Waldröschen III. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 1. Karl May
der Lehrer. – »So ist also wirklich der Zug verunglückt?« – »Ja. Mach rasch das Besuchsstübchen bereit« – »Oh, das ist ja stets in Ordnung. Kommt schnell herein.
Als die Trage niedergesetzt wurde, leuchtete sie Alfonzo in das Gesicht.
»Er liegt in Ohnmacht«, sagte sie. »Das arme, junge Blut. Weißt du, was er ist?« – »Ein Herr von Adel.« – »O weh! Ach ja!« rief sie, denn jetzt erst achtete sie auf die Livree Gerards. – »Er ist ein Marchese d‘Acrozza, ein Italiener.« – »Aber, Mann, wird er mit uns vorliebnehmen?« – »Wir müssen es versuchen.« – »So kommt. Könnt ihr die Treppe empor?« – »Ich denke.«
Es ging langsam und schwierig, aber dennoch gelang es, mit der breiten Trage die verhältnismäßig schmale Treppe zu passieren. Die brave Lehrerin öffnete eine Tür, und nun traten sie in das kleine, aber sehr freundlich eingerichtete Besuchsstübchen, in dem der Kranke, nachdem ihn die Männer vorsichtig seiner Kleider entledigt hatten, auf das Bett gelegt wurde. Den Ärmel des Rocks hatte ihm bereits der Arzt aufgeschnitten.
Nachdem für alles gesorgt war, entfernten sie sich.
9. Kapitel
Nur Gerard blieb bei Alfonzo zurück. Dieser betrachtete sich, während sein Herr noch in Ohnmacht lag, das Stübchen. Es enthielt außer dem Bett einen Tisch, eine Kommode, einige Stühle, einen Waschtisch, einen Spiegel und zwei Bilder.
Nach einiger Zeit machte der Graf eine Bewegung, und infolgedessen stellte Gerard die Lampe so, daß ihr Schein den Patienten nicht in das Gesicht treffen konnte. Dadurch fiel dieser Schein nun direkt auf die Bilder, so daß Gerard sie deutlich erkennen konnte.
»Alle Teufel!« sagte er leise, sich erhebend und hinzutretend. »Wer ist denn das?«
Das eine Bild stellte einen jungen Mann und das andere ein junges Mädchen dar. Der erstere war in spanische Tracht gekleidet, und das letztere trug die Fetzen einer Zigeunerin. Obgleich es nur Kreidezeichnungen waren, erkannte man sehr deutlich, daß die Zigeunerin eine große Schönheit war.
»Wer ist denn das?« wiederholte Gerard verwundert. »Das ist doch mein Herr!«
In diesem Augenblick bewegte Alfonzo sich, und Gerard eilte zu ihm hin. Der Kranke hatte die Augen geöffnet und blickte im Raum umher.
»Wo bin ich?« fragte er, sich besinnend. – »Beim Lehrer«, antwortete Gerard. – »Bei welchem Lehrer?« – »Sie wissen das nicht?« – »Nein.« – »Oh, dann sind Sie auch im Kopf verletzt. Sie haben ja mit dem Lehrer gesprochen.« – »Ich? Wo?« fragte Alfonzo verwundert. – »An der Bahn.« – »An der Bahn? Ach so. Es kam ein Mann und wollte mich zu sich nehmen. Ich besinne mich. In welchem Ort sind wird?« – »In einem Dorf, das Genheim heißt. Der Lehrer hat Ihnen sein bestes Zimmer angewiesen.« – »Wo bin ich verletzt? Ah, am Arm.«
Alfonzo hatte den Arm bewegen wollen und fühlte dabei Schmerz.
»Ja, Monsieur. Sie haben ihn zweimal gebrochen.« – »Donnerwetter! Was wird da aus unserer Reise?« – »Sie wird auf einige Zeit unterbrochen werden.« – »Das ist verdammt unangenehm! Aber ein Armbruch geniert ja nicht beim Gehen. Wenn er eingerichtet ist, werden wir die Reise fortsetzen.« – »Dazu müßten wir die Erlaubnis des Arztes haben.« – »Ich frage nicht nach seiner Erlaubnis. Wann wird er zu mir kommen?« – »Sobald er von der Unglücksstätte fort kann.« – »So werde ich gleich nach dem Verband abreisen.«
Gerard lächelte.
»Sie sind ja nicht nur am Arm verletzt«, sagte er. »Am Kopf ebenfalls.« – »Dummheit! Ich fühle nur ein wüstes Pressen.« – »Aber Sie geraten doch aus einer Ohnmacht in die andere.« – »Wirklich?« – »Ja. Ich denke, wir werden einige Zeit hier verweilen müssen.« – »Sind mein Köfferchen und die übrigen Effekten gerettet?« – »Das muß sich erst finden. Sie waren im Gepäckwagen.« – »Wie heißt der Lehrer, bei dem ich mich befinde?« – »Ich weiß es nicht. Soll ich fragen?« – »Nein.«
Alfonzo drehte sich ab, und dabei fiel auch sein Blick auf die beiden Bilder. Seine Augen vergrößerten sich, und seine Lippen bebten.
»Mein Gott, was ist das?« fragte er. – »Kennen Sie die Bilder, gnädiger Herr?« – »Kennen? Oh, gewiß, ich kenne sie!« – »Wer ist es?«
Unter anderen Verhältnissen wäre es sicher nicht geschehen, jetzt aber gab der Graf doch eine Antwort. Er war jedenfalls am Kopf verletzt
»Das ist mein Vater.« – »Ihr Vater? Ah, darum sieht das Bild Ihnen so ähnlich.« – »Und Zarba.« – »Zarba? Wer ist das?« – »Eine Zigeunerin. Spring rasch hinunter und frag, wie der Lehrer heißt« – »Das wird auffallen, Monsieur. Es ist besser, wir warten. Die Lehrerin hat versprochen, bald wiederzukommen.«
Der Kranke nickte und schloß die Augen. Nach einiger Zeit öffnete er sie wieder, fuhr sich mit Hand an den schmerzenden Kopf und fragte:
»Gerard, hast du diese Bilder bereits gesehen?«
Der Gefragte stutzte. War sein Herr denn irre?
»Ja«, antwortete er. – »Hast du mich vielleicht gefragt, wen sie vorstellen?« – »Nein«, sagte Gerard, um ihn auf die Probe zu stellen. – »Wirklich nicht?« – »Nein.« – »Mir war es gerade so, als wenn ich mit dir darüber gesprochen hätte.« – »Ich weiß nichts davon.« – »So bekümmere dich nicht darum. Du brauchst nicht zu wissen, wer sie sind.«
Alfonzo schloß die Augen wieder, aber über sein Gesicht zuckte und zitterte es, als ob er mit wirren Gedanken ringe. Da trat die Lehrerin vorsichtig herein und fragte leise:
»Ist er noch nicht wieder erwacht?« – »O doch«, antwortete Gerard ebenso leise.
Aber der Kranke hatte das Flüstern doch vernommen.
»Wer ist da?« fragte er, ohne die Augen zu öffnen. – »Ich bin es, die Wirtin«, antwortete die Lehrerin französisch.
Da öffnete der Kranke die Augen, blickte sie forschend an und sagte:
»Sie sprechen französisch?« – »Ja, mein Herr.« – »Wo haben Sie es gelernt?« – »Im Institut. Ich war Erzieherin.« – »Ah, das ist gut. So können wir miteinander sprechen.«
Dann schloß Alfonzo die Augen wieder, und es verging fast eine Viertelstunde, ehe er sie wieder öffnete, aber er schien die Gegenwart des Dieners ganz vergessen zu haben, er richtete den Blick auf die Bilder und fragte:
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