegen war. Dieser nahm zuweilen das Wort, und so entwickelte sich nach und nach eine jener fesselnden Unterhaltungen, die man nur beim Lagern in der Wildnis zu hören bekommt.
Da drang ein zorniges Schnauben und Röcheln in das Gespräch hinein.
»Was ist das?« fragte Helmers, der sich bei diesem Geräusch schnell umdrehte. – »Es ist der Rapphengst«, antwortete einer der Vaqueros. – »Was ist mit ihm?« – »Er soll verhungern, wenn er nicht gehorcht.« – »Verhungern? Warum?« – »Er ist unzähmbar.« – »Pah!« – »Pah? Señor, zweifelt ja nicht! Wir haben uns alle Mühe mit ihm gegeben. Wir haben ihn nun schon dreimal im Korral gehabt, um ihn zu zähmen, aber wir mußten ihn immer wieder freigeben. Er ist ein Teufel. Wir alle sind Reiter, das könnt Ihr glauben, aber alle hat er abgeworfen, außer einem.« – »Wer ist dieser eine?« – »Büffelstirn hier, der Häuptling der Mixtekas. Er allein wurde nicht abgeworfen, aber dennoch hat er ihn nicht bezwungen.« – »Unmöglich. Wer nicht abgeworfen wird, der muß doch Sieger bleiben.« – »So dachten auch wir. Aber der Teufel von einem Rapphengst ist mit ihm in das Wasser gegangen, um ihn herabzutauchen, und als dies nichts fruchtete, hat er ihn in den dichtesten Wald getragen und einfach abgestreift.« – »Donnerwetter!« rief Helmers. – »Ja«, nickte Büffelstirn. »Es ist eine Schande, aber es ist wahr. Und ich darf mich doch rühmen, daß ich schon manches Pferd totgemacht habe, das nicht gehorchen wollte.«
Der Vaquero fuhr fort:
»Es sind viele berühmte Reiter und Jäger hier auf der Estanzia gewesen, um ihre Kraft und Gewandtheit zu versuchen, aber immer vergebens. Sie alle sagen, daß es nur einen gibt, der den Hengst bezwingen kann.« – »Wer sollte das sein?« – »Das ist ein fremder Jäger da oben am Red River, der selbst den Teufel in die Hölle reiten würde. Dieser Mann ist mitten in wilde Pferdetrupps geraten und von Kopf zu Kopf über die Tiere hinweggelaufen, um sich das beste herauszuholen.«
Helmers lächelte belustigt und fragte:
»Hat er einen Namen?« – »Das versteht sich.« – »Welchen?« – »Wie er eigentlich heißt, das weiß ich nicht, aber die Roten nennen ihn Itintika, den Donnerpfeil. Es haben viele Jäger, die aus dem Norden kamen, von ihm erzählt.«
Helmers ließ es sich nicht merken, daß von ihm selbst die Rede sei, auch Bärenherz und Büffelstirn zuckten mit keiner Miene. Der erstere aber fragte:
»Wo ist das Pferd?« – »Dort hinter jener Truppe liegt es.« – »Gefesselt?« – »Natürlich!« – »Alle Teufel, das ist Unrecht.« – »Pah. Señor Arbellez hält große Stücke auf seine Pferde, aber dieses Mal hat er doch geschworen, daß der Rappe gehorchen oder verhungern soll.« – »So habt ihr ihm auch das Maul verbunden?« – »Versteht sich.« – »Zeigt mir ihn.« – »So kommt, Señor.«
Eben, als sie sich vom Boden erhoben, sahen sie den alten Arbellez mit seiner Tochter und Karja herbeigeritten kommen. Es war der gewöhnliche Inspektionsritt, den er vor der Nacht zu unternehmen pflegte. Die Vaqueros ließen