Friedrich Nietzsche in seinen Werken. Andreas-Salomé Lou
liegen in dem gewaltigen religiösen Affect, aus dem ganz allein bei Nietzsche alle Erkenntniss hervorgeht, unlöslich in einen Knoten verschlungen: eigne Aufopferung und eigne Apotheose, Grausamkeit der eignen Vernichtung und Wollust der eignen Vergötterung, leidvolles Siechen und siegende Genesung, glühender Rausch und kühle Bewusstheit. Man fühlt hier die enge Verknüpfung der Gegensätze, die einander unaufhörlich bedingen: man fühlt das Ueberschäumen und freiwillige Hinabstürzen der aufs Höchste erregten und gespannten Kräfte ins Chaotische, Dunkle, Schauerliche, und dann wieder aus diesem heraus ein Drängen ins Lichte, Zarteste, – das Drängen eines Willens, der sich« …von der Noth der Fülle und Ueberfülle, vom Leiden der in ihm gedrängten Gegensätze löst«,11– ein Chaos, das den Gott gebären möchte, – gebären muss.
»Im Menschen ist Geschöpf und Schöpfer vereint: im Menschen ist Stoff, Bruchstück, Ueberfluss, Lehm, Koth, Unsinn, Chaos; aber im Menschen ist auch Schöpfer, Bildner, Hammer-Härte, Zuschauer-Göttlichkeit und siebenter Tag…«. (Jenseits von Gut und Böse 225.) Und hier zeigt sich, dass unablässiges Leiden und unablässige Selbstvergöttlichung sich gegenseitig bedingen, indem ein jedes seinen eignen Gegensatz immer wieder neu erzeugt, – wie es Nietzsche in der Geschichte des Königs Viçvamitra ausgedrückt findet, »der aus tausendjährigen Selbstmarterungen ein solches Machtgefühl und Zutrauen zu sich gewann, dass er es unternahm, einen neuen Himmel zu bauen:… Jeder, der irgendwann einmal einen »neuen Himmel« gebaut hat, fand die Macht dazu erst in der eigenen Hölle…« (Genealogie der Moral III 10.) Eine andere Stelle, wo er dieser Sage gedenkt, steht in der Morgenröthe (113) und folgt unmittelbar auf die Schilderung jener machtdurstigen Leidenden, die als das würdigste Object ihrer Vergewaltigungslust sich selbst auserlesen haben: »Der Triumph des Asketen über sich selber, sein dabei nach Innen gewendetes Auge, welches den Menschen zu einem Leidenden und zu einem Zuschauenden zerspaltet sieht und fürderhin in die Aussenwelt nur hineinblickt, um aus ihr gleichsam Holz zum eigenen Scheiterhaufen zu sammeln, diese letzte Tragödie des Triebes nach Auszeichnung, bei der es nur noch Eine Person gibt, welche in sich selber verkohlt…« Dieser Abschnitt, der die Beschreibung aller bisherigen Askese und ihrer Motive enthält, schliesst mit der Bemerkung:… ja, ist denn wirklich der Kreislauf im Streben nach Auszeichnung mit dem Asketen am letzten Ende angelangt und in sich abgerollt? Könnte dieser Kreis nicht noch einmal von Anfang an durchlaufen werden, mit der festgehaltenen Grundstimmung des Asketen und zugleich des mitleidenden Gottes?«
In »Menschliches, Allzumenschliches« (I 137) sagt er darüber: Es gibt einen Trotz gegen sich selbst, zu dessen sublimirtesten Aeusserungen manche Formen der Askese gehören. Gewisse Menschen haben nämlich ein so hohes Bedürfniss, ihre Gewalt und Herrschsucht auszuüben, dass sie … endlich darauf verfallen, gewisse Theile ihres eigenen Wesens … zu tyrannisiren… Dieses Zerbrechen seiner selbst, dieser Spott über die eigene Natur, dieses spernere se sperni, aus dem die Religionen so viel gemacht haben, ist eigentlich ein sehr hoher Grad der Eitelkeit… Der Mensch hat eine wahre Wollust darin, sich durch übertriebene Ansprüche zu vergewaltigen und dieses tyrannisch fordernde Etwas in seiner Seele nachher zu vergöttern.« – und 138: »… Eigentlich liegt ihm also nur an der Entladung seiner Emotion; da fasst er wohl, um seine Spannung zu erleichtern, die Speere der Feinde zusammen und begräbt sie in seine Brust,« – und 142: »… er geisselt seine Selbstvergötterung mit Selbstverachtung und Grausamkeit, er freut sich an dem wilden Aufruhre seiner Begierden… er versteht es, seinem Affect, zum Beispiel dem der äussersten Herrschsucht, einen Fallstrick zu legen, so dass er in den der äussersten Erniedrigung übergeht und seine aufgehetzte Seele durch diesen Contrast aus allen Fugen gerissen wird;… es ist im Grunde eine seltene Art von Wollust, welche er begehrt, aber vielleicht jene Wollust, in der alle anderen in einen Knoten zusammengeschlungen sind. Novalis, eine der Autoritäten in Fragen der Heiligkeit durch Erfahrung und Instinct, spricht das ganze Geheimniss einmal mit naiver Freude aus: »Es ist wunderbar genug, dass nicht längst die Association von Wollust, Religion und Grausamkeit die Menschen aufmerksam auf ihre innige Verwandtschaft und gemeinschaftliche Tendenz gemacht hat.«
In der That ist eine rechte Nietzsche-Studie in ihrer Hauptsache eine religionspsychologische Studie, und nur insoweit als das Gebiet der Religionspsychologie bereits aufgehellt ist, fallen auch helle Streiflichter auf die Bedeutung seines Wesens, seines Leidens und seiner Selbst-Beseligung. Seine ganze Entwicklung ging gewissermassen davon aus, dass er den Glauben verlor, also von der »Emotion über den Tod Gottes«, – dieser ungeheuren Emotion, die bis in das letzte Werk hineinklingt, das Nietzsche, schon auf der Schwelle des Wahnsinns verfasste, – bis in den vierten Theil seines: »Also sprach Zarathustra«. Die Möglichkeit, einen Ersatz12 »für den verlorenen Gott« in den verschiedensten Formen der Selbstvergottung zu finden, das ist die Geschichte seines Geistes, seiner Werke, seiner Erkrankung. Es ist die Geschichte des »religiösen Nachtriebes im Denker«, der noch mächtig bleibt, auch nachdem der Gott zerbrach, auf den er sich bezog, und auf den Nietzsches Worte Anwendung finden können: (Menschliches, Allzumenschliches I 223): »Die Sonne ist schon hinunter gegangen, aber der Himmel unseres Lebens glüht und leuchtet noch von ihr her, ob wir sie schon nicht mehr sehen.« Man lese darüber den ergreifenden Gefühlsausbruch des »tollen Menschen« in der »Fröhlichen Wissenschaft« (125). »Wohin ist Gott?« rief er, »ich will es Euch sagen! Wir haben ihn getödtet! – ihr und ich! Wir Alle sind seine Mörder!.. Hören wir noch nichts vom Lärm der Todtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, ist unter unseren Messern verblutet, – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen?.. Ist nicht die Grösse dieser That zu gross für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine grössere That, – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser That willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!« —
Die Antwort auf diesen Ausbruch von Qual und Sehnsucht gab sich Nietzsche in seiner letzten Schaffensperiode mit den Worten Zarathustras (I Schluss): »Todt sind alle Götter: nun wollen wir, dass der Uebermensch lebe!« – und sprach damit den innersten Seelengrund seiner Philosophie aus.
Die Gottsehnsucht wird in ihrer Qual zu einem Drang der Gott-Schöpfung, und dieser musste sich nothwendig in Selbstvergottung äussern. Mit richtigem Blick erkannte Nietzsche im religiösen Phänomen die ungeheure Auslebung des individuellsten Verlangens, den Willen zur höchsten Selbstbeseligung. Dieser Individualismus, der als Kern in allem Religiösen steckt, dieser »sublime Egoismus«, der in allem Religiösen frei und naiv ausströmt, indem er sich auf eine von aussen gegebene Lebens-oder Gottesmacht zu beziehen glaubt, wurde in ihm, dem »Erkennenden«, auf sich selbst zurückgeworfen. Und so gelangt er dazu, sich die ihm vom Verstände aufgedrungene Gottlosigkeit mit dem vermessenen Schlüsse innerlich anzueignen: »Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich's aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter.« Diese Worte stehen im zweiten Theil des »Also sprach Zarathustra« (6); an sie lassen sich jene anderen anschliessen (55): »Und Anbetung wird noch in Deiner Eitelkeit sein!« In ihnen ist die ganze Gefahr ausgesprochen, die über dem »Einsamen« und »Einzelnen« schwebt, der sich spalten und verdoppeln muss. »Einer ist immer zu viel um mich… Immer Einmal Eins – das gibt auf die Dauer Zwei!« (Also sprach Zarathustra I 76.)
Die Art, wie er sich zu dieser Zweiheit stellte, wie er sich gegen sie zur Wehre setzte oder ihr nachgab, und worin er sie jedesmal suchte, – das alles bedingt den Wandel seiner Erkenntniss, sowie die Eigenart seiner verschiedenen Geistesperioden – bis endlich seine Zweiheit ihm zu einer Hallucination und Vision, zu einer leibhaften Wesenheit wurde, die seinen Geist verdüsterte, seinen Verstand erstickte. Er vermochte nicht sich länger gegen sich selbst zu wehren: Dieses war das dionysiche Drama vom »Schicksal der Seele« (Zur Genealogie der Moral, Vorrede XIII) in Nietzsche selbst. Die Einsamkeit des Innenlebens, in welcher der Geist über sich selbst hinausgelangen will, ist nirgends tiefer und schmerzvoller als zum Schluss. Man könnte sagen, die stärkste Mauer in dieser verhängnissvollen Selbstvermaurung sei ein zarter, glänzender, göttlicher Schein, der sie umgaukelt, eine Luftspiegelung, die ihm die eigenen Grenzen verwischt und verbirgt. Jeder Gang
11
»Versuch einer Selbstkritik«, in der neuen Ausgabe der »Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik« XI.
12
Siehe in der Fröhlichen Wissenschaft (Scherz, List und Rache 38) über die menschliche Bestimmung als erfüllt in der Gottschöpfung des Menschen: