Die Ahnen. Gustav Freytag

Die Ahnen - Gustav Freytag


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zunächst dem Sitz des Abtes saß der Dekan Tutilo, welcher Präpositus des Klosters war, ein hoher breitschultriger Mann mit jähzornigen Augen und buschigen Augenbrauen, er hielt die Hände nachlässig gefaltet und sah ungeduldig auf den Fremden, dessen Andacht kein Ende nehmen wollte. Klein war die Zahl der Väter, welche das Gebet abwarteten, nur wenige der Ehrwürdigsten saßen in den Stühlen, unter ihnen Heriger, der Kellermeister, ein fröhlicher Mann und Liebling der Brüder, dem alle gern dienten und der jeden mit freundlicher Rede gefügig machte, dann der Pförtner Walto, welcher Sprecher des Klosters war, als kluger Herr wohlbekannt im ganzen Lande; auch die beiden Alten, Bertram und Sintram, zwei Sachsen, welche mit ihren runden Köpfen und weißen Haarkronen einander ähnlich sahen wie Zwillinge und deshalb von den Mönchen im Scherz die Stiefel genannt wurden; sie waren an einem Tage ins Kloster gekommen, wohnten in derselben Zelle und arbeiteten beide in den Gärten; was einer wollte, gefiel auch dem anderen, und sie wandelten stets zusammen, obgleich sie schweigsam waren und auch miteinander nicht viel redeten.

      Als der Beter sich endlich erhob und mit gesenktem Haupt vor den Dekan trat, ergriff dieser seine Hand, führte ihn in die Mitte des Chors und neigte ihm das Ohr zu, in welches der Fremde die geheimen Worte sprach, an denen die Priester und Würdenträger von der Regel Benedikts einander erkannten. »Gesegnet sei dein Eingang, mein Bruder Reinhard«, antwortete der Dekan mit rauher Stimme, welche von der Decke zurückhallte, und gab den Bruderkuß, worauf der Fremde den anderen Brüdern dasselbe tat. »Nicht mühelos wird das Lehramt sein, zu dem du aus der Schulstube des Klosters Altaha gerufen bist, denn du wirst harte Köpfe finden und eine zuchtlose Herde; doch dem heiligen Wigbert fehlt es nicht an Bäumen, um Ruten daraus zu schneiden. Komm, daß ich dir unsere Häuser zeige und die Walstatt, auf welcher du den Krieg gegen die Unwissenheit führen sollst.« Er ging voraus, die Brüder folgten, zuletzt der junge Mönch mit dem Reisegerät des Fremden.

      Tutilo führte in die Klausur, die große Burg des Klosters, welche zweistöckig inmitten aller Höfe und Gebäude ragte. Sie enthielt die Wohnungen der Mönche und der geweihten Schüler, die von ihren Eltern in den Zipfel der Altardecke gewickelt waren, damit sie einst Mönche würden. Das Haus stand im Viereck um einen freien Platz, von allen Seiten nach außen geschlossen, nur durch die Kirche war der Eingang und gegenüber ein Ausgang zu den Küchen und Nebengebäuden. In der Mitte des Hofes umgaben alte Lindenbäume einen Brunnen, und nach dem Hofe öffnete sich der ganze Bau, denn ein weiter Säulengang zog sich am Unterstock auf den vier Seiten entlang, und die Mauer des Oberstocks erhob sich auf den schöngemeißelten Steinsäulen. Zwischen die Säulen waren bequeme Holzbänke gestellt, damit die Brüder bei schlechtem Wetter lustwandeln oder ausruhen konnten, wie es ihnen gefiel. Ganz verlassen stand das Haus, der Fremde vermochte kein geschorenes Haupt zu entdecken, obgleich in dieser Stunde die Regel den Brüdern erlaubte, sich von Arbeit und Gebet zu erholen. Tutilo merkte die suchenden Blicke des Bruders, und auf den Säulengang weisend, erklärte er: »An anderen Tagen würdest du die Hände oft rühren müssen, wenn du die Menge der Brüder und Schüler an den Fingern abzählen wolltest, heut aber sind sie ausgezogen. Die letzten Tage waren schwül, ein Wetter droht, und das ganze Gesinde des heiligen Wigbert arbeitet im Heu. Dies ist alter Brauch des Klosters, er stammt, wie sie sagen, aus der Zeit der ersten Väter, jetzt freilich ist die Fahrt mehr ein Fest als eine Arbeit. Bald wirst du ihr Gewimmel merken, wenn sie zurückkehren.«

      Als sie die inneren Räume betraten, sah der zugewanderte Bruder in dem großen Refektorium einen Kredenztisch mit schönen Bechern und Trinkkannen, darunter nicht wenige von edlem Metall, und als er in einen Gang kam, an welchem Zellen der Brüder lagen, erblickte er durch die offenen Türen große Stühle mit seidenen Kissen belegt, auf den Lagerstätten weiche Kopfkissen und lodige Decken von buntgefärbter Wolle, die mit gestickten Borten eingefaßt waren, daneben große Truhen und metallene Leuchter mit Wachslichtern oder schwere vergoldete Lampen, auf einem Tische sogar ein Brettspiel mit geschnitzten Männlein und Tieren, so daß er merkte, wie die Mönche unter Gerätschaften, die sie sich selbst erworben hatten, ganz gemächlich hausten. Und Reinhard, obwohl er als Mönch gewöhnt war, seine Zunge zu hüten, konnte den Ausruf nicht unterdrücken: »Gleich weltlichen Fürsten wohnen die Knechte des Heiligen.«

      Tutilo merkte das Mißfallen, aber er erwiderte stolz: »Auch ich meine, daß unsere Brüder ihr Haupt hoch tragen dürfen, wenn sie sich mit den Weltleuten vergleichen. Doch was du hier von eigenem Gut der Brüder etwa gesehen hast, gehört nur den Dekanen und den Alten, denn diese allein haben die Lizenz.«

      Der Fremde senkte schweigend das Haupt. Tutilo winkte dem jungen Mönch, zurückzubleiben, zog einen großen Schlüssel aus der Tasche und öffnete in dem Kreuzgang eine niedrige Pforte, die er hinter seinen Begleitern wieder verschloß. Sie standen in dem Hofe der Abtei zwischen Ställen und Vorratshäusern vor einem stattlichen Holzbau, um den ein Laubengang führte. Doch auch hier war alles leer, die Lichtöffnungen des Hauses waren mit Fensterglas und Blei verschlossen, aber die Scheiben waren erblindet und manche Raute war zerschlagen. »Du weißt ja wohl,« fuhr Tutilo mit düsterer Miene fort, »daß Herr Bernheri, unser Abt, es verschmäht, unter den Brüdern zu wohnen. Dort oben auf dem Berge St. Peter hat er sich eine eigene Zelle stattlich hergerichtet, dort haust er mit denen, die ihm am liebsten sind, und selten betritt sein Fuß diesen Herrenhof. Oben hört man‘s deutlicher, wenn der Auerhahn balzt und der Hirsch schreit. Wir aber in der Tiefe harren der Gebote, welche er aus der Höhe zu uns sendet. Hier beginnt wieder dein Reich«, fuhr er fort und geleitete in einen anderen umhegten Hof. »Hier ist die äußere Schule, worin die Schüler zu übermütigen Weltgeistlichen erzogen werden; dreißig Scholastiker zählte das Kloster, erst seit dem Tode deines Vorgängers hat sich die Zahl vermindert. An der ersten Bank sitzen nur Söhne von Edlen, meist Thüringe und Hessen, trotzige Knaben sind darunter, ungern fügen sich die Stolzen darein, im Kloster zu dienen.«

      »Schwingen auch sie heut das gedörrte Gras?« fragte der Fremde.

      »Einen wenigstens magst du sehen«, versetzte der Kellermeister Heriger leise und wies nach der Höhe. In dem Schalloch des Glockenturmes saß ein Jüngling und starrte hinaus auf die Höhen im Osten, ohne die Mönche im Hofe zu beachten. »Es ist Immo, der Thüring, er hängt oft dort oben, und immer sieht er nach derselben Himmelsseite, weil dort seine Heimat liegt!«

      Reinhard maß den Jüngling mit einem schnellen Blick: »Erkenne ich ihn recht auf seinem luftigen Sitze, so sieht er mehr einem jungen Kriegsmann ähnlich, als einem Schüler, der auf das heilige Öl und die Stola hofft.«

      »Du wirst ihn wild und tückisch finden«, versetzte Tutilo. »In den ersten Jahren hat ihn unser Herr Bernheri verzogen, jetzt tun ihm Hunger und Geißel not, und du würdest ihn vielleicht im Keller auf dem Stroh erblicken, statt dort in hoher Luft, wenn die Brüder nicht allzuoft an das Verdienst seines Ahnherrn dächten.«

      »Denn wisse, mein Bruder,« fuhr Heriger fort, »er ist aus dem Geschlechte eines seligen Helden, der, wie sie sagen, zugleich mit dem heiligen Bonifazius von den Heiden erschlagen wurde. Sein Ahnherr war es, zu dem der Heilige in der Todesnot seine letzten Worte sprach, welche in den Büchern geschrieben stehen: Wirf dein Schwert von dir! Und darum haben auch von je die Männer und Frauen seines Geschlechtes unser Kloster mit Hufen und Gaben ausgestattet.«

      Gegenüber dem Schülerhause lag der Kirche angebaut die Bibliothek und die Stube der Schreiber. Der Fremde betrat ein kahles Gemach; die beiden Fenster waren durch Glas und Blei verschlossen, aber große Spinnengewebe hingen an Wand und Rahmen, und durch die Scheiben drang nur ein trübes Zwielicht, so daß eine brennende Lampe das Beste tun mußte, um den Raum zu erhellen. Vor der Lampe saß am Pult ein schreibender Mönch. Langsam erhob er sich, als die Brüder eintraten, und noch während er den Ankömmling begrüßte, waren die kleinen Augen in seinem runzligen Gesicht auf die Pergamentblätter gerichtet.

      »Willst du deinen Augen Pönitenz antun, Vater Gozbert,« begann Tutilo verwundert, »daß du das Sonnenlicht aussperrst?«

      »Es muß ein dunkler Nebel in der Welt sein,« versetzte der Mönch, »denn es will nicht hell werden.«

      »Nicht der Nebel ist es, der dir das Licht raubt, sondern die Bosheit anderer,« rief Tutilo, das Fenster öffnend, »sieh her, die Scheiben sind von außen durch trübe Farbe verdunkelt, und merke, jemand hat dir einen üblen Streich gespielt.«

      »In Wahrheit, draußen


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