Die Ahnen. Gustav Freytag
rief Gottfried: »Und zugleich begehrt er Frieden mit dem Frankenherrn?«
»Vielleicht meint er, daß der Friede wertvoller wird, wenn er sich furchtbar erweist. Willst du den Kater zwingen, das Mausen zu meiden?« versetzte Wolfram.
»Du aber,« begann Gottfried nach einer Weile, »hast nicht bedacht, was du diesen hier bereitest. Wenn dir das Unglaubliche gelingt, deinen Herrn zu entledigen, dann wird der grimmige Sorbe die Frauen zurückholen; breit ist unsere Spur und langsam der Gang.«
»Auch du, der Christenmann, würdest ihnen nicht zu gering sein für ihr Götterfest«, antwortete Wolfram nachdenklich und warf einen mitleidigen Blick auf die Kinder. »Sicherlich kann Eile retten; droht euch Gefahr von rückwärts, so ist‘s nicht, bevor die Sonne morgen sinkt.« Er sah Gottfried mißtrauisch an. »Unsere Alten sagen, daß die Christenpriester viele geheime Künste verstehen, vielleicht gefällt es dir, den Sorbenrossen die Kraft zu nehmen oder ein Blendwerk zu erregen, das den Spähern die Spur verwirrt.«
»Kein Mensch auf der Männererde vermag das, nur der Christengott allein,« sagte Gottfried, »seinem Schutz will ich uns empfehlen.«
Wolfram nickte beistimmend. »Immer habe ich geglaubt, daß euer Gott viel vermag; ich gehöre gar nicht zu denen, welche den Christenglauben verachten. Christengebet und Heidengebet mag kräftig sein, um das Blut zu stillen, wenn man sich geschnitten hat, oder um Regen vom Himmel zu ziehen, wenn die Saaten verdorren. Ich aber merke, daß die gar nicht im Glück leben, welche am eifrigsten den Unsichtbaren zurufen. Darum vertraue ich am liebsten auf mich selbst. Und hier löse ich mich von euch. Laß nicht die Weiber und niemand sonst merken, wohin ich von euch schweife. Und höre, damit ich dir meine gute Meinung erweise, lasse ich dies Pferd zurück, möglich, daß ich‘s bereue, möglich auch, daß ein Tier mich hindert, denn nicht hoch zu Roß gedenke ich durch die Holzringe der Sorben zu traben. Die Trude trägt ein Handbeil und vermag die Kuh zu schlachten. Fahr‘ wohl, Fremder, sehen wir uns wieder, so ist es, hoffe ich, im Lande der Thüringe.«
Der Mann blickte noch einmal auf die flüchtige Schar, über die Ringellocken der Kinder und die verblichenen Gesichter der Frauen, dann stieg er vom Pferde und wartete, bis die Treiberin der Kuh an ihm vorüberkam. »Höre ein vertrauliches Wort, Trudis,« sprach er leise, »ich gehe nach Jagdbeute über die Hügel, das Pferd lasse ich euch zurück; der Braune ist freundlich gegen die Kinder, hänge die Schwachen darauf, so mag er euch nützen, denn Eile ist ratsam. Bin ich zur Nacht nicht zurück, so sorge du um die Wache und schüre das Feuer, damit ihr das Ungeziefer des Waldes abwehrt.«
Das Weib sah ihn unwillig an: »Diesen Sprung lehre deine Jungen, sagte der Fuchs, als er zur Häsin sprang und ihr den Kopf abbiß. Du Waldläufer verläßt die Waffenlosen, wie sollen diese sich retten mit dem Stabe in der Hand und den Kindern auf dem Rücken?«
»Manchen Kriegsmann weiß ich, der deine Zunge mehr fürchtet als einen Schwertschlag; versuche sie auch einmal gegen die Bären«, versetzte der Mann begütigend und ging in einer Anwandlung von Unsicherheit noch einige Schritte mit. »Denn ich muß scheiden, Gertrud«, sagte er endlich vertraulich. »Achte auch auf den Weg, damit ich euch wiederfinde; der euch führt, ist nur ein Fremder. Dies hier ist der Rennweg der Sorben, auf dem sie zum Raube nordwärts reiten, er führt über Berg und Tal, zu beiden Seiten rinnen die Quellen abwärts, ihr braucht auf ihm nicht waten und nicht überbrücken. Wenn ihr eilt, kommt ihr heut im Sonnenlicht zum großen Eichwald an die Saale, da wo der Sorbenbach hineinfällt, der das Grenzwasser des Ratiz gegen uns ist. Durch den Sorbenbach führt eine Furt, seht zu, daß ihr euch vor Abend hindurchwindet bis eine Stunde westwärts zu dem Eibengehölz, aus dem ein heiliger Quell springt, dort steht auf der Höhe ein alter Mauerturm aus Holz und Stein seit der Väter Zeit als eine Grenzwarte, aber die Slawen haben ihn zerrissen; dort, rate ich, rastet im Gemäuer. Morgen aber lauft ihr neben dem Saalwasser nordwärts, die Strömung zur Rechten, die Wälder zur Linken; über euren Weg rinnen kleine Bäche, sie sind leicht zu durchwaten und der Pfad ist eben, aber es hausen diebische Slawen am Ufer. Gelingt es euch, sie zu meiden, so kommt ihr endlich zu dem großen Bach, den sie das schwarze Wasser nennen, da wo es in die Saale läuft, darüber müßt ihr auf dem Baumstamme flößen, denn das Wasser ist tief. Hinter der Überfahrt dürft ihr in keinem Fall längs der Schwarza aufwärts streben, denn dort sind wilde Klippen und unheimlicher Bannwald, der den Nachtgöttern geweiht ist, und jedermann fürchtet das Tal wegen der Gespenster. Ihr aber wandelt weiter nordwärts an der Saale bis zu dem Hügel mit einem alten Turmgerüst, in diesem haltet die zweite Nachtrast. Von da führt der Weg gerade dahin, wo jetzt die Sonne untergeht, zwei Tage lang.«
»Wiederhole den Sang, damit ich ihn festhalte«, antwortete das Mädchen aufmerksam. Wolfram gab aufs neue seinen Bericht, legte die Zügel des Pferdes in die Hand einer Frau und sah noch zu, wie drei Kinder jauchzend hinaufstrebten. Dann suchte er eine harte Wegstelle und schwang sich mit weitem Satze in das Gehölz.
In großer Versammlung der Sorben teilte der Opferpriester dem gebundenen Ingram das Schicksal mit, welches ihm beschlossen war. Feierlich waren die Mienen der Sorbenkrieger, als der Opfermann sprach und der Weißbart den Spruch deutete, sie spähten in das Antlitz des Gebundenen, wie er die Botschaft aufnehmen würde, und sahen mißvergnügt, daß sein Auge nicht starr wurde, sondern zornig leuchtete, als er dem Ratiz zurief: »Dein Spruch ist tückisch und unehrlich, nicht wie ein Krieger, sondern wie ein altes Weib suchst du blutige Rache an dem Wehrlosen!«
»Dem Gezirp der Grillen gleichen die Schmähworte eines Gebundenen«, versetzte Ratiz und schritt stolz an ihm vorüber. »Zäumt mir den Raben, daß ich ihn reite; das Opfertier führt in den Stall.« Miros und einige von dem Gesinde führten den Gefangenen in ein leeres Blockhaus auf der Höhe. »Gefällt dir‘s, Ingram,« sagte der Sorbe, »mir zu geloben, daß du aus dem Raume nicht weichst, so lasse ich dir die Füße frei, damit du sie regest.«
Ingram dankte ihm mit einem Blick, aber er sprach: »Von einem Mann des Ratiz nehme ich keine Gunst, auch wenn sie freundlich geboten wird.«
»Dann bindet ihm die Beine und zwängt ihn an den Boden.« Im Nu war Ingram geschnürt, zur Erde gelegt und mit dem Leibe an einen schweren Holzklotz gebunden. Der Sorbe verließ den Raum, ein junger Krieger hielt die Wache. Ingram lag am Boden, ein aufgegebener Mann, und träge war der Zug seiner Gedanken. Nur einmal hob er sich, als er Hufschlag hörte, er rief ein lautes Hara, das Wiehern eines Rosses antwortete, und er merkte den Hieb des treibenden Reiters. Dann ward es wieder still, durch eine kleine Luke der Holzwand fiel das Sonnenlicht in den Raum, immer näher zur Gegenwand schob sich das goldene Viereck; er sah gleichmütig darauf, ihm waren die Stunden langweilig. Neben dem Lichtloch hatte eine Schwalbe ihr Nest gebaut, die Vögel flogen aus und ein, die Jungen flatterten in der Öffnung und ließen sich von den Alten füttern. Er dachte daran, daß auch in seinem Hofe die Schwalben unter dem Dach bauten, und zuckte, wie von einem Messer gestochen; aber der Gedanke zerrann wieder.
So kam der Abend, der Wächter brachte Brot und Wasser, er nahm dankend an, daß der Mann ihm den Krug zum Munde führte, das Brot wies er zurück. Das Gold der Sonne wurde feuriger, dann schwand es in mildem Rot, zum letztenmal kamen die Schwalben herein, zwitscherten und zankten im engen Nest und er sah durch die Luke, wie die Abendröte den Himmel bedeckte, bis auch sie im matten Grau verschwand. Dunkel erfüllte den Raum; der Mann, welcher an der Tür lagerte, zog ein Heubund unter seinen Kopf und entschlief. Auch Ingram rückte das müde Haupt auf den Klotz, soweit die geschnürten Arme erlaubten, die Augen sanken ihm zu und undeutlich wurde ihm seine Umgebung.
Da rasselte es leise draußen am Boden, etwas strich längs dem untersten Balken hin, wie der Igel, wenn er längs der Hecke fährt. Ingram richtete den Leib auf, seine Seele trat gespannt in Auge und Ohr und aus seinen Lippen drang ein summender Laut.
Zum zweiten Male knarrte der Igel längs der Wand und zum zweiten Male gab Ingram Antwort und starrte auf das Luftloch in seiner Nähe, er sah, wie etwas durch die Öffnung hineingeschoben wurde, es fuhr auf und ab wie an einer Schnur und klang leise an der Wand. Er wußte, es war ein Messer. Die Arme waren ihm gebunden und die Füße gebunden, vielleicht mochte er es mit den Füßen erreichen und festhalten, wenn es ihm gelang, den schweren Holzklotz, an den er gefesselt lag, zu rücken. Er stemmte und schob, dann faßte er das Messer zwischen die geschnürten Füße und mühte sich, bis