Deutsche Humoristen. Otto Ernst Schmidt

Deutsche Humoristen - Otto Ernst Schmidt


Скачать книгу
das Haff?«

      Er sah mich groß an. »Na nu, Sie wollen doch nicht aufs Haff? Was haben Sie da zu suchen? Das lassen Sie lieber bleiben; es ist auch schon zu spät am Tage.«

      »Das wär' nicht schlimm,« meinte ich, »und sicher muß es doch sein; übrigens war es nur so 'ne Idee.«

      »Gott, ja,« sagte er, »am Ufer lang soll ja gute Bahn sein; aber weiter 'rein ist's faul; es ist zu viel Sturm gewesen, daß es nicht richtig hat zugehen können; es haben welche 'rüberlaufen wollen, sind aber wieder umgekehrt, weil es zu ungemütlich war und überall knackte.«

      Da schwieg ich still; und er kramte richtig ein Paar angerostete Holländer heraus, aber sonst leidlich im Stande und von guter Bauart. Und ich dank' ihm und mach' mich auf den Weg.

      Was ich wollte, wußt' ich. Quer über's Haff nach Ellermünde. Wenn ich mich dran hielt, konnt' ich drüben sein vor Dunkelwerden und vor der Stettiner Post. Hätt' ich Extrapost ums Haff herum nehmen wollen, ich hätte mindestens die vierfache Zeit gebraucht – und morgen früh kam ich zu spät, daran war also nicht zu denken.

      So ging's denn auf die Reise. Wie ein Donnerwetter den Strom hinauf und nachher über die Wiesen. Das Eis war wie ein Spiegel und so klar, daß man jeden Grashalm darunter sehen konnte. Es liefen ziemlich viel Leute, Fischer und andere, und ich hätt' noch manchen nach dem Haffeis fragen können, tat's aber nicht; ich hatte heimlich Angst, sie könnten die Köpfe schütteln und mir's ausreden wollen. Ich wollt' nun mal nichts sehen und nichts hören, ich ging drauf los wie der Bulle auf den roten Flicken.

      Die Luft war schön und still wie in der Stube, der Himmel ganz blau: heißt das, im Südwest stand es grau und dick. Ach, Unsinn, dacht' ich, bei der Windstille kommt das nicht 'rauf, am wenigsten in zwei Stunden, und bis dahin bin ich drüben.

      Also immer drauf los über die Wiesen weg. Und eh' ich mich's versehe, ist das Eis unter mir schwarz, keine Spur mehr von Gras und Kraut, und auch kein Mensch rundum; ich bin also auf dem Haff. Siehst du wohl, und es geht wunderschön. Kerneis durch und durch; das hält wie Balken. Also immer stramm weiter.

      Und ein helles Vergnügen ist's und bleibt's doch, so dahin zu jagen, ganz allein; wie ein Adler kommt man sich vor, es ist gar nicht, als ob man den Boden berührt. Man fühlt sich so sicher; das Eis kann ja gar nicht brechen, weil man doch bloß so lose darüber streift. Ebensogut könnt' ein Vogel stolpern und ein Fisch sinken. Und immer vorwärts, immer vorwärts. Ja, das ist erst das Wahre, über solche Fläche zu schießen, die kein Ende hat und keine Unterbrechung; blankes, schwarzes Eis vor sich und hinter sich und rechts und links, und weiter nichts. Kein Mensch und kein Tier und kein Strauch und kein Pfahl und kein Halm. Und auch kein Ton; bloß die Schlittschuhe schurren leise, als ob das Eis singt, und die Luft streicht sachte an den Ohren vorbei. Es geht nichts darüber, sag' ich bloß.

      Und dabei zu wissen und zu fühlen: mit jeder Minute kommst du ein langes Stück näher dahin, wohin du kommen willst! Und wenn es einen nun so gewaltsam dahin drängt, und jede Minute kostbar ist! – Wie ich so geradeaus vor mich hinsah, wo nun bald das Land aufsteigen mußte, da dacht' ich: Da drüben fährt er jetzt auch auf seinem Postwagen und hat auch solche Eile wie du und brennt auch inwendig lichterloh, aber er hat bloß Pferdebeine und kann nichts dazu tun, um schneller vorwärts zu kommen; wie muß ihn das prickeln in allen Gliedern, wenn der dumme Postillon 'mal Halt macht und trödelt und trödelt bei seinem Schnaps, und die Gäule haben auch ihren Eimer noch immer nicht ausgesoffen; und du hast deine eigene Kraft und hast Flügel an deinen eigenen Füßen und fliegst herrlich vorwärts, immer vorwärts! Ja, das war eine Freude. Und ich war nun ganz sicher, daß ich ihn überholen würde – um eine, um zwei Stunden – und versteht sich: wer zuerst kommt, mahlt zuerst, na, und die Augen, die er machen wird, wenn er die schöne Hersilie hübsch warm in meinen Armen findet, und er muß mit 'ner kalten Marmorpuppe ohne Kopf und Arme abziehen! Ja, das war ein Spaß, sich so was auszudenken und dabei zu fliegen, immer zu fliegen.

      Gerade aber, wie dies Vergnügen am allergrößten war, kriegt es auf einmal einen Knacks. Erst nur einen kleinen. Ich merke nämlich erstens, daß die graue Wand im Südwesten – Gott's ein Donner ja, wie ist das möglich, daß die so schnell hoch gestiegen ist? Sie steht ja wohl längst nicht mehr im Südwesten, sondern gerade über meinem Kopf.

      Und das zweite, was ich merkte: daß es mit dem Laufen nicht mehr so glatt vorwärts gehen will wie vorher. Warum? Weil die Luft so ganz allmählich stärker gegen mich an ging und eigentlich schon eine recht handliche Brise geworden war. Und natürlich, gerade wenn das Eis so schön glatt ist, wie es hier war, da merkt man jeden Hauch, der einen von vorn her anpustet. Und ich fing nun so wahrhaftig schon an zu schwitzen und zu keuchen.

      Jetzt lief mir doch sachte was Ungemütliches übern Rücken. Sapperment, dacht' ich, auf die Weise kannst du ja wohl vor Nacht kaum drüben sein, und dann ist's 'ne faule Sache, überhaupt die Mündung zu finden, denn den Leuchtturm stecken sie doch nicht an bei Eiszeit. Und wenn dann noch Schnee dazu kommt von der verdammten Wolke da oben, oder das Eis fängt doch wo an zu knacken?

      Ein bißchen schummrig wurd' es nämlich schon – mehr von der Wolke als von der Abendstunde – und vor mir war noch keine Spur von Land zu sehen und rechts und links auch nicht. Und wenn ich nach unten sah, kam mir das Eis auch so dünn vor, als müßt' es jeden Augenblick unter mir zerspringen. Eigentlich sah ich gar nicht, wie dick es war oder wie dünn, sondern bloß wie in einen leeren, schwarzen Abgrund; so durchsichtig war es.

      Ob's nicht doch am Ende besser ist, umzukehren? fing ich an zu überlegen. Aber wie meine Schlittschuhe so über das Eis bullerten, mußt' ich an den verdammten Postwagen denken und den Heinz Wichards darin, und dann sah ich ihn vor mir, wie er die Hersilie im Arm hielt und sie tröstete, und ihre Tränen fingen an schon sachte zu fließen, bloß noch so, als wenn nach dem Regen das Wasser von den Blättern abtröpfelt. – Zum Donnerwetter, nein, dacht' ich, wenn ich das zuließe, müßt' ich all mein Lebtag vor mir selbst als dummer Junge dastehen!

      Und weiter dacht' ich: I was, zurück kommst du immer noch. Mit dem Wind, der jetzt geht, bist du in der halben Zeit zurück, als in der du gekommen bist, und hast die sichere Bahn hinter dir!

      So kriegt' ich wieder Mut; denn man hat immer Mut, sowie man den Rücken gedeckt hat; und lief stramm weiter, obgleich es immer weniger flecken wollte gegen den Wind.

      Aber kaum hatte ich noch ein paar Minuten hinter mir, da kam etwas ganz Ekelhaftes. Erst so ein greulicher Ton von unten her, laut, lang, dumpf, genau als wenn jemand unter dem Eise jämmerlich schluchzte oder auch gurgelte wie beim Ersticken. Und der Ton lief dann immer weiter und weiter hin, als wenn da jemand mit fürchterlicher Schnelligkeit unten an dem Eise entlang führe und einen Ausweg suchte und dabei immer trostloser schluchzte und zuletzt in weiter Ferne erstickte.

      Eigentlich wußt' ich ja ganz gut, was es war, bloß das eingesperrte Wasser, das gluckst, ich hatte das schon oft genug gehört; aber es ist noch etwas anderes, solche Töne ganz allein mitten auf dem Haff in der Einsamkeit zu hören, wo sonst alles still und leer ist wie das Grab. Und wenn der Mensch graulich werden soll, dann wird er graulich und kann sich nicht wehren dagegen.

      Aber das war noch nicht das Schlimmste. Gleich darauf glitt etwas Weißes unter meinen Füßen hin, wie eine große weiße Gestalt. Wenn mich jetzt einer fragt, was es gewesen sein wird, so sag' ich: vielleicht ein toter Stör oder sonst ein großes Vieh oder meinethalben auch ein Stück Segeltuch, oder was weiß ich? – Aber damals schüttelte ich mich ordentlich vor Schauder und hätte darauf geschworen, es wär' ein Mädchen gewesen mit weißen Kleidern, und ich muß sagen, ich sah ganz genau Hersiliens weißes Gesicht vor mir, wie wir sie einmal halb ertrunken aus dem Wasser gezogen hatten. Und gleich darauf kam noch einmal das scheußliche Schluchzen unter dem Eise, gerade als wenn es von der armen Gestalt selbst ausginge. Und wenn mich einer auslacht, ich sag's doch: mir kamen die Tränen in die Augen vor reiner Angst.

      Und es war auch in Wahrheit schlimm für mich; nicht von sich selbst, aber weil mich jetzt keine Macht der Erde mehr dahin gebracht hätte, umzukehren und noch einmal über die weiße Gestalt hinweg zu laufen. Sondern ich arbeitete vorwärts mit allen Kräften wie ein Wahnsinniger. Und ich tröstete mich und dachte: wenn's jetzt nicht bricht, bist du durch, denn du mußt jetzt ja wohl gleich über die Mitte weg sein, und nach dem Ufer


Скачать книгу