Waldröschen III. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 1. Karl May
bei den letzten Worten des Schmieds warf er einen Blick auf denselben, der gar nicht habgieriger sein konnte.
»Bringst du etwas, das lohnt?« fragte er. – »Ich denke. Sind wir aber wirklich sicher?« – »Wie im Himmel!« – »Da, Etienne, sieh dir einmal diese Uhr an!«
Gerard zog die Uhr heraus und reichte sie dem Hehler hin.
»Verdammt!« fluchte dieser, als er einen Blick darauf geworfen hatte. »Diese Uhr hat keinem Lumpen gehört! Seit wann hast du sie?« – »Seit zehn Minuten.« – »Alle Teufel, du gehst sehr schnell zu Werke. Was willst du haben?« – »Was bietest du?«
Der Wirt drehte Uhr und Kette nach verschiedenen Richtungen, untersuchte beide genau und sagte:
»Zweihundert Franken sollst du haben. Mehr nicht.« – »Dann verkaufe ich die Uhr an einen anderen«, entgegnete der Schmied kaltblütig. – »Es wird sie dir kein anderer abkaufen«, meinte der Wirt ebenso ruhig, »weil Papa Terbillon allen Kollegen heute verboten hat, von dir zu kaufen. Er schickte seine Alte, die sagte, daß du bei ihm in Arbeit stehst.« – »Der Teufel soll ihn holen. Ich werde ihm seinen Tagelohn wiedergeben und mein eigener Herr bleiben. Her mit der Uhr!«
Der Hehler besah sich dieselbe abermals und sagte:
»Du weißt daß ich mir aus dem alten Terbillon nichts mache; die anderen aber fürchten ihn. Ich bin wirklich der einzige, der sie kauft.« – »Um dieses Lumpengeld bekommt sie keiner.« – »Gut so will ich dir fünfzig Franken zulegen.« – »Die Uhr samt Kette kostet dreihundert Franken. Gibst du sie, so habe ich noch weitere und weit bessere Sachen für dich; gibst du sie nicht so gehe ich sofort wieder!« – »Gemach, gemach!« sagte da der Hehler besänftigend. »Du hast noch anderes?« – »Ja, ich habe noch Juwelen.« – »So hast du heute eine glückliche Hand gehabt. Zeig her!« – »Nicht eher, als bis die Uhr bezahlt ist.« – »Höre, Gerard, das ist nicht freundschaftlich gehandelt! Zweihundertfünfzig Franken gebe ich dir!« – »Gute Nacht!«
Gerard nahm dem Wirt schnell die Uhr aus der Hand, steckte sie ein und wandte sich zum Gehen. »Halt!« sagte jetzt der Wirt, indem er ihn zurückhielt. »Du sollst die dreihundert haben!«
Der Schmied drehte sich kaltblütig wieder um.
»Geld her!« sagte er. – »Aber du hast auch wirklich Juwelen?« – »Habe ich dich einmal belogen?« – »Nein, ich glaube dir. Hier hast du das Geld.«
Der Wirt zog einen Kasten des Schenktischs auf und nahm die Summe heraus, die der Schmied einsteckte.
»Hier, sieh dir diesen Ring an«, nahm dieser dann wieder das Wort und zog den unscheinbarsten der Ringe hervor, um ihn dem Wirt zu geben. Dieser ließ den Stein gegen das Licht spielen. – »Echt!« sagte er nickend. »Ich gebe fünfzig Franken.« – »Gut. Und für diesen?«
Gerard gab einen zweiten hin.
»Donnerwetter, ein Rubin, und so groß. Ich gebe zweihundert Franken.« – »Und für diesen?«
Der Wirt hielt den Ring gegen das Licht.
»Ah, das ist ein sibirischer Smaragd, für den ich auch zweihundert Franken biete.« – »Und dieser?« – »Ein Saphir«, rief der Wirt, indem er den Stein betrachtete. »Du bist ja zu einer förmlichen Sammlung gekommen. Nun, für diesen bekommst du hundert Franken.« – »Und für diesen letzten?«
Gerard gab dem Wirt den fünften und kostbarsten Ring hin. Das Auge des Hehlers blitzte auf, als er ihn erblickte, denn er erkannte einen echten, wasserhellen Diamanten.
»Ein Brillant! Alle Teufel, hast du Glück gehabt! Für den sollst du den höchsten Preis von fünfhundert Franken haben.« – »So erbitte ich mir die Ringe zurück.« – »Zurück? Warum?« fragte Lecouvert mit gut gespieltem Erstaunen. – »Weil ich sie für diese Preise nicht verkaufe.« – »Es bietet dir keiner mehr.« – »Das wollen wir nicht untersuchen, ich verkaufe sie anderswo sicher.« – »Hm. Wir sind Freunde, Gerard, du darfst mich nicht drücken. Sage, was du haben willst.« – »Du kennst mich, Etienne, und weißt, daß ich nicht weiche, wenn ich einmal eine Zahl gesagt habe. Du gibst für diese Steine fünfzehnhundert Franken. Willst du?« – »Kerl, du prellst mich!« rief der Wirt mit scheinbarem Entsetzen. – »Her damit!«
Er wollte die Steine wieder an sich nehmen, aber Etienne wehrte sich dagegen. Er wußte, daß der Brillant allein den zehnfachen Preis des Geforderten selbst unter Hehlern bringen werde.
»Zwölfhundert gebe ich«, sagte er. – »Fünfzehnhundert.« – »Zwölf … ah, du bist schlecht!«
Gerard hatte nämlich mit einem kräftigen Griff seine Hand erfaßt, ihm die Ringe aus derselben gewunden und wollte sich mit einem »Gute Nacht« entfernen.
»Vierzehnhundert will ich wagen«, erklärte der Wirt. – »Fünfzehnhundert. Keinen Sous weniger.« – »Ah! Na, gut. Weil du es bist, sollst du sie haben. Gib die Ringe her!« – »Erst das Geld; aber noch eins. Papa Terbillon darf nichts erfahren.« – »Das versteht sich ganz von selbst.« – »So sind wir einig. Hier sind die Ringe.« – »Und hier ist das Geld.«
Der Hehler zählte Gerard aus dem Kasten fünfzehnhundert Franken auf den Tisch, so daß der Schmied sich jetzt auf einmal im Besitz von gegen viertausend Franken befand.
»Und nun sage auch, wo du den Fang gemacht hast!« bat der Wirt. – »Auf der Rue de la Poterie.« – »An, wo deine Mignon wohnt! Der Besitzer war gewiß ein Fremder. Du garottiertest ihn?« – »Ja. Es war gerade vor der Wohnung der Mignon; ich kannte den Fremden nicht.« – »So wünsche ich dir und mir alle Tage einen so guten Fang. Denn ich hoffe, daß er nicht bloß die Uhr und die Ringe, sondern auch eine Börse, wohl gar ein Portefeuille bei sich hatte.« – »Es war eine Wenigkeit und …«
Gerard hielt inne, denn es war am Eingang gepocht worden.
»Öffne!« befahl der Wirt dem Türhüter. »Es war das richtige Zeichen.«
Der Mensch schob den Schrank zurück, und es erschienen zwei Personen, voran ein Mädchen und hinter ihr ein Herr.
»Donnerwetter, die Mignon!« rief der Wirt beim Anblick des Mädchens erfreut aus.
Auch der Schmied ließ einen Ruf der Freude hören, wurde aber im nächsten Augenblick leichenblaß, denn der Herr, der mit eintrat, war – Alfonzo, der von ihm Garottierte.
4. Kapitel
Das Haus, vor dem der Schmied den Grafen gewürgt hatte, gehörte zu den dunkelsten Häusern von Paris. Es enthielt im Parterre eine Weinkneipe, deren Besitzerin zugleich die Gebieterin von ungefähr zwölf Mädchen war. Die Hübscheste unter ihnen führte den Spitznamen Mignon, den keines dieser Mädchen wurde bei seinem ursprünglichen Namen genannt.
Die zwölf Magdalenen saßen heute abend schön herausgeputzt in der Trinkstube zusammen, die sie Salon nannten. Es befand sich kein einziger Gast bei ihnen, und darum herrschte eine ungewöhnliche Stille im Gemach.
Doch diese Stille wurde plötzlich unterbrochen. Die Tür wurde geöffnet, und es trat ein junger Mensch ein, der zu den gewöhnlichen Gästen des Lokals gehörte. Die Mädchen sprangen alle auf ihn zu und umringten ihn.
»Ah, der Robert Barlemy!« riefen sie. »Willkommen, willkommen!«
Sie faßten ihn darauf von allen Seiten und wollten ihn zu einem Sitz drängen, er aber wehrte ihnen entschieden ab und sagte:
»Laßt mich, Mädels! Wir haben Notwendigeres zu tun.« – »Notwendigeres? Was?« fragten zwölf Stimmen. – »Kommt und helft mir. Draußen vor der Tür liegt ein Toter!« – »Ein Toter! Oh! Ah! Mein Gott!«
So erklangen zwölf Schreckensrufe durcheinander.
»Ist‘s wahr?« fragte die Wirtin erschrocken. – »Ja«, antwortete der Gast. »Ich fiel beinahe über ihn hinweg.« – »So muß man zur Polizei laufen. Der Tote muß fort!« – »Nein«, sagte der Mann. »Zunächst muß er hier hereingeschafft werden.«
Die Wirtin stieß einen Ruf des Entsetzens aus.
»Sind Sie verrückt!« rief sie. »Ein Toter zu uns?