Waldröschen VII. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 2. Karl May
erhoben hat.« – »Ich weiß es. Wie man erzählt, ist er siegreich gewesen?« – »Ja. Diaz hat überhaupt noch nie ein Treffen verloren. Er faßt die Franzosen im Süden des Landes an und wünscht nun, daß Juarez im Norden losbreche.« – »Wenn Gott nur geben wollte, daß dies möglich ist.« – »Warum sollte dies nicht möglich sein? Diaz hat mir wichtige Depeschen anvertraut, die ich dem Präsidenten bringen soll.« – »Ah, so bist du ein Bote des Generals?« fragte Arbellez erstaunt. – »Ja, Señor. Ich komme aus dem Süden und bin in einer Tour bis hierhergeritten.« – »Mann, das ist ein Meisterstück!« – »Da habt Ihr recht. Es war nicht wenig Schlauheit und Vorsicht nötig, um unentdeckt durch die von den Feinden besetzten Provinzen zu kommen. Ich bin vor Anstrengung halbtot und bedarf einen oder zwei Tage der Ruhe. Ihr wurdet mir als ein guter und treuer Patriot geschildert, und so beschloß ich, Euch um Gastfreundschaft anzusprechen.« – »Daran hast du sehr recht getan. Du bist mir willkommen, und ich denke, daß für dich und deine Depeschen nichts zu befürchten ist, trotzdem du bei mir mitten unter den Franzosen bist. Soll ich dir die Depeschen verwahren?« – »O nein, Señor. Das ist nicht notwendig. Sie sind bei mir so gut versteckt, daß sie niemand finden wird. Ich danke Euch sehr für euren guten Willen.« – »Es war gut gemeint; wo gedenkst du Juarez zu treffen?« – »In El Paso del Norte.« – »Dort ist er nicht mehr.« – »Wo sonst?« – »Ich weiß es nicht. Der Capitano hat vorhin die Nachricht erhalten, daß der Präsident aus El Paso vertrieben worden ist« – »Durch wen, Señor?« – »Durch die Franzosen.« – »Der Teufel soll sie holen. Nun wird meine Aufgabe doppelt schwer.« – »Das ist sehr richtig, lieber Freund. Willst du erfahren, wo Juarez sich befindet?« – »Ich muß nach El Paso und hoffe, es dort zu hören.« – »Dies ist aber sehr gefährlich für dich.« – »Ich bin die Gefahr gewöhnt, Señor.« – »Das will ich glauben. Wärst du furchtsam, so hätte Diaz dir nicht eine so sehr wichtige Angelegenheit anvertraut. Bist du gut beritten?« – »So leidlich, aber mein Pferd ist durch den weiten Ritt sehr heruntergekommen.« – »Nimm dir aus meiner Herde ein besseres.« – »Ich danke Euch, Señor, und werde euer Verhalten gegen Juarez zu rühmen wissen. Wollt Ihr mir sagen, wo ich mich hier aufzuhalten habe?« – »Das kommt ganz auf dich an. Bist du wirklich nur ein Vaquero?« – »Hm! Ich mußte mich für einen solchen ausgeben.« – »Gut, so mußt du dich auch in dieser Rolle zeigen. Ich habe dich in Dienst genommen, du wirst also bei meinen Vaqueros sein. Sie liegen entweder in einem Raum des Erdgeschosses oder draußen vor dem Haus.« – »Wird man mich ungehindert heraus- und hineinpassieren lassen?« – »Jedenfalls. Da du als Vaquero auftrittst, darf ich dich auch nicht bedienen lassen. Für Speise und Trank werden deine Kollegen sorgen. Hast du sonst noch einen Wunsch, so brauchst du ihn mir nur mitzuteilen.« – »Ich danke Euch, Señor. Ich brauche nichts als Ruhe und ein besseres Pferd. Beides habt Ihr mir bereits gewährt; ich bin zufrieden.«
Er zog sich zurück. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sagte Marie Hermoyes:
»Wißt Ihr, Señor, daß Ihr Euch da in eine gefährliche Sache eingelassen habt?« – »Gefährlich? Wieso?« – »Wenn nun die Franzosen entdecken, daß der Mann ein Bote von Diaz ist?« – »Das wäre sehr zu beklagen; aber was sollte es mir schaden?« – »Ihr habt ja gesagt daß Ihr ihn und seinen Bruder kennt« – »Das ist wahr. Aber ich sehe da noch keine Gefahr voraus. Kann ich denn wissen, daß dieser Mann, der in meine Dienste treten will, sozusagen ein Spion ist?« – »Hm. Habt Ihr ihn Euch richtig betrachtet?« – Ja.« – »Wie gefiel er Euch?« – »Wie er mir gefiel? Oh, ich bin kein Frauenzimmer, Señora«, lachte Arbellez.
Marie Hermoyes zuckte lächelnd die Achseln, fuhr aber in besorgtem Ton fort:
»So ist es natürlich nicht gemeint. Habt Ihr sein Auge betrachtet? Sein Blick war nicht gut, gar nicht gut.« – »Inwiefern?« – »So unstet.« – »Hm, ja. Sein Auge war sehr unruhig, es fuhr im Zimmer herum, als ob er etwas suche und doch nicht finden könne; das habe ich allerdings auch bemerkt.« – »Er hatte ein falsches, treuloses Auge. Ich könnte ihm kein Vertrauen schenken.« – »Das ist auch gar nicht nötig. Er ist ein Bote; er ruht sich bei uns aus und wird wieder gehen. Ob er einen guten oder bösen Charakter hat, das geht uns nichts an.«
Damit war die Sache abgemacht. Der gute Arbellez ahnte nicht, wie sehr Marie Hermoyes mit ihrem Mißtrauen recht hatte. Er sollte es leider erfahren.
Der Vaquero, der sich Armandos genannt hatte, gesellte sich unterdessen zu den Rinderhirten, die ihren Aufenthalt im Erdgeschoß hatten. Er erhielt zu essen und zu trinken und erfuhr im Laufe des Gesprächs alles, was er zu wissen beabsichtigte.
Später verließ er das Haus und begab sich hinaus auf das Feld, wo andere Hirten nach ihrer Gewohnheit am Feuer saßen. Hier vervollständigte er seine Erkundigungen, so daß er am Abend genügend orientiert war.
Nun streckte er sich in das Gras, wickelte sich in seine Decke und tat, als ob er schlafe. Niemand kümmerte sich um ihn, und das war ihm recht.
3. Kapitel
So kam Mitternacht heran. Die Vaqueros schliefen, und Armandos konnte sich entfernen, ohne daß sein Gehen auffiel. Er schlug, um von den französischen Posten nicht bemerkt zu werden, einen Bogen, bis er sich dem Eingang gegenüber befand, und schritt dann in schnurgerader Richtung in die Nacht hinein.
Er war noch gar nicht weit gegangen, so bemerkte er eine dunkle Masse vor sich.
»Halt. Wer da?« fragte halblaut eine Stimme.
Die dunkle Masse bestand aus den Leuten, die er suchte.
»Ich bin es«, antwortete er. – »Endlich.«
Dieses letztere Wort kam von Cortejo, der in der Nähe hielt und jetzt mit seiner Tochter und dem Mexikaner, der heute an seiner Seite geritten war, näher trat.
»Wie steht es?« fragte er. – »Schlecht und gut zu gleicher Zeit«, antwortete der Mann. – »Warum schlecht?« – »Weil die Hazienda von den Franzosen besetzt ist« – »Alle Teufel, das ist höchst unangenehm. Ich habe also recht gehabt. Sind es viele?« – »Ich habe gegen dreißig Mann gezählt« – »Dann ist es ja gar nicht so schlimm. Wer ist ihr Anführer?« – »Ein Capitano, der durchaus nicht wie ein großer Held aussieht.« – »Ich werde mit ihm fertig werden. Aber hast du nicht gehört, warum man auf den Gedanken gekommen ist, gerade die Hazienda zu besetzen?« – »Sie ist Etappenstation.« – »Das ist nicht gut. Es ist so, wie ich dachte. Die Hazienda liegt am großen Reitweg nach Coahuila. Wenn wir sie wegnehmen, werden wir bald wieder Besuch erhalten und uns tüchtig herumzuschlagen haben.«
Da meinte der mexikanische Anführer, der bisher geschwiegen hatte:
»Das müssen wir mit in den Kauf nehmen. Die Sache hat auch ihr Gutes. Indem wir diese Etappe fortnehmen, zerreißen wir die Verbindungslinie des Feindes. Das ist ein großer Vorteil für uns.« – »Recht habt Ihr. Es ist nur notwendig, eine so starke Besatzung in die Hazienda zu legen, daß diese uns nicht wieder genommen werden kann. Sie soll ja den Punkt bilden, von dem meine Operationen ausgehen. Wird sie gut bewacht?« – »Sehr nachlässig«, antwortete der Spion. »Es sind an den vier Ecken Schanzen aufgeworfen; auf jeder steht ein Posten; das ist alles.« – »Und die anderen?« – »Die liegen im Hof und schlafen.« – »Der Capitano auch?« – »Nein; der bewohnt ein Zimmer im Gebäude.« – »Kennst du es?« – »Nein. Ich wollte nicht unvorsichtig fragen. Der Kerl kann uns ja nicht entwischen.« – »Und wie steht es mit den Vaqueros?« – »Einige schlafen im Erdgeschoß und einige im Freien.« – »Hast du mit dem Haziendero selbst gesprochen?« – »Ja. Er ist ein sehr einfältiger Mensch; er glaubte alles, was ich ihm sagte. Übrigens brauchen wir uns vor seiner Tapferkeit nicht zu fürchten. Er ist krank und schwach, er sieht aus, als ob der Tod bereits hinter ihm stehe.« – »Wir werden keine schwere Arbeit haben«, meinte der Anführer. »Wir lassen die Pferde einstweilen zurück und schleichen uns vor. Die vier Posten werden mit dem Messer erstochen, daß sie keinen Lärm machen können, und dann geht es über die anderen her, alles möglichst ruhig mit dem Messer. Aber wie steht es mit den Vaqueros? Töten wir sie auch?« – »Natürlich!« meinte Josefa. – »Eigentlich ist es nicht nötig«, versetzte Cortejo. »Ich werde Besitzer der Hazienda und brauche diese Leute zum Schutz der Herden.« – »So lassen wir sie