Der Ochsenkrieg. Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg - Ludwig  Ganghofer


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lief er an den Straßenzaun und kreischte: »Bruder? Bist du’s oder nit?«

      Marimpfel ließ das Roß ein paar Galoppsprünge machen, um sich vor dem Bruder als Hofmann zu zeigen. »Ei wohl, ich bin’s.« Dann verhielt er den Gaul und fragte von oben herab: »Wie geht’s dir allweil?«

      »Nit schlecht. Es tut’s. Hab dich lang nimmer gesehen.«

      »Ein Mistbreiter und ein Herrschaftsreiter haben Weg, die auseinand laufen.« Marimpfel wollte nichts Böses sagen, nur etwas Selbstverständliches. Und spähend beugte er sich im Sattel hin und her. »Man sieht wahrhaftig das Häusl nimmer. Wie ich Bub gewesen, hat man’s noch gesehen von der Straß. Jetzt ist alles zugewachsen. Bäum, Viech und Leut werden allweil mehrer. Bloß das Geld wird minder. Lebt die Mutter noch?«

      »Wohl! Aber mit dem Schaffen ist’s lang schon aus. Hockt allweil im Sessel. Und kein Tag, daß sie nit redt von dir. Vom Malimmes redt sie nie. Hast lang nichts mehr gehört von ihm?«

      »Vier Jahr lang nimmer. Da ist er bei den Nürembergern gewesen als Stadtknecht. Ist kein fürnehmer Dienst. Hofmann sein ist feiner. Aber die Stadt haben allweil die größeren Geldsäck. Da wird’s dem Bruder nicht schlecht gegangen haben.«

      »Das tat die Mutter wohl anhören. Magst nit ein lützel hereinkommen?«

      »Ich hab nit Zeit.«

      »Die Mutter tät sich freuen.«

      »Tu das Weibl grüßen. Herrendienst hat’s eilig.« Marimpfel straffte den Zügel des Gaules.

      »Du?« sagte der Bauer hastig. »Tust was gelten bei deinem Herren?«

      »Dem bin ich der Liebst von allen.«

      In den müden Augen des Bauern glänzte eine Hoffnung. »Da könntest bei deinem Herren für mich eine Fürbitt machen.«

      »Mareiner!« Der Spießknecht wurde kühl. »Bist Holdenzins oder Lehent schuldig blieben?«

      Der Bauer schüttelte den Kopf. »Noch allweil bin ich ein rechtschaffener Zahler gewesen Und hab den Magen geschnürt und hab ein lützel was auf die Seit gebracht.« Marimpfel wurde aufmerksam.

      »Und tätest du bei deinem Herren für mich ein gutes Wörtl reden«, sagte Mareiner, »und tät das Stift sich genügen an einem christlichen Gebot, so möcht ich mein Schupflehen auf Erbrecht kaufen.«

      Jetzt lachte Marimpfel. »Narr! Wem willst du denn was vererben? Kinder hast doch nit.«

      »Was nit ist, kann werden.«

      »Freilich, ja! Oft kriegt die Bäuerin Kinder, der Bauer weiß nit wie.«

      Dem Taubenseer flog es heiß über die Stirne. Doch er sagte ruhig: »Ist auch nit der Kinder wegen allein, die mir der Herrgott erst schenken müßt. Aber was ein richtiger Mensch ist, hängt auch ein lützel an der Ehr. Hätt ich Eigengut und wär ein Erbrechter, so dürft ich in der Gnotschaft mitreden und müßt nit allweil das Maul halten.«

      »So?« Der Spießknecht wurde heiter. »Erbrechter werden? Und den Brotladen aufreißen? Und wider die Herrschaft schreien? Und da soll ich helfen dazu.«

      In den Augen des Bauern brannte die Sehnsucht. »Bist nit mein Bruder?«

      »Richtig, ja, das hätt ich als Hofmann schier vergessen.« Und freundlich sagte Marimpfel: »Wieviel kannst dem Herrn bieten fürs Erbrecht?«

      Zögernd, an jeder Silbe klebend, sagte der Bauer: »Sechzig Pfund Pfennig. Mehr hab ich nicht.«

      »Sechzig Pfund hast? Da kannst dem Herrn bloß vierzig bieten.«

      »Wieso?«

      »Tust vergessen, daß ich dein Bruder bin? Und daß ich in Hösl und Hemd aus dem Haus gegangen? Und daß ich Anspruch hab an Acker und Wiesfrucht? Mareiner! Sechzig Pfund? Da wirst wohl dritteln müssen. Mit mir!«

      Der Bauer sah den höfischen Bruder an und wurde mauerbleich über das ganze Gesicht. Und ohne noch ein Wort zu sagen, drehte er sich um und ging durch die Wiese davon.

      Marimpfel hob sich im Sattel und rief dem Bauer lachend nach: »Gotts Gruß, Mareiner! Ich komm bald!« Dann ritt er davon.

      Der Taubenseer ging an seinem Rechen vorüber, unter schattenden Bäumen hindurch und kam zu einem grauen Balkenhaus, über das ein großes Moosdach herging, wie eines Mannes Hut ein kleines Kind bedeckt.

      Neben der Haustür saß, von Sonne umspielt, in einem grob gezimmerten Holzsessel eine alte, weißhaarige Frau mit gichtisch verkrümmten Händen, zermürbt von der schweren Arbeit eines langen, mühsamen Lebens.

      »Kindl?« sagte sie zu dem vierzigjährigen Manne. »Was hast?«

      Der Bauer biß die Zähne übereinander und schien sich auf eine Antwort zu besinnen. Dann sagte er: »Mutter! Der Marimpfel ist dagewesen.«

      »Und ist nit herein zu mir?«

      Mareiner schüttelte den Kopf und trat ins Haus.

      Ohne sich zu regen, murmelte die alte Frau vor sich hin: »Ist dagewesen. Und ist nit herein zu mir. Ein Weg, schier kaum ein halbes Vaterunser lang. Und steht am Zäunl. Und geht nit herein zu mir.« Sie hob das zerfallene Gesicht, und ihre trockenen, fast schon erloschenen Augen suchten irrend im Blau des Himmels. »Heilige Mutter! Was sagst du jetzt?«

      Geduldig blickte die alte Frau in dieses schöne, reine Blau empor und wartete auf Antwort.

      Vor sechzig Jahren, als vierzehnjähriges Dirnlein, hatte sie die Gottesmutter zur Patronin ihres Lebens erwählt, war Marienträgerin gewesen bei jedem Bittgang in und außerhalb der Kirche, hatte sich, eine Dreißigjährige, zum Ehestand segnen lassen an einem Marientag und hatte jedem der drei Buben, die sie geboren, bei der Taufe einen Festtag der Mutter Maria als segensreichen Namen in das Leben mitgegeben. Mareiner hieß Mariä Reinigung, Malimmes hieß Mariä Lichtmeß, Marimpfel hieß Mariä Himmelfahrt.

      Auf dem Moosdach gurrten die Tauben, kleine Vögel sangen in den Kronen der Bäume, es krähte der Hahn, und die Hühner gackerten, es rauschte der nahe Wildbach, die Bäume flüsterten, am Waldsaum grunzten die wühlenden Schweine — alles redete, was Natur und Leben hieß. Nur dieser schöne, blaue Himmel schwieg.

      Und als die Augen der alten Frau den Schmerz des Lichtes fühlten und wieder heruntersanken zur Erde, sah diese Mutter ihr vierzigjähriges Kindl Mareiner mit Hacke und Spaten scheu hinüberspringen zum Walde.

      Unter dem Kittel trug der Bauer einen schweren Ledersack, in den das Spargut seines Schweißes eingeschnürt war: dreiundachtzig und ein halb Pfund Pfennig in rheinischem Gold, in Silber und schwarzem Blech. Weil Mareiner einen Bruder hatte, der Hofmann war, vergrub er diesen Sack im Dickicht des Waldes zwischen den Wurzeln einer alten Fichte, die er unauffällig mit dem Messer merkte, als er den Boden geebnet und wieder mit Moos bedeckt hatte. Kein Fuchs hätte da einen Wandel der Dinge wahrgenommen.

      Während Mareiner beruhigt sein unsichtbares Werk betrachtete, erfreute sich Marimpfel auf seinem trabenden Gaul immer wieder des gleichen Rechnungsschlusses: »Von sechzig ein Drittel ist zwanzig!«

      Was konnte man im Leben nicht alles haben für zwanzig Pfund Pfennig! Der adlige Chorherr Jettenrösch bezahlte seiner Hübschlerin und Pfennigfrau für alle Lieb und Freud eines langen Jahres nur fünfzehn Pfund. Freilich war, wie die Leute munkelten, Herr Jettenrösch bei dem frummen Fräulein Rusaley nicht der einzige Zahler.

      Marimpfel lachte.

      Von den Herren, die klug sind, kann man lernen. Gute Kameraden und Gnoten müssen teilen können ohne Neid bei Trank und Schüssel, bei Mühsal und Pfennigsack. Warum nicht auch bei der süßesten von allen Freuden? Wie mehr sich teilen in des Lebens Kosten, um so billiger wird des Lebens Rausch.

      Und Marimpfel wußte nun eine, die ihm gefiel. Warum sollte man die nicht zum Pfennigweibl machen können? Jungferntrutz ist wie Maienschnee. Um ein freudenreiches Leben ist alles feil. Und wie gut ihr das stehen muß, wenn sie das schwere Schwarzhaar im grünen Schleier hat! Und reitet ein hoher Fürst durch Berchtesgaden,


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