Beobachtungen über Oesterreichs Aufklärung und Litteratur. Aloys Blumauer
man in die Länge satt, und als man minder gierig zuzugreifen anfieng, so war es eine Freude zu sehen, wie mancherley Schilde die Herren aushiengen, wie einer des andern Küche verlästerte, wie einer den andern Schmierer schalt, und wie jeder gegen den Schwall von Broschüren loszog, den er mit den seinigen vermehren half. Allein der Käufer wurden demungeachtet weniger, die Verleger behutsamer und eckler, und vermuthlich würde die sichtbar zunehmende Lauigkeit des Publikums den Schreibern nach und nach das Handwerk gelegt haben, hätte nicht die Ankunft des Pabstes dem ganzen Schriftstellerwesen eine neue Schnellkraft und eine andere Wendung gegeben.
Diese zweyte Epoche eröffnete der inländischen Litteratur eine tröstlichere, hellere Aussicht. Männer von bessern Köpfen standen auf, und selbst viele von denjenigen, deren Schriften bisher eben so unbedeutend waren, als die Gegenstände, welche sie behandelten, schienen nun zu beweisen, daß es ihnen vorher nur an Materie zum Schreiben gefehlet habe, und daß ihre Schreibsucht ihnen nicht Zeit ließ, auf eine bessere Wahl der Gegenstände zu denken. Freylich sucht der Schriftsteller von Beruf nicht erst den Stoff, wenn er sich hinsetzt zu schreiben, sondern der Stoff sucht ihn, und drängt ihn, wenn er den Mann findet, an das Pult; er nöthigt ihn, sich der Ideen, die sich über den einmal gefaßten Gegenstand in ihm entwickeln, zu entledigen, das, was er gedacht, beobachtet, entdeckt hat, seinen Lesern mitzutheilen, und das ists, was seinen Beruf zum Schreiben ausmacht. Es giebt zwar, wie bekannt, einen noch dringenderen Schriftstellerberuf, als diesen, einen Beruf, den man im Magen fühlt, aber den kennt man leider aus seinen Früchten, und nie war er vielleicht kenntlicher, als an den unzeitigen Gewächsen, die er in der ersten Periode der Preßfreyheit, auf dem österreichischen Boden hervorbrachte. – Mit des Herrn Landraths Eybel Abhandlung: Was ist der Pabst? begann nun die neue bessere Periode der inländischen Schriftstellerey. Eine deutsche, selbst dem Volk verständliche Abhandlung über einen Gegenstand, der bisher entweder bloß lateinisch, oder nur von protestantischen Schriftstellern deutsch, aber immer nur für Sachkündige allein behandelt worden war, würde auch ohne die freymüthige Einschränkung der päbstlichen Rechte, die ihren Inhalt ausmachten, Aufmerksamkeit zu einer Zeit erregt haben, wo der Gedanke Pabst in den Köpfen einer halben Welt, und vor allen in denen des Wiener Publikums ein ausschließendes Recht zu walten hatte. Schon der Titel der Schrift war für das Volk, geistlichen und weltlichen, adelichen und bürgerlichen Standes, eine kühne vermessene Frage, unerhört in den älteren Katechismen, in welche man sich wohl jede andere Frage: nur niemals die: Was ist der Pabst? erlaubt hatte. Noch weit unverzeihlicher schien der Inhalt, und fast allgemein war die Empörung derjenigen, welche in ihren Klöstern eine freylich ganz andere Lehre über diesen Gegenstand eingesogen hatten. Aber was diese Zeloten am meisten wider den Verfasser empörte, waren dessen sieben Kapitel von Klosterleuten, die mit seiner Abhandlung über den Pabst zugleich erschienen, und gegen ihr unmittelbares Interesse gerichtet waren. Da sie nun gegen diese wenig oder nichts vorbringen konnten, so war es natürlich, daß ihnen die Schrift über den Pabst zum Ableiter ihrer Erbitterung dienen mußte. Sie donnerten von der Kanzel herab gegen den Verfasser, und P. Merz in Augsburg hielt in einer öffentlichen Kontroverspredigt Gericht über ihn. Nichts war bey dieser Gelegenheit lustiger anzusehen, als wie sich die Eiferer auf der Kanzel wandten, und krümmten, um dem Verfasser eins anzuhängen, ohne sich gegen die Grundsätze des Staats und der Censur, welche diese Schrift billigte, zu verstoßen. Aber noch eifriger, und folglich noch gröber waren sie mit der Feder. Ein jeder, der dagegen schrieb, nannte seine Lehre ächt und uralt, und bedachte unglücklicher Weise nicht, daß die Grundsätze des Mittelalters freylich, leider! uralt, aber die der ersten Kirche noch urälter, und folglich auch ächter seyen. Kurz über 70 Schriften zogen allein für und wider diesen Gegenstand zu Felde, und das Resultat aller Gegenschriften war, daß sie des Verfassers Abhandlung, statt sie zu widerlegen, bekannter, gesuchter, und folglich gemeinnütziger machten. Dieß bewies augenscheinlich der erstaunliche Absatz derselben, und die Eilfertigkeit, mit welcher sie ins lateinische und französische übersetzt ward. Sogar der Titel dieser Abhandlung schien Epoche zu machen; eine Menge Schriften erschienen von nun an in Gestalt von Fragen, und indeß der Verfasser selbst noch einige Gegenstände des Kirchenrechts auf diese Art behandelte, wimmelte es von fragenden Titeln. Man frug:
Was ist der Verfasser der Abhandlung: Was ist der Pabst?
Was ist der Kardinal?
Was soll der Pfarrer seyn?
Was ist die Religion?
Was ist die Kirche?
Was ist der Kaiser?
Was sind die Pflichten gegen Gott?
Was ist der Peter?
Was ist der Teufel?
Was sind die Wienerschriften überhaupt?
Und man würde vielleicht noch mehr gefragt haben, wenn das Antworten nicht so schwer wäre. Wenigstens machte ein Gegner dieser Herren Fragesteller die feine Bemerkung: daß ein Narr mehr fragen könne, als zehn Weise beantworten.
Noch eine Schrift, über welche bey Gelegenheit der Ankunft des Pabstes bis zum Eckel gestritten ward, war: Die Vorstellung an seine päbstliche Heiligkeit Pius VI. von Herrn Rautenstrauch. Der Ehrw. P. P. Fast, der sichs nun einmal zum Geschäft gemacht zu haben scheint auf der erzbischöflichen Warte die Aspekten der Aufklärung am Wienerhorizonte zu beobachten, konnte diesen Irrstern nicht unangehalten vorbeylassen. Er glaubte an demselben durch sein altes Sehrohr eine Menge Flecken wahrzunehmen, und, ohne erst zu untersuchen, ob diese Flecken nicht etwa an den Gläsern seines eigenen Tubus befindlich seyen, ereiferte er sich dagegen in einem Tone, der in den Zeiten, da man mit Fäusten schrieb, einem Weislinger Ehre gemacht haben würde. Herr Rautenstrauch, der keinem seiner Gegner gern das letzte Wort läßt, fieng an Episteln an ihn zu schreiben, deren keine unbeantwortet blieb; und hieraus entstand jener artige Briefwechsel, der, wenigstens von Seite des Ehrw. P. P. Fasts einen herrlichen Beytrag zu deutschen Epistolis obscurorum virorum abgeben würde. Unstreitig bleibt Herrn Rautenstrauch bey diesem ganzen Handel die Ehre einer ungleich grösseren Mässigung, und die noch grössere, der Verfasser einer Schrift zu seyn, wie seine Vorstellung ist.
Es erschienen in dieser zweyten Schriftstellerperiode, welche den Pabst zum Gegenstand hatte, noch mehrere sehr gut geschriebene Abhandlungen, deren Auseinandersetzung mich zu weit führen würde. Genug, aus allen zusammengenommen, ergiebt sich der Schluß, daß sich von dem jungen Nachwuchs der Autoren – derjenigen versteht sich, die nicht Pfuscher sind – wenn nicht Schreibbegierde allein sie leiten, und Ueberlegung die aufbrausende Hitze mässigen wird, noch viel Gutes hoffen läßt.
Mit dem Institute der Predigerkritiker begann für Wien eine neue Schriftstellerperiode, die sowohl wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes, als ihrer unstreitigen Gemeinnützigkeit merkwürdig ist. Wie wichtig die Rolle eines Predigers, und wie groß der Einfluß eines öffentlichen Redners auf das Volk von jeher gewesen sey, beweiset die durch alle Nationen und Alter immer gleich fortlaufende Erfahrung von den Sophisten Griechenlands an, bis auf die herumziehenden Bußprediger unserer Zeiten. Unzählig sind die Beispiele, daß eine schwärmerische Rede feige Memmen zu Helden, und gutwillige Schaafe zu reissenden Wölfen machte. Nicht selten haben Prediger ihre Macht über das menschliche Herz bis auf einen unerklärbaren Punkt getrieben; und daher kam es, daß man das, was sie von der Kanzel herab wirkten, so oft Mirakel nannte. Noch mehr: ein nur mittelmässiger Redner läßt an unmittelbarem Einflusse auf sein Volk selbst den beßten Schriftsteller weit hinter sich zurück. Nie wird ein Raynal seinen Lesern das werden, was Ziska auf seiner Tonne den Hußiten ward. Der Grund hievon liegt in der Natur der Sache. Der Redner hat nicht nur alle Vortheile des Schriftstellers, sondern er hat noch weit mehr, um auf sein Volk zu wirken. Die Art, mit welcher beyde ihre Gedanken und Empfindungen mittheilen, ist unendlich verschieden. Das Mittel zur Wirkung ist bey dem Schriftsteller nur der todte Buchstabe, bey dem Prediger das lebendige Wort: der Prediger ist gegenwärtig, um jedes seiner Worte