Winnetou 3. Karl May
geraubten Gegenstände beifügte, so wird mir dies doch nichts helfen, denn es gibt für den geriebenen Verbrecher Mittel und Wege genug, sich sicher zu stellen.«
»Ich möchte wohl einmal eine solche Veröffentlichung lesen!«
»Das könnt Ihr. Ich habe die betreffende Nummer des Morning-Herald stets bei mir, um für etwaige Fälle bei der Hand zu sein.«
Er griff in die Tasche und zog das Blatt hervor, um es mir herüberzureichen. Ich las das Verzeichnis während des Reitens und mußte dabei wieder einmal eine jener höheren Fügungen bewundern, welche der Zweifler Zufall zu nennen pflegt. Als ich zu Ende war, faltete ich das Papier zusammen und gab es ihm zurück.
»Wie nun, wenn ich im Stande wäre, Euch den Täter oder wenigstens einen der Täter genau zu bezeichnen?«
»Ihr, Charley?« fragte er schnell.
»Und Euch wenigstens zu einem großen Teile Eures Verlustes wieder zu verhelfen?«
»Treibt keinen üblen Scherz, Charley! Ihr waret in der Prairie, als die Tat geschah; wie sollte Euch das möglich sein, was die, welche am nächsten beteiligt waren, nicht zustande brachten?«
»Bernard, ich bin ein rauher Gesell aber wohl dem Menschen, der sich aus der glücklichen Jugendzeit seinen Kinderglauben hinüber in die Zeit des ernsten Mannesalters gerettet hat. Es gibt ein Auge, welches über alles wacht, und eine Hand, welche selbst die bösesten Anschläge für uns zum Guten lenkt, und für dieses Auge, für diese Hand liegen Louisville und die Savanne eng zusammen. Da seht einmal her!«
Ich zog die Beutel hervor und reichte sie ihm hin. Er nahm sie mit fieberhafter Aufregung in Empfang, und als er sie öffnete, sah ich seine Hände zittern. Kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, so stieß er einen Ruf der freudigsten Überraschung aus:
»Herr, mein Gott, unsere Diamanten! ja, sie sind‘s, sie sind‘s wahrhaftig! Wie kommt – — —«
»Stopp!« unterbrach ich ihn. »Beherrscht Euch, mein Junge! Die da hinter uns brauchen nicht ganz genau zu wissen, welche Art von Unterhaltung wir führen! Wenn es Eure Steine sind, wovon ich allerdings selbst vollkommen überzeugt bin, so behaltet sie, und damit Ihr nicht etwa gar mich selbst für den Spitzbuben haltet, will ich Euch erzählen, wie ich zu ihnen gekommen bin.«
»Charley, was denkt Ihr denn! Wie könnt Ihr meinen —«
»Sachte, sachte! Ihr schreit ja, als ob sie es drüben in Australien hören sollten, was wir hier mit einander zu verhandeln haben!«
Der gute Bernard befand sich in einem allerdings leicht erklärlichen Freudenrausche; ich gönnte ihm sein Glück von ganzem Herzen und bedauerte nur, daß es nicht möglich war, mit den Steinen ihm auch den Vater zurückzugeben.
»Erzählt, Charley! Ich bin begierig, zu hören, wie meine Steine in Eure Hände gekommen sind,« bat er mich.
»Ich hatte auch den Täter beinahe fest. Er war mir so nahe, daß ich ihn mit diesem meinem Fuße von der Lokomotive stieß, auf welcher ich stand, und Sam ist hinter ihm hergewesen, freilich vergeblich. Aber ich hoffe, ihn wieder zwischen die Hände zu bekommen, und zwar bald, wo möglich da drüben über dem Rio Pecos; er hat sich dorthin gewandt, jedenfalls einer neuen Gaunerei wegen, der wir wohl auch noch auf die Spur kommen werden.«
»Erzählt, Charley, erzählt!«
Ich berichtete ihm den Bahnüberfall durch die Ogellallahs mit allen dabei vorgekommenen Einzelheiten und las ihm dann auch den Brief vor, welchen Patrik an Fred Morgan geschrieben hatte. Er hörte mit der größten Aufmerksamkeit zu und meinte dann am Schlusse:
»Wir fangen ihn, Charley, wir fangen ihn, und werden dann auch erfahren, wohin das Übrige gekommen ist!«
»Fangt nicht wieder an zu schreien Bernard! Wir sind zwar um einige Pferdelängen voraus, aber hier im Westen muß man selbst beim einfachsten Dinge verschlossen sein, da Unklugheit niemals zu irgend einem Nutzen führt.«
»Und Ihr wollt mir die Steine wirklich überlassen, ohne alle Bedingung, ohne jedweden Anspruch?«
»Natürlich, sie sind ja Euer!«
»Charley, Ihr seid – — – doch hört« – er griff in den Beutel und zog einen der größeren Steine hervor – »tut mir den Gefallen und nehmt diesen da als Andenken von mir an!«
»Pshaw! Werde mich hüten, Bernard! Ihr habt nichts zu verschenken, gar nichts, denn diese Steine gehören nicht Euch allein, sondern auch Eurem Bruder.«
»Allan wird gutheißen, was ich tue!«
»Das ist möglich, ja, ich bin sogar überzeugt davon; aber bedenkt, daß diese Steine noch lange nicht alles sind, was Ihr verloren habt. Behaltet ihn also, und wenn wir einmal scheiden so gebt mir etwas Anderes, was Euch nichts kostet und mir als Andenken dennoch lieb und teuer ist! Jetzt aber reitet einmal in dieser Richtung fort, ich werde Sam erwarten!«
Ich ließ ihn mit seinem Glück allein und blieb halten, um die Truppe an mir vorüber zu lassen, bis Sans-ear mir zur Seite war.
»Was hattest du denn da vorn so Außerordentliches zu verhandeln, Charley?« fragte er mich. »Ihr habt ja die Luft mit den Armen geprügelt, daß es zum Beispiel ganz so aussah, als ob ihr Ballett reiten wolltet.«
»Weißt du, wer der Mörder von Bernards Vater ist?«
»Nun? Du hast es doch nicht etwa herausbekommen?«
»Doch!«
»Well done! Du bist ein Mensch, dem alles glückt. Wenn ein Anderer jahrelang vergeblich nach etwas ringt und jagt, so greifst du im Traume in die Luft und hast es. Nun, wer ist es? Ich hoffe, daß du dich nicht verrechnest!«
»Fred Morgan.«
»Fred Morgan – dieser?! Charley, ich will dir Alles glauben, dies aber nicht. Morgan ist ein Schuft unter den Westmännern, doch nach dem Osten kommt er nicht.«
»Ganz, wie du willst. Die Steine aber gehören Marshall; ich habe sie ihm bereits wiedergegeben.«
»Ha, wenn du das getan hast, so mußt du freilich ganz außerordentliche Überzeugung haben. Wird sich freuen, der arme Junge! Und nun gibt es einen Grund mehr, mit diesem Morgan einige Worte im Vertrauen zu reden; ich hoffe, seine Kerbe bald einschneiden zu können.«
»Und wenn wir ihn finden und mit ihm fertig sind, was dann?«
»Was dann? Hin, ich bin nur seinetwegen nach dem Süden, und wäre ihm nachgegangen bis nach Mexiko, Brasilien und dem Feuerlande. Finde ich ihn aber hier, so ist es mir ganz gleich, wohin ich gehe. Vielleicht hätte ich zum Beispiel Lust, einmal hinüber in das alte Kalifornien zu laufen, wo es so prächtige Abenteuer geben soll.«
»Für diesen Fall gehe ich mit. Ich habe noch einige Monate Zeit und möchte den guten Bernard nicht allein diesen weiten und gefährlichen Weg machen lassen.«
»Well, so sind wir einig. Sorge nur dafür, daß wir erst glücklich aus diesem Sande und von dieser Gesellschaft kommen. Sie gefällt mir jetzt viel weniger als heut am Morgen, und besonders will mir das Gesicht des jungen dort verwünscht schlecht behagen; es ist ein Ohrfeigengesicht, und ich meine, daß ich es bereits einmal bei einer Gelegenheit gesehen habe, bei welcher eine Schlechtigkeit im Werke gewesen ist.«
»Geht mir ganz ebenso. Vielleicht besinne ich mich noch, wo ich ihm begegnet bin!«
Der Ritt wurde ohne eine besondere Unterbrechung bis abends fortgesetzt; dann machten wir Halt, versorgten unsere Pferde, aßen einige Bissen hartes Dürrfleisch und begaben uns dann zur Ruhe. Die Gefangenen waren für die Nacht gefesselt worden, und die Wache sorgte dafür, daß sie sich nicht zu befreien vermochten. Als der Morgen anbrach, ging es wieder vorwärts, und bereits am Mittag bemerkten wir, daß der Boden weniger steril wurde. Der Kaktus, welchem wir begegneten, wurde saftiger, und bereits zeigte sich hier oder da im Sande ein Halm oder ein Büschel grüngelben Grases, welches unsere Pferde mit Begierde abweideten. Nach und nach drängten sich die Halme und Büschel zusammen; die Wüste wurde zum wiesenartigen Plane, und wir mußten absteigen, um unsere Tiere zufrieden zu stellen, welche sich mit wahrem Heißhunger an dem Grün erlabten. Zuviel durften wir ihnen freilich