Winnetou 1. Karl May
ist keine Rede. Ereifert Euch nicht so! Ich gebe Euch mein Wort, daß ihn die Vergeltung so sicher treffen wird, wie jede Kugel aus meiner Liddy ihr Ziel erreicht. Die Apachen werden dafür sorgen.«
»Und uns trifft dann die Strafe mit!«
»Sehr wahrscheinlich. Aber meint Ihr, daß wir dies dadurch verhindern können, daß wir Rattler töten? Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Die Apachen sehen nicht ihn allein, sondern auch uns als Mörder an und werden uns ganz gewiß als solche behandeln, wenn sie uns in ihre Hände bekommen.«
»Auch wenn wir uns seiner entledigen?«
»Auch dann. Sie schießen uns nieder, ohne zu fragen, ob er bei uns ist oder nicht. Aber wie wolltet Ihr Euch seiner wohl entledigen?«
»Ihn fortjagen.«
»Ja, darüber haben wir uns freilich auch schon beraten und sind zu der Ansicht gekommen, daß wir erstens kein Recht haben, ihn fortzujagen und dies, selbst wenn wir das Recht hätten, aus Klugheitsrücksichten nicht tun würden.«
»Aber, Sam, ich begreife Euch nicht! Wenn mir jemand nicht paßt, so trenne ich mich von ihm. Und nun gar ein Mörder! Sind wir etwa gezwungen, so einen Schurken, der noch dazu ein Trunkenbold ist und uns in immer neue Verlegenheiten bringen kann, noch länger bei uns zu dulden?«
»Ja, leider sind wir das. Rattler ist ebenso wie ich, Stone und Parker für Euch engagiert worden, und nur diejenigen, die ihn angestellt haben und besolden, können ihn entlassen. Wir müssen uns da streng nach dem Rechte halten.«
»Streng nach dem Rechte? Einem Menschen gegenüber, der Tag für Tag die göttlichen und menschlichen Gesetze mit Füßen tritt!«
»Wenn auch! Was Ihr da vorbringt, ist ja alles gut; aber man darf keinen Fehler begehen aus dem Grunde, weil ein Anderer ein Verbrechen begangen hat. Ich sage Euch, daß die Obrigkeit sich vor allen Dingen rein zu halten hat; aus diesem Grunde haben wir Westmänner, die wir gegebenen Falles die Obrigkeit spielen müssen, alle Veranlassung, unsern Ruf unbefleckt zu erhalten. Doch auch davon abgesehen, will ich Euch fragen, was Rattler wohl dann täte, wenn er von uns fortgejagt würde?«
»Das ist seine Sache!«
»Und die unserige ebenso! Wir befänden uns in jedem Augenblicke in Gefahr, da er höchst wahrscheinlich versuchen würde, sich an uns zu rächen. Es ist besser, ihn bei uns zu behalten, wo wir ihn beaufsichtigen können, als daß wir ihn fortjagen und er uns fortgesetzt umschleicht und jedem, dem er will, eine Kugel in den Kopf jagen kann. Ich denke, daß Ihr nun auch unserer Meinung seid.«
Er sah mich dabei mit einem Blicke an, den ich recht wohl verstand, denn er blinzelte dann in bezeichnender Weise zu Rattlers Genossen hinüber. Wenn wir gegen diesen vorgingen, so stand zu befürchten, daß sie gemeinschaftliche Sache mit ihm machen würden. Das sagte ich mir auch, denn es war ihnen nicht zu trauen. Darum antwortete ich:
»Ja, nachdem Ihr mir die Sache in dieser Weise klar gemacht habt, sehe ich wohl ein, daß wir sie laufen lassen müssen, wie sie läuft. Nur machen mir die Apachen Sorge, denn es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß sie kommen werden, um sich zu rächen.«
»Sie kommen, und zwar um so sicherer, als sie nicht ein Wort der Drohung ausgesprochen haben. Sie haben nicht nur außerordentlich stolz, sondern auch sehr klug gehandelt. Hätten sie augenblicklich Vergeltung geübt, so wäre davon, selbst wenn wir es geduldet hätten, was keinesfalls so sicher war, doch nur Rattler betroffen worden. Sie hatten es aber auf uns alle abgesehen, weil er zu uns gehörte und weil sie uns infolge unserer Vermessungen als Feinde betrachten, die ihnen ihr Land und Eigentum rauben wollen. Darum haben sie sich in so außerordentlicher Weise beherrscht und sind davongeritten, ohne einen Finger gegen uns zu erheben. Desto sicherer aber werden sie zurückkehren, um uns alle in ihre Hände zu bekommen. Glückt ihnen das, so können wir uns auf einen bösen Tod gefaßt machen, denn das Ansehen, in welchem dieser Klekih-petra bei ihnen gestanden hat, erfordert eine doppelt und dreifach schwere Rache.«
»Und das alles um eines Trunkenboldes willen! Sie werden jedenfalls in größerer Anzahl kommen.«
»Natürlich! Es hängt da alles von der Frage ab, wann sie kommen werden. Wir hätten ja Zeit, zu fliehen, müßten aber alles im Stiche und die beinahe fertige Arbeit unvollendet lassen.«
»Das umgehen wir, wenn es nur halbwegs möglich ist.«
»Wann glaubt Ihr, fertig werden zu können, wenn Ihr Euch recht sputet?«
»In fünf Tagen.«
»Hm! So viel ich weiß, gibt es hier in der Nähe kein Apachenlager. Ich würde die nächsten Mescaleros wenigstens drei starke Tagesritte von hier suchen. Wenn ich mich hierin nicht irre, so haben Intschu tschuna und Winnetou, weil sie die Leiche transportieren, vier Tage zu reiten, ehe sie Sukkurs bekommen können; drei Tage dann nach hier zurück, das ergibt sieben Tage, und da Ihr glaubt, in fünf Tagen fertig zu werden, so meine ich, daß wir es wagen dürfen, mit der Vermessung fortzufahren.«
»Und wenn Eure Berechnung nicht richtig ist? Es ist ja möglich, daß die beiden Apachen die Leiche einstweilen an einen sichern Ort geschafft haben und dann zurückkommen, um aus dem Hinterhalte auf uns zu schießen. Ebenso ist es möglich, daß sie viel eher auf einen Trupp der Ihrigen treffen; ja es läßt sich sogar annehmen, daß sie Freunde in der Nähe haben, denn es sollte mich wundern, wenn zwei Indianer, noch dazu Häuptlinge, sich ohne alle Begleitung so weit von ihrem Wohnsitze entfernten. Und da die Zeit der Büffeljagd gekommen ist, so wäre auch die Möglichkeit vorhanden, daß Intschu tschuna und Winnetou zu einem Jagdtruppe gehören, der sich in der Nähe befindet und von welchem sie sich aus irgend einem Grunde auf nur kurze Zeit entfernt haben. Das alles ist zu bedenken und zu beherzigen, wenn wir vor- und umsichtig sein wollen.«
Sam Hawkens kniff das eine seiner beiden kleinen Aeuglein zu, zog eine verwunderte Grimasse und rief aus:
»Good lack, was Ihr doch klug und weise seid! Wahrhaftig, heutzutage sind die Küchlein zehnmal gescheiter als die alte Henne, wenn ich mich nicht irre. Aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, so war das, was Ihr vorgebracht habt, gar nicht so dumm gesagt. Ich gebe Euch vollständig recht. Wir müssen unsere Augen auf alle diese möglichen Fälle richten. Darum ist es notwendig, zu erfahren, wohin die beiden Apachen sich gewendet haben. Ich werde ihnen also mit Tagesanbruch nachreiten.«
»Und ich reite mit,« sagte Will Parker.
»Ich auch,« erklärte Dick Stone.
Sam Hawkens sann eine kurze Weile nach und antwortete ihnen dann:
»Ihr bleibt hübsch da, ihr Beide. Ihr werdet hier gebraucht. Verstanden?«
Er sah dabei nach Rattlers Freunden hinüber, und er hatte recht. Wenn diese unzuverlässigen Menschen allein bei uns blieben, so könnte es nach ihres Anführers Erwachen leicht unliebsame Szenen geben. Da war es besser, Stone und Parker blieben da.
»Aber du kannst doch nicht allein reiten!« sagte der letztere.
»Ich könnte schon, wenn ich wollte; aber ich will nicht,« erwiderte Sam. »Werde mir einen Begleiter aussuchen.«
»Wen?«
»Dieses junge Greenhorn hier.«
Dabei deutete er auf mich.
»Nein, der darf nicht fort,« entgegnete da der Oberingenieur.
»Warum nicht, Mr. Bancroft?«
»Weil ich ihn brauche.«
»Möchte doch wissen, wozu!«
»Zur Arbeit natürlich. Wenn wir in fünf Tagen fertig werden wollen, müssen wir alle unsere Kräfte anspannen. Ich kann keinen missen.«
»Ja, alle Kräfte anspannen. Bisher habt Ihr das nicht getan; es hat vielmehr einer für alle arbeiten müssen; nun mögen sich auch einmal alle für diesen Einen anstrengen.«
»Mr. Hawkens, wollt Ihr mir etwa Vorschriften machen? Das möchte ich mir verbitten!«
»Fällt mir nicht ein. Eine Bemerkung ist noch lange keine Vorschrift.«
»Klang aber genau so!«
»Mag sein; habe auch gar nichts