Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1. Karl May

Waldröschen VI. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 1 - Karl May


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es doch wagte, den Arm um ihre Stuhllehne zu legen, erhob sie sich, um ihm zu entfliehen.

      »Verzeiht, Señor!« sagte sie. »Ich muß in die Küche, um das Abendbrot zu bereiten.« – »Von so schönen Händen muß es doppelt gut munden«, meinte er, indem er ihre Rechte ergriff.

      Sie entzog ihm dieselbe sofort und eilte hastig zur Tür hinaus. Er blickte ihr lächelnd nach und murmelte:

      »Aha, schnippisch kann sie also auch sein! Das ist mir lieb, denn das gibt ihr einen neuen Reiz. So ein Vater ist solch schönes Kind gar nicht wert. Ich werde mir die möglichste Mühe geben, meine Wette zu gewinnen.«

      Da der Alte im Laden und seine Tochter in der Küche zu tun hatte, so blieb der Gast bis zum Abendbrot allein und begab sich, nachdem er gespeist, in sein Schlafzimmer. Dort zog er, um ganz sicher zu gehen, den Drücker ab und probierte denselben an Resedillas Tür. Er schloß, und so waren alle Vorbereitungen zu dem geplanten Überfall getroffen.

      Gerard hatte erst längere Zeit nach dem Dunkelwerden das Fort erreicht und eilte daher sofort nach dem Hause Pirneros, um nicht zu spät zu kommen, denn er wußte, daß man dort sehr zeitig zur Ruhe gehe.

      Als er das Haus umschlich, bemerkte er zu seiner Beruhigung, daß die Geliebte noch in der Küche tätig sei. In dem offenen Verschlag, in dem er sein Pferd einzustellen pflegte, lag eine Leiter, die jedenfalls bis zum Fenster der Bedrohten reichte. Sollte er sie holen und anlegen? Sollte er Resedilla von außen beschützen? Nein, denn das gab jedenfalls einen Lärm, der den Ruf des Mädchens in Gefahr bringen konnte. Er beschloß also, es anders anzufangen.

      Er schlich in das Haus und stieg die Treppe hinauf. Dort auf dem Boden lag ein Haufen leerer Säcke und alter Decken, der ihm mehr als hinreichenden Schutz bot. Er wühlte sich so tief in ihn hinein, daß von ihm nicht das mindeste zu sehen war, und wartete nun der Dinge, die da kommen sollten.

      Zunächst kam der Kapitän, der scheinbar zur Ruhe ging; aber Gerard bemerkte, daß er dann vorsichtig und leise das Schloß versuchte. Darauf kam Resedilla, später ihr Vater, der unten den Eingang verschloß, und endlich auch das Hausgesinde. Die Vaqueros schliefen in einem Nebengebäude. Jetzt war es ruhig und vollkommen finster. Gerard konnte sich denken, daß der Kapitän warten werde, bis das Mädchen eingeschlafen sei; daher fühlte er sich vollkommen sicher. Leise kroch er aus seinem Versteck heraus und schlich sich zur Tür, hinter der die Mägde verschwunden waren, drehte dort den Drücker so leise ab, daß im Innern nichts gehört wurde und ging zur Tür der Geliebten, die ihren Drücker mit in ihr Zimmer genommen hatte, und probierte. Er bemerkte bereits bei der ersten Umdrehung, daß auch dieser Drücker das Schloß schließe; darum kehrte er beruhigt in sein Versteck zurück.

      Es verging weit mehr als eine Stunde, bis sich ein knisterndes Geräusch vernehmen ließ, das nur für das scharfe Ohr des Präriejägers hörbar war.

      »Jetzt kommt er«, dachte dieser.

      Er horchte noch gespannter als vorher und hörte nun von der Seite her, wo die Tür zum Schlafzimmer der Geliebten lag, ein leises, leises Klingen, als wenn Eisen Eisen berührte.

      »Jetzt steckt er den Drücker an!«

      Bei diesen Gedanken schob Gerard den Kopf unter den Säcken hervor und sah ganz deutlich, was geschah. Der Kapitän öffnete vorsichtig die Tür. In dem Zimmer brannte ein Nachtlicht, und Resedilla lag so, daß der Lauscher sie erblicken konnte.

      Sie hatte, in ihrer Kammer angelangt, noch eine lange Zeit mit Weinen und trübem Sinnen zugebracht und sich dann schlafen gelegt, und erst vor wenigen Minuten hatte der Schlummer sie übermannt. Leise zog der Kapitän die Tür hinter sich zu und huschte in das Gemach.

      Im Nu war Gerard an der nun wieder verschlossenen Tür, befeuchtete den Drücker mit Speichel, um das verräterische Geräusch zu vermeiden, drehte um und öffnete eine schmale, kleine Lücke, durch die er alles beobachten konnte.

      Der Kapitän stand dicht am Lager der Schlummernden, in demselben Augenblick aber erhielt er von Gerard einen Schlag, der ihn betäubt zu Boden warf. Das war alles so blitzschnell geschehen, daß das erwachende Mädchen gar keine Zeit gefunden hatte, einen Laut auszustoßen. Jetzt stieß es mit unterdrückter Stimme hervor:

      »Señor Gerard! Mein Gott, was ist das?« – »Fürchtet Euch nicht vor mir, Señorita«, beruhigte sie der Gefragte in bittendem Ton. »Ich bin nicht gekommen, Euch ein Leid zu tun, sondern Euch beizustehen.« – »Ist das wahr?« flüsterte sie, befreit aufatmend. – »Ich schwöre es Euch bei allem, was mir und Euch heilig ist! Ich habe großes Unrecht getan, aber einen Schurkenstreich könnte ich niemals begehen.« – »Ich danke Euch! Welch ein Schreck! Welch eine Angst! Aber wie kamt Ihr dazu?« – »Ich belauschte im Wald zwei französische Offiziere, von denen der eine wettete, daß er heute nach hier eindringen werde. Ich eilte herbei, um Euch zu helfen. Erst hatte ich den Gedanken, ihn durchs Fenster zu erschießen, aber das wäre nicht klug gewesen, denn man hätte geglaubt, er sei als begünstigter Liebhaber bei Euch eingetreten und von einem Eifersüchtigen erschossen worden, darum schlich ich mich in das Haus, um diese Angelegenheit in voller Ruhe abzumachen. Kein Mensch wird davon erfahren, laßt mich nur sorgen, Señorita.« – »O Gott, wie schlimm wird es uns gehen, da jener Mann dort ein Franzose ist und noch dazu ein Offizier. Aber ob er letzteres auch wirklich ist?« – »Ja, er ist Kapitän.« – »Und bei uns gab er sich für einen Goldsucher ans.« – »Er war als Spion bei Euch; weiter darf ich Euch nichts sagen.« – »Aber was geschieht mit ihm? Ihr habt ihn erschlagen?« – »Er ist nicht tot; er wird wieder zu sich kommen.« – »So schafft ihn nach seinem Zimmer, Señor! Ich werde Euch leuchten.«

      Er besann sich einen Augenblick; dann ging über sein Gesicht ein Lächeln, welches sie sich nicht zu deuten vermochte; es war das Lächeln eines Richters, der nach dem Gesetz handelte: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

      »Gut«, sagte er, »ich werde Eurem Befehl gehorchen und ihn in sein Zimmer bringen. Ihr aber sollt liegenbleiben; Ihr dürft Euch nicht um ihn und mich bemühen.«

      Es lag in seinem wenn auch leisen Ton ein Etwas, dem sie nicht zu widersprechen wagte.

      »Tut, was Ihr wollt, Señor, nur laßt es niemanden erfahren«, bat sie. »Nehmt ihn auf, dort liegt noch sein Drücker. Gute Nacht, Señor Gerard.«

      Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er konnte nicht anders, er nahm sie und drückte sie an das Herz und an die Lippen. Sie ließ es ruhig geschehen und fügte hinzu:

      »Ihr habt mich heute vor einer großen Gefahr bewahrt; darf ich Euch um etwas bitten?« – »Sprecht, Señorita!« – »Laßt uns nicht auf immer voneinander scheiden!« – »Ihr sprecht diesen Wunsch nur aus Dankbarkeit aus?« – »Nein«, antwortete sie mit dem Ausdruck der Wahrheit. – »Oder aus Mitleid?« – »Auch nicht!« – »Ist das wahr, Señorita?« – »Ich schwöre es Euch.« – »So danke ich Euch! Ihr werdet mich wiedersehen.«

      Seine Augen leuchteten auf wie unter dem ersten Strahl eines unendlichen Glückes. Sie bemerkte es wohl, und eine tiefe Röte ergoß sich über ihr Gesicht. Dann sagte sie:

      »Da, nehmt meine Hand! Ihr seid ja mein Retter, und ich habe Vertrauen zu Euch.« – »Vertrauen? Vertrauen? Ist das wahr, Señorita?« – »Ja.« – »Vertrauen! Vertrauen! Oh, mein Gott!« stieß er mit einem tiefen Atemzug hervor. »Ihr wißt alles, alles, Ihr kennt meine Vergangenheit und schenkt mir doch Vertrauen! Das gibt mir neues Leben!«

      Gerard sank an ihrem Lager nieder, ergriff ihre Hände und senkte seine Stirn auf dieselben. Sie aber stützte sich auf den Ellbogen, näherte ihr Gesicht seinem Kopf und flüsterte:

      »Ja, Señor Gerard, ich vertraue Euch! Ihr habt viel gesündigt, aber auch viel gelitten. Ich bin überzeugt, daß Ihr niemals wieder etwas Böses tun könnt.« – »Nie, nie!« schluchzte er.

      Nichts ergreift das Herz eines Weibes tiefer, als die Träne eines starken, charakterfesten Mannes. Auch ihre Augen wurden feucht. Ihre Seele zitterte unter einer heiligen Regung, und sie bat mit leiser Stimme:

      »Seht mich einmal an, Señor! Erhebt Euer Angesicht zu mir!«

      Er gehorchte. Da senkte sie ihren Kopf, gab ihm einen Kuß auf die Stirn und einen zweiten auf den Mund und fuhr fort:

      »Ich


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