Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3. Karl May

Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3 - Karl May


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zu haben.

      »Gift! Wirklich Gift!« rief es rundum. – »Ja«, meinte Doktor Berthold. »Aber dieses Gift ist mir unbekannt.« – »Mir auch«, fügte sein Kollege bei. – »Aber ich kenne es«, antwortete Gerard. »Es ist das Öl der fürchterlichen Pflanze, die von den Diggerindianern Klama-bale genannt wird, das heißt, Blatt des Todes. Ich habe die Wirkung dieses Giftes einige Male beobachtet.« – »Herrgott, welch eine Schlechtigkeit!« rief die alte Hermoyes. »Man steigt hier ein, um jemanden unter uns zu vergiften.«

      Der Jäger schüttelte sehr ernst den Kopf.

      Jemand unter uns?« sagte er. »Irrt Euch nicht, Señora. Wer Gift in den Kessel schüttet, aus dem für alle Wasser genommen wird, der will nicht einen einzelnen, sondern der will alle zugleich vergiften.«

      Man kann sich denken, welchen Eindruck diese Worte machten, zumal sich ein jeder sagen mußte, daß Gerard recht habe.

      »Wie sehr, wie sehr haben wir Gott zu danken, daß Ihr zu uns gekommen seid«, sagte Arbellez, vor Schreck fast zitternd. »Ohne Euren Scharfsinn wären wir alle morgen tot gewesen.«

      Gerard antwortete trocken, ja beinahe vorwurfsvoll:

      »Ein wenig von diesem Scharfsinn hätte Don Ferdinando retten können. Ihr aber habt seine Räuber entkommen lassen!« – »Ihr mögt recht haben, Señor! Aber bleiben wir bei der Gegenwart! Wer mag dieser Mensch gewesen sein? Wem mag daran liegen, daß sämtliche Bewohner dieses Hauses während eines Tages zugrunde gehen?«

      Gerard zuckte fast mitleidig die Achseln und fragte: »Das ahnt Ihr nicht, Señor?« – »Nein«, lautete die Antwort. – »So denkt doch nur einmal darüber nach! Mir scheint es ganz und gar nicht schwer, das Richtige zu treffen. Seht Ihr denn nicht, daß es auf die Angehörigen der Familie de Rodriganda abgesehen ist?« – »Mein Gott, ja!« rief Arbellez. »Wie war es doch nur möglich, nicht auf diesen Gedanken zu kommen. Aber keiner von uns allen gehört zu dieser Familie.« – »Aber Ihr alle seid in ihre Geheimnisse eingeweiht.« – »Das ist allerdings richtig.« – »Sternau, die beiden Helmers und nach ihnen alle sind verschwunden, die um dieses Geheimnis wissen. Nun sind nur noch die Bewohner der Hazienda übrig. Und sie alle hat man auf einen Schlag mit Hilfe dieses Klama-bale, dieses Totenblattes, beseitigen wollen.« – »Das leuchtet ein. Aber wer mag der Täter sein?« – »Wer anders als Cortejo?« meinte die alte Marie Hermoyes. – »Cortejo«, nickte der Schwarze Gerard. »Cortejo oder eines seiner Werkzeuge. Es ist jedoch auch möglich, daß es nicht ein Verbündeter, sondern gerade ein Feind von ihm ist.« – »Wie wäre das möglich?« – »Hm! Man muß an alles denken. Cortejo scheint viele Werkzeuge zu haben. Um später ihrer Verschwiegenheit sicher zu sein, ist er gezwungen, sie zu opfern. Sind sie nicht ganz dumm, so müssen sie das einsehen, sie müssen vorsichtig sein, sie dürfen ihm nicht trauen. Landola ist sein Hauptverbündeter. Er ist Cortejo überlegen. Sollte er sich alles das, was er weiß, nicht auf die eine oder andere Weise zunutze machen? Kann es nicht noch einen anderen, einen zweiten oder dritten geben, von dem sich dasselbe sagen läßt? Ist es unmöglich, auf irgendeine Weise einen anderen als den Grafen Rodriganda unterzuschieben, wenn Mariano verschwunden ist, und wenn man dafür sorgt, daß auch der jetzige Graf Alfonzo vom Schauplatz tritt?« – »Dieser Gedanke ist ungeheuerlich«, sagte Arbellez. – »Ich will das gar nicht bestreiten«, antwortete Gerard. »Aber für einen Mann, der so viel erlebt hat, gibt es überhaupt nichts Ungeheuerliches mehr. Ich halte mich jetzt zunächst an die Tatsache, daß man die Bewohner der Hazienda vergiften wollte. Den Täter werde ich ergreifen, und er wird beichten müssen.« – »Aber wenn er nichts gesteht?« – »Pah!« antwortete der Jäger mit einer verächtlichen Handbewegung. »Ich möchte den Menschen sehen, der mir etwas verschweigt, wenn ich ihn in das Gebet nehme. Wir Savannenleute haben unsere unfehlbaren Mittel, einen jeden zum Sprechen zu bringen.« – »Und Ihr glaubt also, daß Ihr diesen Menschen in Wirklichkeit ergreifen werdet?« – »Ich bin überzeugt davon.« – »Aber er hat einen großen Vorsprung.« – »Dieser wird ihm nichts nützen. Er bedient sich jetzt desselben Pferdes, mit dem er nach der Hazienda gekommen ist. Es wird ermüdet sein, und ich hoffe doch, daß Ihr mir und den beiden Vaqueros, die mich begleiten werden, frische und schnelle Tiere zur Verfügung stellen könnt.« – »Ihr sollt die besten Pferde erhalten, die ich besitze. Aber vielleicht hilft Euch das gar nichts.« – »Wieso?« – »Wenn der Mann aus der Umgegend ist, so hat er seine Heimat erreicht, ehe Ihr in den Sattel kommt. Was nützt Euch dann die Schnelligkeit Eurer Pferde?«

      Gerard schüttelte lächelnd den Kopf.

      »Ihr seid so viel mit Präriejägern zusammengekommen«, antwortete er, »daß Ihr endlich einmal wissen könntet, daß keiner von ihnen einen Mann entkommen läßt, dessen Spur er einmal fand. Von ruhigem Schlaf ist nun doch keine Rede. Ich will mich zum Ritt vorbereiten. Denn wenn der Tag anbricht, suche ich die Fährte.«

      Dies geschah. So lange es noch dunkel war, konnte man das Geschehen nur besprechen und sich in allerlei Vermutungen ergehen, aber sobald der Tag zu grauen begann, begab man sich zunächst nach dem Hof unter das Küchenfenster, wo Gerard mit Hilfe eines Papierblattes eine ganz genaue Zeichnung der Fußspur nahm, die dort zu finden war.

      Sodann führte er die Freunde in das Freie nach dem Ort, wo er das Schnauben des Pferdes und sodann das Hufgetrappel vernommen hatte. Er brauchte nicht lange zu suchen. Er deutete auf ein Loch im grasigen Erdboden und fragte:

      »Was hat dieses Loch zu bedeuten, Señor Arbellez?« – »Es ist hier ein Pferd angepflockt gewesen«, antwortete der alte Haziendero. – »Richtig. Der Mann hat sein Tier angepflockt und nicht angebunden. Er trägt also einen Lassopflock bei sich. Das ist auch ein Erkennungszeichen. Und nun seht Euch einmal diesen Kaktus an.«

      Die erwähnte Pflanze stand in unmittelbarer Nähe des Loches, in dem der Pflock gesteckt hatte. Arbellez betrachtete sie mit großer Aufmerksamkeit und sagte:

      »Hm! Ich bemerke gar nichts Außergewöhnliches.« – »Wirklich nicht?« – »Nein.« – »Und die anderen?«

      Auch diese untersuchten den Kaktus, konnten jedoch auch nichts Auffälliges finden.

      »Ja«, lachte Gerard, »ein Jäger sieht doch etwas mehr als ein Haziendero oder Vaquero. Was ist denn das, Señores?«

      Er zog etwas von den Stacheln des Kaktus weg.

      »Ein Pferdehaar«, meinte Arbellez. – »Ja, aber von welchem Teil des Pferdes?« – »Es ist ein Schwanzhaar.« – »Welche Farbe hat es?«

      Arbellez betrachtete es genau und antwortete dann:

      »Schwarz, aber von einem Rappen scheint es dennoch nicht zu sein.« – »Da habt Ihr recht«, meinte Gerard. »Es ist weder von einem Rappen, noch von einem Braunen. Es hat ganz die eigentümliche Melierung, die man nur bei dunklen Rotschimmeln trifft. Das Pferd hat mit dem Schwanz um sich geschlagen, und dabei ist dieses Haar an den Kaktusstacheln hängengeblieben. Das Pferd ist ein Rotschimmel. Es hat hier das Gras niedergetreten, aber eine deutliche Spur ist leider nicht zu sehen.« – »Das ist freilich schade«, meinte Arbellez im Ton des Bedauerns. – »Warum?« – »Rotschimmel gibt es viele, ein Irrtum ist also möglich. Hättet Ihr aber ein so genaues Bild von der Hufspur, wie Ihr sie vom Stiefel des Reiters habt, so wäre ein Erkennen leichter.«

      Gerard lächelte in seiner ruhigen und doch überlegenen Weise und antwortete:

      »So glaubt Ihr, daß ein solches Bild nicht zu bekommen sei?« – »Woher denn?« – »Am Bach dort. Seht, daß er hier links hinübergeritten ist. Er hat über den Bach gemußt, und dort wird sich wohl ein deutlicher Eindruck der Hufe finden lassen.«

      Er hatte recht. Sie folgten ihm nach dem Wasser, und als sie dort ankamen, zeigte der weiche Uferboden ganz deutliche Eindrücke, die eine Papierzeichnung gestatteten.

      »So!« meinte Gerard. Jetzt habe ich alles beisammen, und nun darf ich auch nicht säumen, aufzubrechen.«

      Er begab sich in sein Zimmer zurück, um seine Waffen zu sich zu nehmen. Dort suchte ihn Resedilla auf, um ihm Lebewohl zu sagen. Sie umschlang und küßte ihn, als ob es gelte, auf ewig von ihm zu scheiden.

      »Tröste dich, mein Herz!« bat er sie in beruhigendem Ton. »Wir werden uns ja sehr bald wiedersehen.« –


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