Beobachtungen über Oesterreichs Aufklärung und Litteratur. Aloys Blumauer

Beobachtungen über Oesterreichs Aufklärung und Litteratur - Aloys Blumauer


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achtungen über Oesterreichs Aufklärung und Litteratur

      Beobachtungen über Oesterreichs Aufklärung und Litteratur

      In einem Staate, in dem von jeher Liebe zur Lektüre herrschte, in dem man von jeher die Schriften aller aufgeklärten Nationen las, um desto gieriger las, je mehr Schwierigkeiten die Neugierde der Leser reizten, in dessen aufgeklärterem Theile von jeher Grundsätze und Meinungen keimten, die jeder denkende Kopf wohl im Stillen hegen, aber nicht öffentlich ausbrechen lassen konnte, wo Wißbegierde dem starken Damm seit langer Zeit entgegen arbeitete, und dem Durchbrechen bereits nahe war; in so einem Staate mußte auf die Wegräumung der Hindernisse, und die Erweiterung der Preßfreyheit nothwendig eine Ueberschwemmung von Broschüren folgen.

      Auf welchen hohen Grad schon vor dieser Epoche die Schreibbegierde der Schriftsteller des Landes gestiegen war, bewiesen die zahllosen Leichengedichte, Reden, Träume u. s. w. auf den Tod der seligen Kaiserinn, und der nicht zu bändigende Eifer, mit welchem viele derselben der Verstorbenen noch ins zweyte Jahr hinein nachleyerten. Der Werth dieser Gedichte, so verschieden er war, und so zweydeutig er allemal bey blossen Gelegenheitsgedichten seyn muß, eröffnete dennoch der inländischen Dichtkunst eine nicht zu verachtende Aussicht. Die Schreiblust war nun einmal rege, und sie schien nur eine kurze Zeit, wie in einer kurzen Sturm prophezeihenden Windstille zu lavieren, als ihr der Ruf der erweiterten Preßfreyheit auf einmal in die Segel blies. Die kleine Schrift: über die Begräbnisse, die am ersten von dieser grösseren Freyheit Gebrauch machte, war der Vorläufer, und gleichsam das Zeichen zum Angriff, das hundert Federn in Bewegung setzte. Man schrieb itzt, von allem, und über alles, man nahm den nächsten besten Gegenstand her, goß eine bald längere, bald kürzere, bald gesalzene, bald ungesalzene Brühe darüber, und tischte ihn dem damals noch sehr heißhungrigem Publikum zur Mahlzeit auf. Nichts war von nun an vor der rüstigen Feder der Autoren sicher: für 10. Kreuzer konnte man jeden Gegenstand, er mochte groß oder klein seyn, durchgebeutelt lesen, und ein vollständiges Verzeichniß all der Von und Ueber, die damals erschienen, würde ein Gemälde von der possierlichsten Komposition geben. Ich will zur Probe nur einige dieser Broschüren hersetzen:

      Ueber die Stubenmädchen in Wien.

      Ueber die Kammerjungfern.

      Ueber die Bürgermädchen.

      Ueber die Halbfräulein.

      Ueber die Fräulein in Wien.

      Das Lamentabel der gnädigen Frauen.

      Ueber die Schwachheiten der gnädigen Frauen des leonischen Adels.

      Ueber den hohen Adel in Wien.

      Ueber Doktoren, Chirurgen und Apotheker.

      Den Hausherren im Vertrauen etwas ins Ohr.

      Ueber die Kaufleute in Wien.

      Ueber die Dikasterianten.

      Ueber die Stutzer in Wien.

      Ueber die Kaufmannsdiener.

      Ueber die Schneider.

      Ueber die Bäcker.

      Ueber die Peruckenmacher.

      Ueber die Friseurs.

      Der ehrliche Wastel mit dem Klingelbeutel.

      An H. S*. Chef der Maulaffenloge auf dem Graben.

      Ueber den Kleiderpracht im Prater.

      Ueber die Unterhaltung bey der Tafel zu Schönbrunn.

      Ueber den Schwimmer aus Tyrol beym Tabor.

      Beurtheilung der Feuerwerke des Stuwer und Mellina.

      Ueber die Hetze.

      Kasperl, das Insekt unsers Zeitalters.

      Ueber das Nationaltheater.

      Ueber den Mißbrauch des Wörtchen Von und Euer Gnaden.

      Ueber das Gratuliren.

      Ueber die Kleidertracht.

      Etwas für die schopfichten Wienerinnen.

      Philosophie der Modeschnallen.

       Ueber die Hochzeiten in Wien.

      Das Gespenst auf dem Hofe.

      Ueber den grossen Brand der Magdalenakirche.

      Ueber den Selbstmord bey Gelegenheit des Friseurs, der sich erschoß.

      Ist der Antichrist blau, oder grün?

      Ueber die Bruderschaften.

      Ueber die Kirchenmusik.

      Ueber die Nonnen.

      Ueber die Tracht der Ordensgeistlichen.

      Ueber die Reliquien, Opfer und Mirakelbilder.

      Von Abschaffung der Weihnachtsmetten.

      Ueber die Universität in Wien.

      Die Gelehrten im Nasenlande.

      Der Glückshafen für gelehrte Maulaffen.

      Ueber die zehn Kreuzer Autoren.

      Kaufts allerhand! Kaufts allerhand! Kaufts lang und kurze Waar!

      Alle diese Broschüren, davon die meisten in die Rubrik Makulatur gehören, und noch beyläufig dreymal so viel, erschienen voriges Jahr in einer Zeit von wenigen Monaten, wurden gekauft und gelesen. – Sie sind den Titeln nach ein ziemlich vollständiges Repertorium über Wien; aber wehe dem, der daraus Wien beurtheilen wollte. Die meisten erschienen blos des Geldes wegen, waren in einem Tage fertig, am zweyten gelesen, und am dritten vergessen. Man glaube indessen ja nicht, daß man es bey einer Broschüre über einen Gegenstand bewenden ließ. Es war beynahe keiner, über den man nicht wortwechselte. Die Schrift: Ueber die Begräbnisse, die allerdings viel bessere Nachfolger verdient hätte, zog 21 Streitschriften nach sich, bey welcher Gelegenheit der Ehrw. P. P. Fast, Curatus zu St. Stephan mit zweyen von Amtswegen verfaßten Gegenschriften seine rühmliche Schriftstellerlaufbahn eröffnete. Die Beyträge zur Schilderung Wiens, eine in vielem Betracht merkwürdige Schrift, der zur Empfehlung nichts, als ein den Gegenständen mehr angemessener Ton fehlte, veranlaßte über 10. Streitschriften, und ihr haben wir den katholischen Unterricht des oberwähnten P. P. Fast in 10. Theilen, das Stück zu 7 Kreuzer zu danken, durch welchen der eifrige Herr Verfasser dem christlichen Fragbüchelunterricht des 16ten Jahrhunderts, der durch die neuen Normalbücher schon beynahe in Vergessenheit gesunken war, wieder auf die Beine geholfen hat.1 Die Schrift: über die Stubenmädchen in Wien, von Herrn Rautenstrauch war eine der glücklichsten Autorspekulationen für ihn, und die Herren, welche sich an ihn anhiengen. 25 Broschüren schlugen sich für und wider diesen Gegenstand, und bewiesen deutlich, was für einen wichtigen Theil des Publikums die Stubenmädchen ausmachen müssen. Von dieser Zeit an giengen die Manufakturen der Tagesprodukte unermüdet fort, und in jedem Monate durfte man auf 50 bis 60 Broschüren sicher Rechnung machen. Jeder Vorfall, jede Tagesneuigkeit ward zur Broschüre, und die alles regierende Göttin Gelegenheit, die sonst Juvenale und Buttlers zu unsterblichen Werken des Geistes aufrief, amusirte sich in Wien damit, zwey Bogen langen Broschüren das Daseyn zu geben. Die Schriftsteller schienen den Geschmack des Publikums wohl getroffen zu haben, sie verlegten sich auf Persönlichkeiten, Familienvorfälle, u. d. gl., und Dinge, die sonst nur in vertrauten Kreisen und freundschaftlichen


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<p>1</p>

Der würdige Herr Probst Anton Witola hat in seinem zweyten Schreiben über die Toleranz diesen katholischen Unterricht nach Verdienst kommentirt.