Von Bagdad nach Stambul. Karl May

Von Bagdad nach Stambul - Karl May


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bis zum späten Abend auf dem Pferde hängt, so wird man selbst als Gewohnheitsreiter müde. Das war auch bei mir der Fall. Ich schlief gut und fest, und ich wäre sicher vor dem Morgen nicht aufgewacht, wenn nicht das Murren meines Hundes mich geweckt hätte. Als ich die Augen aufschlug, war es sehr dunkel; dennoch erkannte ich einen Mann, welcher aufrecht in meiner Nähe stand.

      Ich griff zum Messer.

      »Wer bist du?«

      Bei dieser Frage erwachten auch die Gefährten und nahmen die Waffen zur Hand.

      »Kennst du mich nicht, Herr?« erklang die Antwort. »Ich bin einer der Bejat.«

      »Was willst du?«

      »Herr, hilf uns! Der Bebbeh ist entflohen!«

      Ich sprang sofort auf und die Andern mit.

      »Der Bebbeh? Wann?«

      »Ich weiß es nicht. Wir haben geschlafen.«

      »Ah! Hundertsechzig Mann haben ihn bewacht, und er ist entflohen?«

      »Sie sind ja nicht da!«

      »Diese Hundertundsechzig sind fort?«

      »Sie kommen wieder, Herr.«

      »Wohin sind sie?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Wo ist der Khan?«

      »Auch mit fort.«

      Da faßte ich den Mann bei der Brust.

      »Mensch, habt ihr vielleicht eine Schurkerei gegen uns vor? Das sollte euch schlecht bekommen!«

      »Laß mich, Herr! Wie können wir dir Schlimmes tun! Du bist ja unser Gast!«

      »Halef, untersuche, wie viele Bejat sich noch hier befinden!«

      Es war so dunkel, daß man den Platz nicht zu überblicken vermochte. Der kleine Hadschi erhob sich, um meinen Befehl auszuführen.

      »Es sind noch vier hier,« erklärte sogleich der Bejat, »und einer steht draußen am Eingang, um ihn zu bewachen. Drüben aber im andern Lager waren wir unser zehn, um den Gefangenen zu bewachen.«

      »Wie ist er euch entkommen? Zu Fuße?«

      »Nein. Er hat sein Pferd mitgenommen, nebst einigen Waffen von uns.«

      »Das ist ein Beweis, daß ihr sehr kluge und aufmerksame Wächter seid. Aber warum kommt ihr da zu mir?«

      »Herr, fange ihn wieder!«

      Beinahe hätte ich laut aufgelacht. Eine naivere Zumutung konnte mir ja gar nicht gestellt werden. Ich ließ diese Aufforderung ganz unbeachtet und erkundigte mich nur weiter:

      »Ihr wißt also nicht, wo der Khan mit den Andern ist?«

      »Wir wissen es wirklich nicht.«

      »Aber er muß doch einen Grund haben, fortzugehen!«

      »Den hat er.«

      »Welcher ist es?«

      »Herr, wir sollen ihn dir nicht sagen.«

      »Gut. Wir wollen einmal sehen, wer jetzt zu befehlen hat, der Khan oder ich – — —«

      Halef unterbrach mich, indem er meldete, daß wirklich nur noch vier Bejat zu bemerken seien.

      »Sie stehen dort in der Ecke und hören uns zu, Sihdi!« sagte er.

      »Laß sie stehen! Aber sag, sind deine Pistolen geladen, Hadschi Halef Omar?«

      »Hast du sie jemals ungeladen gesehen, Sihdi?«

      »Nimm sie heraus, und wenn dieser Mann die Frage, welche ich ihm jetzt zum letzten Male vorlegen werde, nicht beantwortet, so jagst du ihm eine Kugel durch den Kopf. Verstanden?«

      »Habe keine Sorge, Sihdi; er soll zwei Kugeln erhalten anstatt einer!«

      Er nahm die Waffen aus dem Gürtel und ließ die vier Hähne spielen. Ich fragte den Bejat abermals:

      »Weshalb hat sich der Khan entfernt?«

      Die Antwort ließ nicht einen Augenblick auf sich warten.

      »Um die Bebbeh zu überfallen.«

      »Die Bebbeh? So hat er mich also belogen! Er sagte, daß er die Dschiaf besuchen wolle.«

      »Herr, Khan Heider Mirlam sagt nie eine Lüge! Er will wirklich zu den Dschiaf, wenn ihm der Ueberfall gelungen ist.«

      Jetzt fiel mir ein, daß er mich gefragt hatte, ob ich mit den Bebbeh Freund oder Feind sei. Er hatte mir seinen Schutz angedeihen lassen und mir doch auch meine Unbefangenheit bewahren wollen.

      »Lebt ihr mit den Bebbeh in Unfrieden?« fragte ich weiter.

      »Sie mit uns, Herr. Wir werden ihnen dafür heute ihre Herden, ihre Teppiche und Waffen wegnehmen. Hundertundfünfzig Männer werden diese Beute heimschaffen, und fünfzig werden mit dem Khan zu den Dschiaf gehen.«

      »Wenn die Bebbeh es erlauben,« fügte ich hinzu.

      Trotz der Dunkelheit bemerkte ich, daß er den Kopf stolz emporwarf.

      »Diese? Die Bebbeh sind Feiglinge! Hast du nicht gesehen, daß dieser Mann heute vor uns geflohen ist?«

      »Einer vor zweihundert!«

      »Und du allein hast ihn gefangen!«

      »Bah! Ich fange unter Umständen ebenso gut zehn Bejat. Zum Beispiele: Du und diese vier, die Wache draußen und die neun drüben im andern Lager, ihr seid jetzt meine Gefangenen. Halef, bewache den Ausgang. Wer diesen Platz ohne meine Erlaubnis betreten oder verlassen will, den erschießest du!«

      Der wackere Hadschi verschwand sofort nach dem Ausgange hin; der Bejat sagte ängstlich:

      »Herr, du scherzest!«

      »Ich scherze nicht. Der Khan hat mir das Wichtigste verschwiegen, und auch du hast nur darum gesprochen, weil ich dich gezwungen habe. Darum sollt ihr mir dafür bürgen, daß ich hier sicher bin. Kommt herbei, ihr Viere!«

      Sie folgten meinem Befehle.

      »Legt eure Waffen hier zu meinen Füßen nieder!« – Und als sie zögerten, fügte ich hinzu: »Ihr habt von uns gehört! Meint ihr es ehrlich mit uns, so geschieht euch nichts und ihr erhaltet eure Waffen wieder; weigert ihr euch aber, mir zu gehorchen, so kann euch kein Dschinni und Scheïtan helfen!«

      Jetzt taten sie, was ich von ihnen verlangt hatte. Ich übergab die Gewehre den Gefährten und instruierte Mohammed Emin, wie er sich nun weiter zu verhalten habe. Dann verließ ich den Platz, um dem Laufe des Baches in das Freie hinaus zu folgen.

      Draußen fand ich zwischen Steinen die Wache, welche mich gleich erkannte.

      »Wer hat dich hergestellt?« fragte ich.

      »Der Khan.«

      »Wozu?«

      »Damit er, wenn er kommt, gleich weiß, daß alles in Ordnung ist.«

      »Sehr gut! Gehe einmal hinein, und sage meinen Gefährten, daß ich gleich wieder kommen werde.«

      »Ich darf diese Stelle nicht verlassen.«

      »Der Khan weiß nichts davon.«

      »Er wird es erfahren.«

      »Das ist möglich; aber ich werde ihm sagen, daß ich es dir befohlen habe.«

      Jetzt ging der Mann. Ich wußte, daß er von Mohammed zurückbehalten und entwaffnet werden würde. Nun hatte ich mich zwar nicht erkundigt, wo das zweite Lager sei; aber ich hatte am Abend in der Nähe des unserigen Stimmen vernommen und glaubte daher, die Stelle leicht finden zu können. So geschah es auch; ich hörte ein Pferd stampfen, und als ich dem Laute nachging, fand ich die neun am Boden sitzenden Bejat, die mich in der Dunkelheit für ihren Kameraden hielten, denn der eine rief:

      »Was sagte er?«

      »Wer?«

      »Der fremde Emir!«

      »Hier steht er selbst,« antwortete ich.

      Jetzt erkannten sie mich


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