Waldröschen VII. Die Abenteuer des schwarzen Gerard 2. Karl May
Arbellez ist ein Anhänger des Präsidenten Juarez. Das wißt Ihr wohl?« – »Ja.« – »Cortejo aber will selbst Präsident werden. Auch das wißt Ihr wahrscheinlich?« – »Ich hörte davon sprechen, aber ich kann es beinahe nicht glauben.« – »Ihr könnt es glauben. Er hat eine ziemliche Zahl Anhänger um sich versammelt und ist nach dem Norden des Landes gegangen, um sich denselben zu unterwerfen. Mit der Hacienda del Erina hat er begonnen.« – »So hat er die Hazienda überfallen?« fragte der Vaquero finster. – »Ja.« – »Und Señor Arbellez hat fliehen müssen?« – »Ja; es gelang ihm, glücklicherweise zu entkommen.« – »Wohin?« – »Er hat es mir mitgeteilt, mir aber verboten, es jemandem zu sagen.« – »Auch mir sollt Ihr es nicht sagen?« – »Er hat von keiner Ausnahme gesprochen.« – »Wie kommt es, daß er gegen Euch so aufrichtig gewesen ist, Señorita?« – »Das ist sehr einfach. Er und mein Vater waren gute Bekannte. Mein Vater verlor durch Cortejos Schuld das Leben. Ich aber tat, als wüßte ich dies nicht, und schloß mich dem letzteren an, um mich an ihm zu rächen. Ich habe bei seiner Truppe einige brave Männer, die heimlich zu mir halten und nur den Augenblick erwarten, gegen Cortejo aufzutreten. Als wir nach der Hazienda kamen, erkannte ich Señor Arbellez und ließ ihn mit Hilfe dieser Männer entkommen. Vorher aber bat er mich, ihm alles Nötige wissen zu lassen.« – »So steht Ihr im Verkehr mit ihm?« – »Ja, aber heimlich natürlich.« – »So habt Vertrauen zu mir und sagt mir den Ort, wo er sich befindet. Ich habe ihm verschiedene, wichtige Mitteilungen zu machen.« – »Ich weiß nicht, ob Euch dies möglich sein würde, selbst wenn Ihr seinen Aufenthalt wüßtet.« – »Warum nicht?« – »Ihr seid ja hier Gefangener. Man wird Euch nicht gleich freilassen.« – »Alle Teufel, das ist unangenehm. Könntet Ihr mir nicht zur Freiheit verhelfen?« – »Ich werde es versuchen, kann aber für das Gelingen nicht garantieren. Am besten wird es sein, Ihr teilt mir mit, was Ihr Señor Arbellez zu sagen habt. Durch mich erfährt er es am schnellsten und am sichersten. Ich stand eben heute im Begriff, einen Boten an ihn abzusenden.« – »Ah, könnte ich das nicht sein, Señorita?« – »Wo denkt Ihr hin. Cortejo ist für einige Zeit abwesend. Man wird Euch festhalten, bis er zurückkehrt und über Euer Schicksal entscheidet. Ob es mir bis dahin gelingt, Euch zu befreien, weiß ich nicht. Ihr aber müßt am besten wissen, ob das, was Ihr Eurem Herrn zu sagen habt, einen so langen Aufschub erleidet. Überlegt es Euch.«
Der Vaquero begann nachdenklich zu werden, er wiegte den Kopf und sagte:
»Hm. Darf ich Euch denn auch wirklich trauen, Señorita?« – »Macht das ganz, wie es Euch beliebt«, antwortete sie mit gekränktem Stolz. – »Darf ich Euren Namen erfahren?« – »Mein Vater war Oberst Ramirez.«
Der Oberst, ein bekannter Anhänger von Juarez, war vor einiger Zeit wahrend einer Reise ermordet worden. Dieser Umstand kam Josefa so gelegen, daß sie sich seiner bediente, um den braven Vaquero zu betrügen.
»Oberst Ramirez?« fragte er. »Das war ein braver Mann.« – »Überhaupt«, bemerkte sie, »kann ich Euch beweisen, daß Señor Arbellez mir sein Vertrauen schenkt. Er hat mir alles von Euch erzählt.« – »Ah, wirklich!« – »Ja. Oder wüßte ich sonst, daß Ihr in Fort Guadeloupe bei Pirnero gewesen seid?« – »Das ist wahr.« – »Ich kann Euch sagen, daß Ihr dort zu tun hattet.« – »Nun, was?« – »Señor Arbellez hat sein Testament gemacht und die Tochter Pirneros als Universalerbin eingesetzt. Das solltet Ihr dort melden und zugleich die Señorita ersuchen, Eurem Herrn auf der Hazienda ihre Visite zu machen.« – »Wahrhaftig, Ihr wißt es. Das kann nur mein Herr Euch gesagt haben.« – »Natürlich. Er bat mich, ihn sofort wissen zu lassen, was Ihr ausgerichtet und erfahren habt.« – »So bleibt mir nichts anderes übrig, als es Euch mitzuteilen.« – »Macht das, wie Ihr wollt. Ich bettle nicht um Euer Vertrauen.« – »Gut Ihr sollt alles wissen, Señorita. Nehmt es mir nicht übel, daß ich bedenklich war. Man muß in der jetzigen Zeit sehr vorsichtig sein.« – »Ich entschuldige Euch. Wird die Señorita kommen?« – »Möglich ist es, daß sie zum Besuch kommt, jedoch als Erbin nicht.« – »Ah, so hat sie die Erbschaft abgelehnt?« – »Das eigentlich nicht. Sie konnte sie nicht annehmen, weil die eigentliche Erbin gekommen ist.« – »Die eigentliche Erbin? Wie meint Ihr das?« fragte Josefa. – »Nun, die Tochter meines Herrn. Sie ist doch die eigentliche Erbin.« – »Ihr meint Señorita Emma Arbellez?« – »Ja.« – »Aber ich denke, daß sie nicht mehr lebt, daß sie verschwunden ist!« – »Ja, das meinten wir, aber denkt Euch, sie hat sich wiedergefunden.« – »Unmöglich!« rief das alte Mädchen. – »Wir hätten es allerdings für unmöglich gehalten, aber Gott lebt noch, er tut noch immer Wunder über Wunder.« – »Ihr werdet Euch jedenfalls irren. Wiedergefunden nach so vielen Jahren!« – »Ich irre mich nicht; ich werde doch die Tochter meines Herrn kennen.« – »So habt Ihr sie gesehen und mit ihr gesprochen?« – »Ja.« – »Und sie ist es wirklich? Es ist keine Täuschung möglich? Ihr habt sie erkannt?« – »Ich habe sie wiedererkannt, augenblicklich, als ich sie sah. Sie hat sich gar nicht verändert.«
Der gute Mann beachtete gar nicht, welche Gefühle sich auf dem Gesicht Josefas ausdrückten. Erst Unglauben, dann Zweifel, Bangen, Überzeugung, Schreck und Grimm zuckten nach und nach über ihre Züge. Aber sie hatte dieselben doch so sehr in ihrer Gewalt, daß es ihr gelang, sich leidlich zu beherrschen. Dies letztere war nötig. Das Wiedererscheinen von Emma Arbellez brachte die größte Gefahr mit sich; Josefa mußte alles erfahren, um gegen alles gerüstet zu sein, und das konnte sie nur, wenn sie vermied, bei dem Vaquero Verdacht zu erregen. Darum schlug sie wie in höchster Überraschung die Hände zusammen und rief im freudigsten Ton, der ihr möglich war:
»Mein Gott, welch ein Glück! Welch eine Freude! Wo befindet sich denn die gute Emma?« – »Ich habe mich im Fort Guadeloupe von ihr getrennt.« – »So habt Ihr sie dortgelassen?« – »Ja. Sie kam plötzlich mit allen an, die mit ihr verschwunden waren.«
Der Atem schien dem Mädchen zu stocken. Sie riß die runden Augen auf und fragte:
»Mit allen?« – »Ja, Señorita.« – »Wen meint Ihr da?« – »Zunächst Señor Sternau…«
Bei diesem Namen wurde Josefa totenbleich. Henrico Landola hatte ja gemeldet, daß die ganze Gesellschaft untergegangen sei. Hatte er sich geirrt? War er getäuscht worden, oder hatte er absichtlich gelogen? Mit diesem Sternau erwuchs den Brüdern Cortejo der grimmigste Feind von neuem. Sie fragte, vor Erregung stockend:
»Señor Sternau? Ich denke, der ist längst tot?« – »Nein, er lebt Ich erkannte auch ihn sogleich wieder.« – »Ihr habt ihn gesehen und gesprochen?« – »Ja.« – »Und wer war noch mit dabei?« – »Jener Señor Mariano, der mit Señorita Emma und Sternau verschwand.«
Hätte Josefas Schreck sich steigern können, so wäre es jetzt sicher geschehen. Also der echte Graf Rodriganda lebte noch? Vielleicht war jetzt, da sie alles bereits gewonnen geglaubt hatte, nun im Gegenteil alles verloren!
»Und wer noch?« erkundigte sie sich weiter. – »Büffelstirn …« – »Ah, der Häuptling der Mixtekas?« – »Ja. Und Bärenherz …« – »Der Häuptling der Apachen?« – »Ja. Ferner die beiden Helmers, von denen der eine Donnerpfeil genannt wurde.« – »Es ist unglaublich!« sagte Josefa fast ächzend, was aber der brave Vaquero für den Ausdruck freudigsten Erstaunens nahm. »Was Ihr mir da sagt, klingt ja fast wie ein Märchen, wie ein Wunder!« – »Ihr scheint die Personen alle sehr genau zu kennen«, sagte er. – »Ja. Señor Arbellez hat mir alles erzählt.« – »Vor seiner Flucht?« – »Ja. Er hatte noch so viel Zeit, mich mit allem bekannt zu machen. Mir ist es lieb, daß er dies getan hat, denn dadurch wird es nur möglich, ihm und den Wiedergefundenen meine Dienste anzubieten. Ich werde mein Möglichstes tun, um ihnen von Nutzen zu sein. Aber sagt, wo haben diese Leute denn so lange Zeit gesteckt?« – »Auf einer wüsten Insel im Meer.« – »Unglaublich! Wie sind sie denn dorthin gekommen?« – »Ein gewisser Kapitän Landola hat sie gefangengenommen und dort ausgesetzt.«
Jetzt hatte Josefa Mühe, ihren Grimm zu verbergen. Also nicht tot waren sie, sondern von Landola ausgesetzt worden! Dieser hatte also mit falschen Karten gespielt. Zu welchem Zweck aber? Jedenfalls, um seinen Vorteil zu suchen, um eine Waffe gegen die Brüder Cortejo zu haben, falls er sie aussaugen wollte. Etwas anderes war ja gar nicht denkbar. Auch er