Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3. Karl May

Waldröschen X. Erkämpftes Glück. Teil 3 - Karl May


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Hilario befand sich in der Überzeugung, daß sein mörderischer Anschlag geglückt sei. Er ahnte nicht im geringsten, daß er einen Verfolger hinter sich hatte, und stieg, von dem Ergebnis seines weiten Rittes befriedigt, vor dem Klostertor ab, als das Abenddunkel hereinbrach.

      Daß er sich eines fremden Pferdes bemächtigt hatte, machte ihm keine Sorge. Es gab hundert Ausreden für ihn.

      Da er einige Tage länger geblieben war, als er vorher bestimmt hatte, so war er von seinem Neffen mit Ungeduld erwartet worden.

      »Endlich!« rief dieser, als er zu ihm in das Zimmer trat. »So sage mir doch um aller Welt willen, wo du so lange bleibst!« – »Ja«, antwortete er. »Ich konnte nicht wissen, daß ich drei Nächte um die Hazienda schleichen mußte, ehe ich etwas erreichte.« – »Wie ging es denn?«

      Hilario erzählte nun, was er getan hatte. Der Neffe war an Blut und Mord gewöhnt, aber er schüttelte sich doch.

      »Brr!« sagte er. »Das ist fürchterlich!« – »Was denn?« fragte der Alte im gleichmütigsten Ton. – »Ein so vielfacher Mord!« – »Pah! Jeder Mensch muß sterben!« – »Aber auf welche Weise!« – »Unsinn! Diese Leute haben den schönsten Tod, den es geben kann. Sie legen sich hin und schlafen schmerzlos ein.« – »Bist du auch sicher, daß keiner übrigbleibt?« – »Von der Familie sicher keiner.« – »Und die anderen, die um das Geheimnis wissen, haben wir ja unten.« – »Einige noch nicht. Wir bekommen sie aber auch.« – »Wann?« – »Baldigst. Die Gelegenheit dazu wird sich mir in Mexiko bieten.« – »Wann wirst du abreisen?« – »Sogleich, nachdem ich gegessen habe.«

      Der Neffe macht ein sehr erstauntes Gesicht.

      »Sogleich?« fragte er. »Bist du denn nicht müde?« – »Außerordentlich. Aber ich habe drei Tage verloren. Ich muß fort. Reiten kann ich nicht. Ich würde vor Schlaf vom Pferd fallen.« – »So nimmst du wohl die alte Klosterkarosse?« – »Ja. Mache sie bereit und spanne vor dem hinteren Tor an. Es braucht nicht ein jeder zu wissen, daß ich sofort wieder verreise.«

      Hilario aß, kleidete sich um und gab dann dem Neffen die Verhaltungsmaßregeln, die er für nötig hielt. Darüber vergingen doch noch einige Stunden, und dann fuhr er heimlich ab.

      Sein Neffe horchte dem Wagen nach, so lange er die Räder desselben knarren hören konnte, dann begab er sich in die Stube des Onkels zurück, um sich die Schlüssel zu holen, da er ja die geheimnisvollen Gefangenen bedienen mußte. Auf dem Weg nach dem Studierzimmer des Paters mußte er durch den vorderen Hof. Das Tor desselben stand noch offen. Soeben trat ein Mann herein, der auf ihn zukam.

      »Ist der Pater Hilario zu Hause?« fragte er. – »Nein. Ah, Señor, Ihr seid es?«

      Als der Mann hörte, daß er erkannt sei, sah er sich auch den Neffen an und sagte dann:

      »Ah, du bist es selbst, Manfredo?« – »Ja, Señor.« – »Also dein Oheim ist fort?« – »Ja.« – »Wann?« – »Soeben.« – »Donnerwetter! Warum so spät?« – »Er konnte nicht eher, doch meinte er, daß er noch zur rechten Zeit kommen werde.« – »Das mag sein. Kannst du in sein Zimmer?« – »Ja, ich wohne ja dort, wenn er verreist ist.« – »Laß uns hingehen, aber so, daß uns niemand sieht. Ich habe sehr Wichtiges mit dir zu reden.«

      Unterdessen hatte der Schwarze Gerard mit seinen beiden Vaqueros die Stadt erreicht und sich dort nach der besten Venta erkundigt. Sie wurde ihm gezeigt. Er stieg dort ab und fragte den Wirt, ob er hier einen Raum zum Übernachten bekommen könne. Dies wurde ihm bejaht, und er bekam ein Zimmerchen angewiesen, das das beste des Hauses sein sollte, aber schon mehr einem Ziegenstall oder Taubenschlag glich.

      Er aß einige Bissen und machte sich dann auf, nach dem Kloster rekognoszieren zu gehen. Er löschte also sein Talglicht aus und öffnete die Tür. Sie traf einen Menschen, der soeben im Dunkeln draußen vorüber wollte.

      »Himmeldonnerwetter!« rief der Getroffene. – »Kann nicht dafür«, antwortet er. »Nehmt Euch in acht!« – »Was? Ich in acht? Alle Teufel! Da hast du es!«

      Bei diesen Worten erhielt Gerard eine Ohrfeige, daß er meinte, das Feuer springe ihm aus den Augen.

      »Hölle und Tod!« rief er. »Mensch, was wagst du?«

      Er packte den anderen mit der Linken und gab ihm mit der Rechten eine Ohrfeige, die wenigstens ebenso kräftig war wie diejenige, die er erhalten hatte.

      »Was? Mir eine Schelle?« rief der andere. »Da!«

      Zugleich erhielt Gerard eine zweite Ohrfeige.

      »Und da!« rief auch er.

      Sein Gegner erhielt ebenso die zweite. Sie hielten sich fest gepackt. Keiner vermochte den anderen niederzuringen oder sich von ihm loszumachen; aber keiner vermochte auch, des Dunkels wegen, sich des rechten Armes seines Gegners zu bemächtigen. Und da sie beide zu stolz waren, um nach Hilfe zu rufen, so hörte man nur die Ausrufe: »Da! Hier! So! Noch eine! Da ist sie!« und dabei klatschte es herüber und hinüber, daß es eine Art hatte.

      Das mochte aufgefallen sein, denn es öffnete sich in der Nähe eine Tür, und es trat ein junger, wie es schien, vornehmer Mann heraus, der in ein reiches, mexikanisches Kostüm gekleidet war und ein Licht in der Hand hielt.

      »Was geht hier vor?« fragte er erstaunt, als er die beiden Männer erblickte, die sich mit den linken Fäusten gepackt hielten und mit ihren Rechten in diesem Augenblick zu gleicher Zeit zur Ohrfeige ausholten. – »Oh«, antwortete der andere, »ich will diesem Kerl nur noch seine neunte Maulschelle geben!« – »Und ich diesem Menschen seine zwölfte!« antwortete Gerard. – »Warum denn, Geierschnabel?« fragte der junge Mann erstaunt.

      Sein Licht brannte nicht hell genug, darum hatten sich die beiden Kampfhähne nicht sogleich erkannt. Jetzt aber ließ Gerard sofort los und rief:

      »Geierschnabel? Was? Ist das möglich?«

      Und Geierschnabel drehte seinen Gegner nach dem Licht herum und rief:

      »Heiliges Bombenwetter! Da geschehen ja Zeichen und Wunder! Ist es denn möglich, daß ich dich haue?« – »Und daß ich dich ohrfeige!« – »Zwölfe habe ich bekommen!« – »Und ich acht!« – »So habe ich nur elf. Ja, nun weiß ich, warum ich gar nichts machen konnte! Wer so einen Kerl gegen sich hat, der muß froh sein, daß er nicht gleich bei der ersten durch die Mauer fliegt!« – »Du hast dich ebenso tapfer gehalten. Aber wenn ich nicht so lange krank darniedergelegen hätte, wäre es doch noch anders gekommen.« – »Woher kommst du denn?« – »Von del Erina.« – »Ah, von daher!« – »Und du?« – »Aus der Hauptstadt.«

      Jetzt mischte sich auch der junge Mann in das Gespräch.

      »Wie? Diese Señores kennen sich?« fragte er lachend. – »Ja«, antwortete Geierschnabel. – »Und sind Freunde, trotzdem sie sich ohrfeigen?« – »Dicke Freunde sogar!« – »So darf ich wohl fragen, wer dieser Señor ist und wie Ihr beide dazu kommt, Euch in dieser Weise zu begrüßen.« – »Hölle und Teufel, das ging sehr einfach zu. Er wollte aus seiner Stube treten, eben als ich vorüberging. Da schmiß er mir die Tür gerade an die Nase. Ich gab ihm eine Ohrfeige und er mir eine Maulschelle. Nun wechselten wir ab: Er bekam eine Maulschelle und ich eine Ohrfeige. So haben wir uns amüsiert, bis Sie Licht in die Sache brachten, Señor Kurt. Aber wer es ist, das wollen wir drinnen sagen und nicht hier auf dem Gang, wo ein jeder Lump die Ohren herhalten kann. Komm, Alter!«

      Geierschnabel faßte Gerard an und schob ihn in die Stube, aus welcher Kurt getreten war. Nachdem er die Tür sorgfältig verschlossen hatte, zeigte er auf die riesige Gestalt Gerards und fragte den anderen:

      »Señor Leutnant, werden Sie vielleicht erraten können, wer dieser famose Kerl da ist?«

      Kurt betrachtete sich den Jäger lächelnd und antwortete:

      »Mit einiger Unterstützung wird es mir vielleicht möglich sein. Kenne ich den Namen dieses Herrn?« – »Sogar sehr gut.« – »Er sagte, daß er lange krank gelegen habe. Wohl auf Fort Guadeloupe?« – »Ja.« – »Nun, so darf ich mir nur diese Gestalt betrachten, so weiß ich sofort, wer er ist: der Schwarze Gerard. Nicht?« – »Erraten! Ja, erraten! Und nun, Gerard, mache es


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